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Hafer-Expreß Gleis 7

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Die Eisenbahn ist ein Erre-gungsmittel. Wer das nicht glaubt, studiere die Leserbrief­spalten heimischer Medien. Neben Korruption und Bundesheer bewegt nichts so sehr die Seele des Öster­reichers wie die Mißstände der Bundesbahn, deren Züge zu lang­sam, zu kalt, zu heiß, zu altmo­disch, zu schmutzig, zu schlecht verpflegt und eben überhaupt eine rollende Stätte fürchterlichen Unbehagens sind. Naturgemäß, würde Thomas Bernhard sagen, der merkwürdigerweise dieser alpenländischen Verkehrseinrichtung keine spezielle Beschimpfung ge­widmet hat. Die Bundesbahn - Eine Erregung, ist leider ein versäumter Titel.

Ein Psychiater wie Erwin Ringel könnte uns vielleicht auch den Widerspruch erklären, der darin besteht, daß die meisten Menschen zumindest als Kinder mit der Ei­senbahn spielen und von der Eisen­bahn träumen, um dann in der Realität über ihre wirklichen oder vermeintlichen Unzulänglichkeiten in Haßgefühle auszubrechen, die weit über den Anlaß hinausgehen.

Die Privilegien und Defizite des Bahnbetriebs, je nach Betrach­tungsweise der Bilanz verschuldet oder unverschuldet, tangieren zwar den Bürger, nicht aber direkt den Fahrgast. Und zumindest so freund­lich wie Supermarktkassierinnen, Zöllner oder Taxifahrer sind die Bundesbahnschaffner noch allemal.

Wer je einen Englischkurs für fortgeschrittene Anfänger an der Volkshochschule besucht hat, den ergreift sogar ein unendliches Ge­fühl der Solidarität, wenn er aus dem krachenden Lautsprecher der Schnellzüge die englische Verlaut­barung hört, daß sich der Speise­wagen in der Mitte des Zuges befin­det.

Es kann also nur, Professor Rin­gel und seine Adepten mögen mir den Vorgriff verzeihen, eine Art unerfüllter Liebe oder gar Sexuali­tät sein, die der Eisenbahn solche Aggressionen beschert. Autofahrer können sich bekanntlich durch al­lerlei Zeichen und Flüche spontan abreagieren, der Bahnfahrer hat hingegen nur sein mehr oder weni­ger sympathisches Gegenüber im Abteil, mit dem er das Gespräch durch haarsträubende Beschwer­den und Geschichten über die Ei­senbahn anbahnt. Falls dieses Gegenüber nicht zufällig ein dienst­reisender Eisenbahner oder eines seiner Familienmitglieder ist, be­steht in kürzester Zeit Einigkeit über die totale Verruchtheit und Stumpfsinnigkeit des Bahnbetriebs, aufgelockert durch einander über­bietende Anekdoten, ein wahrer Bernhard-Dialog.

Möglicherweise ist das Ausgelie­fertsein an einen technischen Ap­parat, der in seiner modernen Or­ganisation für den Laien schwer durchschaubar ist, welches den Aggressionsstau hervorruft. In die­sem Falle, der durch Tiefen-Inter­views erhärtet werden müßte, liegt die Bundesbahn mit ihren Verspre­chungen von noch mehr Neuheit und technischem Komfort, mit ihrer Imagepflege durch noch mehr Automaten und high-tech-Kompli-ziertheiten, mit noch mehr Fahr­kartenermäßigungskombinationen und anderen Zukunftsanforderun­gen eigentlich nicht richtig. Ganz abgesehen davon, daß das alles viel Geld kostet und dem Bürger die Schnellstrecke durch den Wiener­wald oder der Tunnel durch den Semmering als staatliche Ver­schwendung erscheinen. Der In­stinkt, der zunächst die Beseitigung naheliegender Mängel fordert, ist so ungesund nicht.

Mitten in die Diskussion um eini­ge dieser aufregenden Neuheiten platzt nun auch noch die Öffnung des österreichischen Zugsverkehrs nach Osten. Eiserne Schiene statt Eisernem Vorhang, soferne der Bahnkörper nicht just voreilig abgeschrieben und verkauft wur­de, wie jener nach Preßburg.

Wozu haben wir eigentlich eine Vergangenheit? Die Pferde-Eisenbahn war's, die uns einst mit den Ländern der Krone verband, aus der Sicht der Postkutsche oder der römischen Stafetten eine „Neue Bahn", eine erregende Novität. Sollen wir im Zeitalter der Nostal­gie und der Postmoderne auf ewig diese natur- und umweltfreundli­che Beförderung vermissen? Wenn Wissenschaftsminister Busek, um den Streit um eine alte Salzkam­mergut-Lokomotive zwischen Mondsee und Bad Ischl zu schlich­ten, ein Lokomotiv-Duplikat bau­en läßt, dürfte der Verkehrsmini­ster Streicher bei wesentlich ratio­nelleren Lösungen nicht zögern und die verläßliche Pferde-Eisenbahn zu neuem Leben erwecken.

Der Image-Gewinn in den Me­dien wäre jedenfalls wesentlich stärker als mit dem ganzen Semme-ring-Tunnel. Hafer-Expreß „Pega­sus" auf Gleis 7, über Freistadt, Budweis nach Prag, fährt ab. Bitte einsteigen und Türen schließen!

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