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Haben wir nicht schon genug gebaut?

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„Allen ist das Denken erlaubt. Vielen bleibt es erspart." Curt Goetz als Autor des Einleitungszitats ist als Mainzer über den Verdacht erhaben, dabei an das gedacht zu haben, was sich in Österreich Wohnungspolitik nennt. Als Borger gerade dieses Zitats möchte ich über diesen Verdacht mitnichten erhaben sein...

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„Allen ist das Denken erlaubt. Vielen bleibt es erspart." Curt Goetz als Autor des Einleitungszitats ist als Mainzer über den Verdacht erhaben, dabei an das gedacht zu haben, was sich in Österreich Wohnungspolitik nennt. Als Borger gerade dieses Zitats möchte ich über diesen Verdacht mitnichten erhaben sein...

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Zum Beweis, daß unserer Wohnungspolitik das Denken offensichtlich erspart bleibt, ein paar nüchterne Fakten:

• Per 1. Juni 1951 (!) war das Wohnungsdefizit mit 200.600 Wohnungen ausgewiesen worden. Von 1951 bis 1985 werden voraussichtlich 1,554.000 Wohnungen neu gebaut worden sein. Dennoch sagt die 1975 erstellte „Prognose des Wohnungsbedarfes in Österreich bis 1985" für das Jahr 1985 einen Fehlbestand vor-

aus, der mit, je nach Variante, 297.000 bzw. 323.000 Wohnungen um die Hälfte größer wäre als das Wohnungsdefizit im Jahre 1951. Laboriert Österreich an einer Bevölkerungsexplosion?

• Von 1972 - dem ersten vollen Jahr, für das der jetzige Baupreisindex für den Siedlungsbau vorliegt - bis 1977 ist der Neubauaufwand um 65,1% gestiegen, was bis fast auf das Zehntelprozent genau*der 65,4%igen Baupreissteigerung entspricht. Das Faktum - trotz einem um 65 Prozent höheren Aufwand real kein nennenswert größeres Ergebnis - steht fest.

Streiten läßt sich nur über dessen Interpretation: Entweder kann man in dieses Ergebnis hineinlesen, daß die gut 15 Milliarden, die 1977 mehr für Wohnbauzwecke aufgewendet wurden, nur die Baupreise in die Höhe getrieben haben. Oder aber man zieht aus demselben Sachverhalt den auch nicht eben ermutigenden Schluß, daß die 15 Milliarden, die die öffentliche Hand, der Kreditapparat und die Wohnungswerber mit größter Mühe zusätzlich aufbringen konnten, nur gerade ausgereicht haben, die Baukostensteigerungen wettzumachen.

Ob aber so oder so: Der Wohnungsneubau erweist sich als Faß ohne Boden.

• Obwohl der neue Mietengesetzentwurf und der Wirbel, den er in der Öffentlichkeit ausgelöst hat, dies kaum vermuten ließen, sind die Österreicher mehrheitlich nicht Mie-

ter, sondern Haus- oder Wohnungseigentümer. Schon 1977 waren 51% der Haushalte in Eigenheimen und nur noch 43,5% in Mietwohnungen untergebracht. (Der Rest entfällt auf Genossenschaftswohnungen u. dgl.)

Ob dieser hohe - und weiter wachsende Eigenheimanteil ausschließlich ein Segen ist, bleibe dahingestellt; immerhin könnte, was die Mobilitätsbehinderung betrifft, sarkastisch bemerkt werden, daß das Wohnungseigentum ein vollwertiger

Foto: Swoboda

Ersatz für den Mieterschutz ist. Hier soll jedoch eine andere provokante Frage gestellt werden: Ist der Drang zum Eigenheim trotz oder ist er wegen der in Österreich betriebenen Wohnungspolitik so übermächtig?

Das „trotz" würde stimmen, wenn ausgerechnet bei der Wohnung der Versuch aller Ideologen geglückt wäre, einen Stock zu konstruieren, der nur ein Ende hat, lies: wenn die mit aller Gewalt verbilligten Mietwohnungen auch noch den Vorzug hätten, für Wohnungswerber verfügbar zu sein.

Ohne das zweite, dickere Ende der „Nulltarif-Ideologie für das Wohnen - nämlich der geringen Neigung sowohl der Hausherrn wie der Mieter, Wohnungen, die bloß eine Bagatelle

bringen und kosten, bereitzustellen bzw. wieder aus der Hand zu geben -wäre es ja schlechterdings ökonomisch pervers, für den Bau eines Eigenheimes oder die Anschaffung einer Eigentumswohnung weit tiefer in die Tasche zu greifen; in anderen Ländern mit ebenso hohem Eigenheimanteil resultiert dieser ja aus der Ersparnis, die man auf längere Sicht erzielt, wenn man nicht einem Hausherrn zu einer stattlichen Kapitalrendite verhelfen muß.

