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Häuserkampf ist zu Ende

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Vor kurzem unterzeichneten beim zuständigen Bezirksamt die Beteiligten einen Nutzungsvertrag für das Haus Mansteinstraße 10 in Berlin-Schöneberg. Damit ist das letzte von insgesamt 167 besetzten Häusern in Berlin legalisiert worden. War das das Ende der Berliner Hausbesetzer-Szene, die 1981 an die 20.000, meist junge Leute auf die Berliner Straßen brachte?

In der Tat: In den letzten beiden Jahren nahmen immer weniger Leute und Medien von diesem Phänomen Notiz, das 1981/82 auch international Schlagzeilen machte.

Die Anfänge reichen in die späten siebziger Jahre zurück. Anfang 1979 kam es zu ersten Hausbesetzungen. Bis Juni 1981 wurden es 167. Worum ging es dabei?

Auf der einen Seite waren es die unhaltbaren Zustände auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Die eigenartige politische Konstellation West-Berlins verhinderte die in den sechziger und siebziger Jahren vorgenommene zügige Renovierung des Althausbestandes, wie dies in der Bundesrepublik geschehen ist. Hinzu kam noch, daß in Berlin durch verschiedene Steuervorteile (um Bewohner und Unternehmen anzulocken) Abschreibungs- und Abbruchfirmen Tür und Tor geöffnet wurde.

Diese und andere Ursachen (Mietrecht) begünstigten das Leerstehen von Häusern, weil es dem Eigentümer (in den meisten Fällen waren es öffentliche Eigentümer wie Stadt, Gewerkschaften, Genossenschaften etc.) immer noch lukrativer war, die Häuser leerstehen zu lassen als zu vermieten.

Was immer auch die Gründe waren: Selbst für bürgerlich-konservative Kreise und Außenstehende war das Leerstehen und Verkommen von Gründerzeit-Häusern aus der Wilhelminischen Ära ein Skandal. Nicht von ungefähr kam daher das Ergebnis einer Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie im Frühjahr 1981, wonach 51 Prozent der Bundesbürger für die Hausbeset-zer Verständnis zeigten.

Daß die SPD, damals unter Hans-Jochen Vogel bis Juni 1981 in Berlin noch an der Macht, ebenfalls Verständnis zeigte, war nicht weiter verwunderlich, denn der Konkurrenzkampf mit den Grün-Alternativen um jugendliche Wäh'.erstimmen zeichnete sich bereits ab. So forderte die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen am 23. August 1981, daß die „Besetzung sozialwidrig ungenutzter Wohnungen und Häuser von der Strafe ausgeschlossen" bleiben solle.

Damals schössen die seltsamsten Blüten ins Kraut. Längst wurden Bücher darüber geschrieben und der Besuch von Dichtern und Gelehrten zur Vorlesung in besetzten Häusern erweckte den Anschein, hier handle es sich schon um etwas, das respektvoll im Museum aufbewahrt zu werden verdiene, als das Zeugnis einer anderen Zeit.

Uberall gab es Diskussionen, auch im christkatholischen Bereich, was nun moralisch verwerflicher sei: das „sozialwidrige" Leerstehen von Häusern oder deren „rechtswidrige" Besetzung? Bei den Rechtsverletzungen handelte es sich nicht nur um die Hausbesetzung an sich (Hausfriedensbruch), sondern auch Nötigung, Sachbeschädigung und Diebstahl von Strom, Gas und Wasser kamen hinzu (bei letzterem waren alle Bürger die Geschädigten).

Zum andern muß aber betont werden, daß es sich bei der Besetzung auch von leerstehenden Häusern um die Verletzung eines Rechtsstaatsprinzips handelt, an dem kein Weg vorbeiführt. Der Staat als solcher war damals gefordert, einen Weg zu finden, der sowohl den Verfechtern des Rechtsstaates wie jenen der sozialen Demokratie (beides im Bonner Grundgesetz verankert) gerecht wurde.

Daß die Sozialdemokraten unter Hans-Jochen Vogel daran scheiterten, wundert einen nicht, wenn man ihre gegenwärtige ambivalente Politik zu den Grün-Alternativen beobachtet.

Im Juni 1981 wurde Richard von Weizsäcker (CDU) Regierender Bürgermeister von Berlin. Der CDU-Senat versuchte den von der SPD bereits angefangenen Weg verstärkt und konsequent weiterzugehen. Zwischen Hausbeset-zern und Eigentümern wurden sogenannte Nutzungsverträge („Berliner Weg") abgeschlossen. Damit wurden die bislang rechtlosen Zustände legalisiert.

Auch der Höhepunkt der Auseinandersetzung im Berliner Häuserkampf, der Tod von Klaus Jürgen Rattay, der am 22. September 1981 am Rande einer Hausbesetzer-Demonstration von einem Autobus überfahren wurde, konnte diesen Bemühungen letztendlich keinen Abbruch mehr tun. Viele sahen in diesem Tod ein neues Fanal, ähnlich wie im Tod des Berliner Studenten Benno Ohnesorg anläßlich des Schahbesuches 1967 oder wie im Attentat auf Rudi Dutschke am Gründonnerstag 1968. Doch Geschichte läßt sich nicht wiederholen.

So geriet der Tod des nach Berlin zugereisten Rattay in Vergessenheit. Daran wurde auch manifest, daß nur ein Bruchteil der Berliner Hausbesetzer aus der Stadt selbst stammte. Die meisten kamen aus Westdeutschland. Und zunehmend geriet diese Szene unter die Vorherrschaft gewalttätiger Chaoten, denen nicht sosehr die Lösung der Berliner Wohnungsprobleme am Herzen lag, sondern die Lust am Kampf gegen den Staat. Man erinnere sich nur an die wüsten Ausschreitungen am Kurfürstendamm.

Diese Entwicklung und die Tatsache, daß in der Bundesrepublik keine derartige Wohnungsnot (etwa im Vergleich zur ausgebombten Nachkriegszeit) besteht, die ein persönliches soziales Notwehrrecht rechtfertigt, legte letztlich schon am Beginn der Hausbesetzungen den Keim des Scheiterns in diese Bewegung.

Das letzte besetzte Haus in Berlin ist verschwunden. Die Probleme der Stadterneuerung und Wohnungsverbesserung auf der einen, sowie die einer nach wie vor bestehenden und der Gesellschaft gegenüber aggressiven Subkultur bleiben jedoch weiterhin bestehen.

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