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Häßliche Sieger

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Das je nach politischem Standpunkt Befürchtete oder Erwartete ist eingetreten: die Democrazia Cri- stiana hat bei den letzte Woche durchgeführten Regional-, Provinzial- und Kommunalwahlen eine empfindliche Niederlage erlitten. Auf der Insel Sizilien erreichten die Verluste der Christlichdemokraten sieben Prozent, auf dem Festland im Schnitt zwei bis vier Prozent. Die Tendenz ist unverkennbar, da auch bei diesem Urnengang das Elektorat im Süden größere Abweichungen als im Norden verzeichnete, also, seinem andersgearteten Temperament und der größeren Unzufriedenheit entsprechend, heftiger reagierte; der Protest gegen die herrschenden Zustände und das Establishment wurde spontan zum Ausdruck gebracht.

Im Lager der Neofaschisten herrscht Siegesfreude. Mit einer ausgerechnet roten, fünf Zentimeter hohen Schlagzeile „Vittorda“ verkündet ihr Organ „Secolo“ (Das Jahrhundert) den errungenen Erfolg, der dem Marsch auf Rom von 1922 gleichsam als zweiter Sieg des Jahrhunderts zur Seite gestellt wird. Auf Sizilien vermochten die Jünger Mussolinis ihren Anhang mehr als zu verdoppeln. Nach Democrazia Cri- stiana und KPI ist die neofaschistische Partei mit ihrem schönen Decknamen „Movimento Sociale Ita- liano“ die drittstärkste Fraktion im neuen Regionalparlament von Palermo. Sie hat ebenso viele Stimmen hinter sich gebracht wie Linkssozialisten und Sozialdemokraten zusammen.

. Ein Großteil des Bürgertums, das im Vertrauen auf geordnete Zustände und auf die wirtschaftliche Entwicklung seine Stimme bisher der Democrazia Cristiana und der Liberalen Partei gegeben hatte, sieht sich jetzt offensichtlich besser durch die deutlich antikommunistische Neofaschistische Partei vertreten, die nicht — wie die Democrazia Cristiana — nach linksaußen schielt und ebensowenig — wie die Liberale Partei — lediglich die Interessen der Hochfinanz und der Großindustriellen vertritt. So läßt sich auch auf dem

Festland ein Rechtsrutsch feststellen, der ebenso unverkennbar wie bedenklich ist.

Wo immer es bisher zu Massenschlägereien kam — zuletzt am Abend nach Bekanntgabe der Wahlresultate in Avola und Caltanis- setta —, waren es regelmäßig Linksund Rechtsextremisten, die sich gegenseitig verprügelten und höchstens in der gemeinsamen Abneigung gegenüber der Linksmitteregierung und ihrem verlängerten bewaffneten Arm einig waren. Erst nach Stunden gelang es in den meisten Fällen

Polizisten und Carabinieri, die Ordnung wiederherzustellen. Die Verstärkung des faschistischen Anhangs verspricht nun für die Zukunft eine zusätzliche Radikalisierung der in Italien ohnehin außergewöhnlich heftigen politischen Auseinandersetzung.

Welche Konsequenzen die Parteien links von der Mitte aus diesem für sie teilweise niederschmetternden Wahlausgang ziehen werden, bleibt abzuwarten. Der Umstand, daß sie — zusammengenommen — die Positionen im großen Ganzen zu halten vermochten, könnte sie veranlassen, vermehrt zusammenzustehen, um den Druck der gefestigten Linksund der beträchtlich verstärkten Rechtsopposition erfolgreich abzuwehren. Denkt jeder nur an sich, dann hat die Stunde des „Centro Sinistra“ — des Regierungskurses links von der Mitte — jedoch bald geschlagen. Dann halten die Linkssozialisten den Zeitpunkt für gekommen, das sogenannte „fortschrittliche politische Gleichgewicht“ mit Kommunisten und Linkskatholiken herzustellen. Ob sie wenigstens aus taktischen Gründen die Zwistigkeiten der Koalition einstweilen zurückstellen oder den Ausgang dieser für ganz Italien bedeutsamen Teil- kommunal-, Provinzial- und Regionalwahlen gerade zum Anlaß einer neuen Regierungskrise nehmen werden? Das ist vorerst in Italien die wichtigste innenpolitische Frage der kommenden Tage und Wochen.

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