Bleibt also nur die Erklärung, daß sich wegen der angeblich so mieterfreundlichen Wohnungspolitik Hunderttausende Österreicher an einem Eigenheim oder einer Eigentumswohnung finanziell verbluten, zumal da die noch immer dominierende Objektförderung den Haushalt dann am stärksten belastet, wenn seine Belastungsfähigkeit am geringsten ist, nämlich in der Gründungs- und Aufbauphase.

Schon das würde - als erste Konsequenz aus vorstehender Bestandsaufnahme - dafür sprechen, in den achtziger Jahren das Schwergewicht auf die Subjektförderung zu verlegen, die sich dem jeweiligen Haushaltseinkommen elastisch anpaßt; die damit verbundene „Gefahr", daß die Frau auf eine Berufstätigkeit verzichtet, damit die Wohnungsbeihilfe nicht verlorengeht, könnte uns gerade in den achtziger Jahren eher sogar willkommen sein...

Die zweite Konsequenz ist radikaler und bedarf daher einer eingehenderen Begründung. Vorsichtigerweise möchte ich diese zweite Konsequenz als Doppelfrage formulieren: Wie lange brauchen wir noch einen geförderten Wohnbau, und wie lange können wir ihn uns noch leisten?

Die erste Frage überhaupt zu stellen, kommt in Österreich gleich nach dem Kinderschänden. Aber man wird doch noch fragen dürfen, wenn

• auf 7,5 Millionen Österreicher 2,7 Millionen Wohnungen kommen - relativ mehr als in den meisten westlichen Industriestaaten;

• die Bevölkerung Österreichs stagniert und Wien weltweit die so ziemlich einzige Großstadt ist, deren Einwohnerzahl seit 65 Jahren schrumpft;

• doppelt so viel Wohnungen unter-als überbelegt sind.

Wir haben nicht zu wenige Wohnungen, sondern zu einem erheblichen Teil schlechte und vielfach so-

zial fehlbelegte Wohnungen. Was die schlechten, weil zu kleinen oder mangelhaft ausgestatteten Wohnungen betrifft, kann man sie verfallen lassen und dafür neue Wohnungen bauen; das ist das Rezept der „Wegwerfgesellschaft", von der wir eigentlich loskommen sollten.

Oder aber man verbessert den erhaltungswürdigen Althausbestand; dann muß sich der Förderungsschwerpunkt vom Wohnungsbau zur Wohnungsverbesserung verschieben, allerdings mit wirksamen Kau-telen gegen die Vergeudung von Steuergeldern für die Installierung von Badezimmern in Bruchbuden, die abgerissen gehören. (Der Fehlverteilung von Wohnraum kann man überhaupt nur mit der Wohnungspreispolitik - sozial abgepuffert mit Subjektförderung - zuleiberücken.)

Doch einmal ganz abgesehen davon, ob die Förderung des Neubaues von Wohnungen noch sinnvoll ist: Wie lange werden wir sie uns noch leisten können?

Erstens budgetär. Mit weiter steigenden Baupreisen hält in Ermangelung des Rekord wachstums der fünfziger und sechziger Jahre die Finanzierungskraft der Gebietskörperschaften nicht mehr lange Schritt.

Zweitens ökonomisch. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß der Wohnungsbau die bewußte Umleitung von knappem Kapital zur Stätte der geringsten Rentabilität ist, dann hat ihn unlängst die Arbeiterkammer mit der hanebüchenen Forderung erbracht, die Kreditinstitute gesetzlich zu verpflichten, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Einlagen zu einem besonders niedrigen Zinssatzfür die Wohnbaufinanzierung zur Verfügung zu stellen.

Drittens ökologisch: Stadterweiterung anstelle von Stadterneuerung bedeutet nicht bloß Landschaftszerstörung durch Verhüttelung, sondern auch Verkehrserregung und vermehrten Energiebedarf.

Und der legitime Wunsch vieler Menschen, Eigentümer ihrer vier Wände zu sein? Der Abgabe bisheriger Mietwohnungen ins Wohnungseigentum steht rechtlich nichts im Wege. Wirtschaftlich steht dieser Form der Eigentumsverbreitung allerdings solange eine ganze Menge im Wege, wie das, was sich Minister Broda unter einer „angemessenen" Miete vorstellt, nur einen Bruchteil der Amortisation der Hypothek ausmacht, die der frischgebackene Eigentümer einer bisherigen Mietwohnung auf diese zwecks Finanzierung des Eigentumserwerbes aufnehmen müßte.

Für die - gewollte Provokation wird um Verzeihung gebeten. Aber in Wohnungsdingen besteht seit sechs Jahrzehnten . die Provokation ja schon im bloßen Gebrauch des Rechenstiftes ...

(Prof. Horst Knapp ist Herausgeber der Wochenschrift „Finanznachrichten". Ihr ist der Beitrag entnommen.)

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