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Hamlets der V. Republik

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Die nichtmarxistische Linke Frankreichs möchte zu gerne politische Aristokraten stellen, welche in den hohen Burgen des Staates, also gegenwärtig in den Amtsräumen der verschiedenen Ministerien regieren. Ein Politiker dieser Art ist ohne Zweifel Francois Mitterrand, seit dem Kongreß Juni 1971 in Epiney gekürter Chef der neuen sozialistischen Partei und geschmückt mit dem schlichten Titel „Erster Sekretär“. Da Mitterrand ein überaus gebildeter Mann ist, wird er sicherlich die Dramen Shakespeares auswendig kennen; und gelegentlich wird er sich wohl an Hamlet erinnern: der unglückliche dänische Königssohn könnte zur Zeit als Symbol für die sozialistische Partei dienen.

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Die nichtmarxistische Linke Frankreichs möchte zu gerne politische Aristokraten stellen, welche in den hohen Burgen des Staates, also gegenwärtig in den Amtsräumen der verschiedenen Ministerien regieren. Ein Politiker dieser Art ist ohne Zweifel Francois Mitterrand, seit dem Kongreß Juni 1971 in Epiney gekürter Chef der neuen sozialistischen Partei und geschmückt mit dem schlichten Titel „Erster Sekretär“. Da Mitterrand ein überaus gebildeter Mann ist, wird er sicherlich die Dramen Shakespeares auswendig kennen; und gelegentlich wird er sich wohl an Hamlet erinnern: der unglückliche dänische Königssohn könnte zur Zeit als Symbol für die sozialistische Partei dienen.

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Hier geht es wirklich — selbst wenn man jede Dramatik vermeidet — um das „Sein oder Nichtsein“ der nichtmarxistischen Linken in der V. Republik. Auf der einen Seite stehen die dringenden Einladungen der kommunistischen Partei, ein wahltaktisches Abkommen zu schließen, das auf einem gemeinsamen Regierungsprogramm basiert. Auf der anderen Seite lockt die Reformbewegung, angeführt vom wendigsten und sicherlich einem der intelligentesten Polit-Technokraten unserer Gegenwart. Der Präsident der radikal-sozialistischen Partei, Ser-van-Schreiber, hat sich mit dem rechtsstehenden Zentrum Lecanuets koaliert und richtet ebenfalls unmißverständliche Aufforderungen an die Sozialisten, die Gespräche mit der KPF abzubrechen und eine nichtmarxistische linke Alternative zu begründen, die jedoch eine Mittelposition beibehält.

Nachdem die Pariser Orakel von einem Wahltermin noch in diesem Jahr murmein — die Erneuerung des Parlaments sollte verfassungsgemäß erst in 15 Monaten stattfinden — wird die sozialistische Partei nicht umhin können, 'in den nächsten Monaten eine endgültige Front zu beziehen. Mitterand zögert diesen Entscheid noch hinaus. Er legt den Schwerpunkt seiner politischen Arbeit auf doktrinäre Programmdiskussionen und auf eine Verstärkung des eigenen Parteiapparates. Ein.

Dogma seines Glaubensbekenntnisses lautet: „Ich werde nur dann mit den Kommunisten verhandeln, wenn ich als gleichstarker Partner auftreten kann.“ Entsprechend einigen Meinungsumfragen der letzten Wochen, hat sich sein Image innerhalb der kommunistischen Wählermasse geformt. Er zieht politisch interessierte Jugendliche, mittlere technische Führungskräfte und die sozialistisch denkende Intelligenz an. Alle Beobachter stimmen überein, daß sich die Strukturen der sozialistischen Partei seit Monaten entscheidend ändern. Unter der zwanzigjährigen Amtsführung Guy Mollets mauserten sich die Sozialisten zu einer Sammelbewegung staatlicher und städtischer Angestellter heraus. Sie verlor auf alle Fälle die Kraft einer Arbeiterpartei. Die Jugend wanderte zuerst zur sozial-revolutionären PSU ab und fand nach 1968 eine politische Heimstätte in extrem linken Gruppen und Zirkeln. Die einst mächtige Partei — 1945 zählte sie 350.000 Mitglieder. Juni 1971 knapp 80.000 — büßte an Elan ein, vereiste und versagte dem Nachwuchs jede Chance. Bis zum Sammelkongreß in 'Epiney setzte sich die Mehrheit der Funktionäre aus Personen zusammen, die mehr als 50 Lenze zählten.

Die sozialistische Partei hatte mehrfach ihren Anhängern . eine Neuerung versprochen. Nach ' langen internen Machtkämpfen würde Guy Mollet durch den Theoretiker Alain

Savary ersetzt. Im Jahre 1969 unternahm die SFIO zwei Initiativen, die nichtkommunistischen Linken in einer Partei zu vereinigen. Diese Projekte scheiterten kläglich. Im Gegenteil, die nichtkommunistischen Linken verfielen in verschiedene Tendenzen und gerieten vielfach in den Sog der mächtigen kommunistischen Partei. Savary leitete ideologische Gespräche mit der KPF ein und schien vor den Forderungen der Kommunisten zu kapitulieren.

Drei Ereignisse der vergangenen Monate haben jedoch das Gewicht der neuen sozialistischen Partei verstärkt und verleihen ihr politische Ausstrahlungskraft. Seit Sommer 1971 schreitet der Prozeß der Selbstauflösung der extremen Linken mit Riesenschritten voran. Nur die Anhänger der IV. Internationale der Trotzkisten konnten sich aus diesem Schiffbruch retten. Sie stiegen in den Rang einer etablierten Partei auf. Eng verbunden mit diesen Vorgängen war die Neuorientierung der zweitgrößten Gewerkschaftszentrale, der CFDT. Diese, bis 1962 als christlich firmierende Arbeitnehmerorganisation kultivierte Ideologien, welche sie in die Nähe der Maoisten und Trotzkisten rücken. Bezeichnenderweise war es die CFDT, die in den Krisentagen des Mai 1968 die rebellierenden Studenten unterstützte. Diesbezüglich kam es zu heftigen Scharmützeln zwischen der orthodoxen kommunistischen CGT und dem unbestrittenen Chef der CFDT, Eugene .Descamps. Letzterer ist vor kurzem aus seinem Amt geschieden. Sein. Nachfolger,, Maire, dem ebenfalls utopische sozialistische Ideen nachgesagt wurden, leitete einen konstruktiven Dialog mit der sozialistischen Partei ein. Die CFDT mit mehr als 700.000 Mitgliedern, festgefüg-

(Fortsetzung auf Seite 2)

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