6857055-1977_20_04.jpg
Digital In Arbeit

Halten wir eine weitere Million aus?

Werbung
Werbung
Werbung

Horrorzahlen publizierte dieser Tage das Bautenministerium auf Grund einer Studie von Österreichs Verkehrsexperten Nummer 1, Hermann Knoflacher: Der gegenwärtige Verkehrssalat samt Parkplatzmisere ist erst ein bescheidener Anfang, die Motorisierung steigt weiter an, bis 1985 werden eine Million Kraftfahrzeuge mehr - das sind zusätzliche 60 Prozent - Österreichs Straßen verstopfen. Dann erst werde die „Vollmotorisierung“ erreicht sein und ein Wachstumstopp eintreten.

Nun, Prognosen haben im allgemeinen die Eigenschaft, nicht einzutref- fen. Dennoch wäre es falsch, ihre unangenehme Botschaft verdrängen zu wollen, den Dingen ihren Lauf zu lassen und darauf zu vertrauen, daß schon irgendetwas passieren werde.

Auf Selbstregulierungskräfte ist gerade auf dem Gebiet der Motorisierung kein Verlaß. Das soziologische Institut der Wirtschaftsuniversität Wien unter Leitung von Prof. Anton Burghardt hat vor kurzem in einer Studie über „Die Haushaltsvariable der Inflation“ festgestellt, daß die Präferenz für den „fahrbaren Untersatz“ bereits jetzt sehr groß ist und noch weiter im Steigen begriffen ist.

Bereits jetzt sei das Gros der Bevölkerung zu Einschränkungen hinsichtlich nahezu allen anderen Bedürfnissen eher bereit als hinsichtlich des Autos. Diese Tendenz werde in Zukunft noch intensiviert, da die Nichtmotorisierten allmählich aussterben und die nachrückenden Generationen das Auto für eine unverzichtbare Selbstverständlichkeit halten.

Auch unter sehr negativen konjunkturellen Voraussetzungen ist daher mit einem Anwachsen der Verkehrslawine zu rechnen. Ein passives Abwarten der Entwicklung wäre daher unverantwortlich, r

Nicht einmal darauf, daß 1985 die „Vollmotorisierung“ mit einem Pkw auf durchschnittlich 2,5 Personen erreicht sein werde, können wir vertrauen. Hatte man uns doch in den fünziger Jahren versichert, die ominöse Vollmotorisierung werde mit einem Pkw für vier Personen erreicht sein. Inzwischen ist diese Norm bereits überschritten - und die Motorisierung intensiviert sich weiter. Wenn es nach den Vorstellungen der Automobilfabriken vom Zweit- und Drittwagen geht, wird auch die neue Relation 1:2,5 noch korrigiert werden müssen.

Was die Verkehrsexperten als Re- medur empfehlen, ist problematisch genug: Noch mehr und breitere Straßen, mehr Parkplätze, mehr Tiefgaragen, Lockerung des Schienenstraßenparkverbots in den Städten, alle Parkplätze ausnahmslos gebührenpflichtig usw.

Aber die Motorisierung ist eine viel zu ernste Sache, als daß man sie den Verkehrsexperten allein überlassen könnte. Es fragt sich, ob unsere Auf gabe tatsächlich darin besteht, die Voraussetzung für eine weitere Million Autos zu schaffen, ob wir uns nicht lieber den Kopf darüber zerbrechen sollten, wie wir eine weitere Zunahme der Motorisierung verhindern können. Dafür sprechen nämlich gewichtige Gründe:

• Die konstante Erweiterung der Verkehrsflächen führt immer häufiger zur Zerstörung von kunsthistorischer Substanz in den Städten und von schutzbedürftigen Landschaften.

• Autoabgase in den Städten, aber auch entlang von agrarischen Kulturflächen stellen bereits eine ernste Gesundheitsgefahrdung dar.

• Die Importe von Treibstoff und Kraftfahrzeugen gehören bereits heute zu den gravierendsten Negativposten unserer schwer defizitären Handels- und Zahlungsbilanz. Eine konstante Erhöhung dieser Post ist wirtschaftspolitisch nicht zu verantworten. Mit abenteuerlichen Projekten wie beispielsweise der Schaffung einer eigenen österreichischen Pkw- Produktion ist das Problem bestimmt nicht zu lösen.

• Der steuerliche Gewinn aus der zunehmenden Motorisierung (Kfz-Steu- er, Mineralölsteuer usw.) für die öffentliche Hand kompensiert in keiner Weise die immer höheren Kosten, die die einigermaßen adäquate Bewältigung des wachsenden Verkehrs mit sich bringt. Es resultieren daraus daher immer neue Belastungen für die ohnehin schon schwer passiven Budgets des Bundes und der Gebietskörperschaften.

• Die internationalen Erdölreserven werden immer knapper,, ihre Gewinnung wird immer schwieriger und teurer, die Abhängigkeit von den wenigen Förderstaaten immer problematischer. Wenn sogar der Erdölgigant USA an Restriktionen denkt, zeigt dies deutlich, wie prekär die Situation bereits ist.

Die Motorisierung ist also längst nicht mehr ausschließlich ein Problem genügend großer Verkehrsflächen. Die zu erwartenden - und teilweise bereits eingetretenen Folgeschäden sind so groß, daß wir unbedingt nach Mitteln und Wegen suchen müssen, die Autolawine so bald und so schnell wie möglich zu stoppen. So wenig gegenwärtig ein genereller Wachstumsstopp empfehlens- und wünschenswert wäre, für einzelne Teilbereiche ist er durchaus anzustreben. Und zu diesen Teilbereichen gehört ganz bestimmt die Motorisierung.

Sicherlich sind alle Maßnahmen gegen den Fetisch Auto unpopulär. Aber wir müssen uns endlich zur Erkenntnis durchringen, daß es so wie bisher nicht weitergeht - und die Politiker aller Couleurs müßten die Courage haben, der Bevölkerung dies endlich zu sagen und politisch danach zu handeln.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung