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Händler der Armut

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Die „Volkshilfe" ist in Verruf geraten. Der lockere Umgang mit fremdem Geld ist aber auch in internationalen Hilfs- organisationen nicht selten. Das behauptet zumindest ein schottischer Journalist.

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Die „Volkshilfe" ist in Verruf geraten. Der lockere Umgang mit fremdem Geld ist aber auch in internationalen Hilfs- organisationen nicht selten. Das behauptet zumindest ein schottischer Journalist.

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Der offenbar nicht gerade sorg- fältige Umgang mit „Volkshilfe"- Spenden für Entwicklungshilfe- und Katastrophenprojekte hat be- trächtliche Empörimg ausgelöst. Zu Recht. Was aber Konsequenzen für die Spendefreudigkeit der Öster- reicher haben könnte.

Das wäre bedauerlich. Denn nach wie vor gibt es eine große Anzahl von Organisationen, die seriös areiten und vom Bestreben getragen sind, den Armen zu helfen oder „Hilfe zur Selbsthilfe" in Problem- ländern zu organisieren. Um die Tätigkeit dieser seriösen In- stitutionen zu sichern, ist es aber wichtig, Unseriöses aufzuzeigen.

Es geht dabei nicht darum, die Argumente bornierter Boulevard- Kolumnisten zu stützen, die die Entwicklungshilfe und die dazuge- hörigen internationalen Organisa- tionen rundweg verdammen. De- nen nichts anderes einfällt als das goldene Bett, das sich vor Jahr- zehnten ein afrikanischer Potentat mit seiner Entwicklungshilfe an- geblich gekauft hat.

Was aber gefordert werden muß, ist eine strengere Kontrolle der schon zahlreich gewordenen Verei- ne und (internationalen) Organisa- tionen. Derzeit kommt es ja eher ei- nem Sakrileg gleich, denjenigen, die doch nur hehre humanitäre Ziele verfolgen und ausschließlich dem Guten verpflichtet sind, auf die Finger zu schauen...

Wer sich zum Beispiel schon darüber gewundert hat, daß es den sogenannten Entwicklungsländern trotz der Milliarden, die angeblich alljährlich dorthin fließen, immer noch schlecht geht, der kann sich nun in dem neuen Buch von Gra- ham Hancock „Händler der Armut - Wohin verschwinden unsere Ent- wicklungsmilliarden?" einige Auf- klärung holen.

An diesem Buch ist bereits die Widmung bemerkenswert. Han- cock, ein schottischer Journalist, widmet sein Buch „... jenen leitenden Beamten der Weltbank(...), die sich im Frühstadium meines Pro- jekts widerrechtlich meine ersten schriftlichen Aufzeichnungen be- schafften und lasen. Ihre Versuche, mir von Beginn an den Zugang zu internen Informationen zu erschwe- ren, haben mich in der Überzeu- gung bestärkt, daß die Institutio- nen der Entwicklungshilfe viel zu verbergen haben."

Anfang der fünfziger Jahre betrug die gesamte bilaterale und multilaterale Entwicklungshilfe nicht einmal zwei Millionen Dollar pro Jahr. Ende der achtziger Jahre sind es rund 50 Milliarden Dollar, die aus öffentlichen Mitteln der Industrieländer an die Dritte Welt fließen. Fließen sie auch wirklich dorthin?

Zunächst wird dieses Geld von offiziellen nationalen und interna- tionalen Hilfsorganisationen ver- waltet und verteilt. Hancock weist nach, daß es Mißbrauch mit der Finanzhilfe nicht nur durch kor- rupte Cliquen in den Empfänger- ländern gibt, sondern auch in den Geberländern und ihren Institutio- nen. Relativ zwanglos bedienen sich dort gefräßige Bürokratien und Ent- wicklungslobbies. Riesige Beam- tenapparate sind entstanden, die vorweg einmal finanziert werden müssen: So verfügt die Landwirt- schaftsorganisation der UNO (die FAO mit Sitz in Rom) allein über 10.000 Beamte - und diese Organi- sation ist nur eine von vielen.

Die Entwicklungshilfe-Organisa- tionen werden von den nationalen Regierungen auch dazu mißbraucht, Beamte abzuschieben, die bis zur Pensionierung bei hervorragender Bezahlung ein nettes Ausgedinge in einem Entwicklungsland haben. Dort wohnen sie luxuriös, verdie- nen im Monat mehr als die Men- schen des „unterstützten" Landes in ihrem ganzen Leben und spielen nachmittags Golf.

Hancocks Fazit: Menschen an Schreibtischen entscheiden über Projekte, von denen sie wenig verstehen, für Menschen, von denen sie kaum etwas wissen. Das ist kei- ne billige Polemik. Hancock belegt diese harsche Kritik anhand vieler Beobachtungen.

Die Effizienz dieses Apparates ist entsprechend. Auch dafür gibt es genug Beispiele. Nur ein absurdes sei hier angeführt: Bei einer Nahrungsmittelhilfe der EG in ein Hungergebiet vergingen nicht weniger als 400 (vierhundert) Tage

zwischen Ansuchen und dem Zeit- punkt des tatsächlichen Eintreffens der ersten Lieferungen. Das ist ein Extremfall: Normalerweise dauert es nur knapp 200 Tage.

Im Zentrum der Kritik Hancocks stehen die großen internationalen Hilfsorganisationen und die Art, in der sie ihr „Geschäft mit der Hilfe" betreiben. Es sind das vor allem die Vereinten Nationen und ihre un- zähligen und häufig unkoordiniert agierenden Unterorganisationen. Das ist aber auch die Weltbank als Geldverleiher und die mit ihr ko- operierende Finanzwelt.

Die erwähnten 50 Milliarden Dollar Entwicklungshilfe sind für die Volkswirtschaften der armen Länder ohne größere Bedeutung, sagt der Autor. Der überwiegende Teil der Menschen dort hat niemals Entwicklungshilfe in irgendeiner Form erhalten oder gesehen. Ob sie da ist oder nicht, ob sie gekürzt wird oder nicht, ist für diese Men- schen und ihren Alltag ohne Be- lang.

Umgekehrt sind die 50 Milliar- den jedoch genug, um Schaden anzurichten. Wie in dem Buch aus- führlich gezeigt wird, stellt diese Hilfe für die Armen oft eine Gefahr dar, schadet sogar ihren eigenen Interessen. Monströse Projekte wurden in Angriff genommen, die unter enormen Kosten die Umwelt und Lebensgrundlagen von Men- schen zerstören; brutale Tyrannen wurden unterstützt; das Entstehen absurder Bürokratien wurde geför- dert, die ganze Legionen selbstsüch- tiger Menschen beschäftigen; Ini- tiative, Kreativität und Unterneh- mungsgeist der einfachen Menschen wurden erstickt und durch zumeist oberflächliche Beratung ersetzt.

Warum all das so wenig bekannt ist? Ganz einfach, sagt der Autor. Die diversen Institutionen können sich aus ihren reichlichen Mitteln natürlich auch hochbezahlte Pu- blic-Relations-Leute leisten. Deren Aufgabe ist es, solche Gedanken gar nicht aufkommen zu lassen.

Die gesamte Konzeption der Ent- wicklungshilfe muß überdacht und neu angelegt werden. Vordringlich j edoch ist-zudiesem Schluß kommt

auch Hancock -, daß die Institutio- nen über ihre Geschäfte Rechen- schaft ablegen. Nicht irgend jeman- dem, sondern den Bevölkerungen der Geberländer. Diese müßten auf ihr Recht, diese Auskünfte auch zu erhalten, massiv pochen.

HÄNDLER DER ARMUT. Wohin verschwin- den unsere Entwicklungsmilliarden? Von Gra- ham Hancock. Verlag Droemer Knaur, Münhen 1989.

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