6964373-1985_08_07.jpg
Digital In Arbeit

Haies al-Assad: Ein Löwe ist müde

19451960198020002020

Bei den ersten Nahostgesprächen der Supermächte seit 1974, die am Dienstag in Wien zwischen Murphy und Poljakow eröffnet wurden, geht es um Palästina, den Golf und vor allem Syrien.

19451960198020002020

Bei den ersten Nahostgesprächen der Supermächte seit 1974, die am Dienstag in Wien zwischen Murphy und Poljakow eröffnet wurden, geht es um Palästina, den Golf und vor allem Syrien.

Werbung
Werbung
Werbung

Wie wenig sich das kleine Syrien als nahöstliche und arabische Großmacht aufspielen kann, solange sich die Supergroßmächte USA und Sowjetunion in diesem Raum auch nur einigermaßen einig sind, beweist die bis heute funktionierende syrisch-israelisehe Truppenentflechtung auf den Golan-Höhen. Sie konnte vor elf Jahren dank der gemeinsamen Bemühungen von Washington und Moskau um eine Befriedung nach dem Oktoberkrieg von 1973 auf die Beine gestellt werden. Seitdem hat sie — nicht zuletzt dank dem vorbildlichen Einsatz des österreichischen Bundesheeres in dem unwirtlichen Niemandsland — alle neuen Nahostkonflikte, im unmittelbar benachbarten Libanon wie am Golf, überdauert.

Hingegen haben es der — in Beirut 1983/84 endgültig gescheiterte — Versuch eines US-Alleingangs zur „Pax Americana” in und um Palästina sowie die sowjetische Unterstützung für alle noch so destruktiven Gegner dieser Politik in den folgenden zehn Jahren verschuldet, daß sich so abenteuerliche Sektierer und Außenseiter wie Hafes al-Assad von Syrien in

Schlüsselstellungen emporschwingen konnten.

Am 10. Februar ist dieser „Löwe”, wie sein arabischer Familienname übersetzt lautet, zum dritten Mal für sieben Jahre zum Präsidenten gewählt worden. Ob er weiter ein brüllender oder nur mehr ein müder Löwe sein wird, Hängt ganz vom Erfolg der Wiener Nahostrunde zwischen Amerikanern und Russen ab. Assad wurde am 6. Oktober 1930 in der nordwestlichen Küstenregion von Syrien geboren. Damals unter dem Namen Latakia eben ein autonomes Gouvernement des französischen Mandatsgebietes in der Levante geworden. Zwischen 1924 und April 1930 hatten die Franzosen dort sogar einen eigenen „Staat” der Alauwiten-Minder-heit zu errichten und sich dem syrisch-arabischen Nationalismus entgegenzustellen versucht. Genau solche Alauwiten waren der junge Hafes al-Assad und sein Bruder Rifaat. Wie viele Angehörige von Minoritäten — man denke nur an die Kärntner Slowenen -taten sich die beiden schon früh durch fast übertriebene Bekenntnisse zur arabischen Nation hervor. Ihre Kindheit im Schoß der schiitischen Ali-Sekte des Küstengebirges vom Dschebel Ansa-rije hat sie jedoch bis heute geprägt. Sowohl in ihrer innersyrischen Personalpolitik, wo sie die eigenen Glaubensgenossen und Angehörige anderer Minderheiten klar vor den mehrheitlich sunnitischen Muslimen von Syrien bevorzugen, wie in der Diplomatie von Damaskus. Anders läßt sich die sonst völlig irrationale Allianz des areligiösen syrischen Staates mit dem iranischen Gottesreich der Ayatollahs einfach nicht erklären. Es zählt einfach die Tatsache, daß Chomeini wie Assad Schiiten sind, die beide den Imam Ali über alles stellen.

Im Schöße des Baath

Schon auf der Offiziersschule geriet der Flieger-Kadett Hafes al-Assad unter den Einfluß einer von anderen syrischen Minderheitenvertretern, den orthodoxen Christen, getragenen politischen Bewegung: des Baath, mit vollem Namen „Sozialistische Partei der Arabischen Wiedergeburt”. Diese um den in Damaskus residierenden Patriarchen von Antiochia gescharte Gruppe hatte früher unter dem Schutz der russischen Zaren gestanden. Ihre Dankbarkeit und Sympathien dem „Mütterchen Rußland” gegenüber wurden später recht unkritisch auf die Sowjetunion übertragen. So kam es, daß auch dem Baath des Orthodoxen Michael Aflak zum Programm der arabischen Einheit, Bündnisfreiheit und sozialen Reformen die Hinwendung zu Moskau in die Wiege gelegt worden war.

Von den Russen lernte der Flieger Assad zunächst ihre MIG-Kampfbomber kennen, nachdem Chruschtschow 1955 die Waffenlieferungen an Nasser aufgenommen hatte. Unter dessen Führung war Syrien von 1958 bis 1961 mit Ägypten in der „Vereinigten Arabischen Republik” zusammengeschlossen. Genau in diesen Jahren entwickelte Hafes al-Assad seine eigenen Vorstellungen von einem Bund arabischer Vaterländer unter Führung eines Syrien, in dem wiederum seine Alauwiten den Ton angeben sollten.

Verbissen arbeitete der inzwischen wegen seiner militärischen Qualitäten zum Geschwaderkommandanten emporgerückte Hafes, schon damals unterstützt durch Bruder Rifaat, auf dieses Ziel hin. Kein Wunder, daß fürs Privatleben kaum mehr Zeit blieb. Noch heute is Hafes al-Assad der persönlich unbekannteste arabische Staatschef. Nur seine Vorliebe für Schwimmbäder in den heißen syrischen Sommern sickerte durch. Noch weniger ist über das Verhältnis von Hafes zur holden Weiblichkeit bekannt. Kein Wunder bei einem Sproß der

Alauwiten, die den Frauen ihren Platz sogar nach den Haustieren unter dem Mobiliar zuweisen. Als 1963 die Baath-Partei in Damaskus die Macht ergreift, ist Assads Weg an die Spitze mit vorprogrammiert. Gegen den gemäßigten sunnitischen Flügel schließt er seine Alauwiten mit den Drusen zusammen. Eine Allianz, die später für Libanon verhängnisvoll wird, nachdem Syrien ab 1976 weite Teile des Nachbarlandes mit besetzt hält. In Syrien taten sich die alauwitischen und drusischen Baathisten schon damals im Namen des „perrrianenten Kampfes” gegen Israel zusammen. Assad und die von ihm abhängigen Palästinenser in den Reihen der „Saika” und der Fa-tah-Rebellen um Arafats Gegenspieler Abu Mussa haben diese militante Linie bis heute beibehalten.

Chronischer Störenfried

Generalmajor Salah Dschedid, der nach dem Putsch vom Februar 1966 die Baath-Führung übernimmt, bringt den nunmehrigen Luftmarschall Assad als Verteidigungsminister erstmals in ein Regierungsamt. Im Herbst 1970 übernimmt er die Führung des Kabinetts und läßt sich am 2. März 1971 vom „Syrischen Volksrat” zum ersten Mal als Präsident wählen.

Zu Beginn dieser dritten Amtszeit macht der syrische Löwe nach schweren Herzanfällen und inneren Kämpfen im Lande, bei denen sich Bruder Rifaat als brutaler Schlächter hervortat, tatsächlich einen müden Eindruck. Zeit für die Supermächte, den chronischen Störenfried zwischen Mittelmeer und Golf, im Libanon wie bei der PLO, endlich gemeinsam zur Ordnung zu rufen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung