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Handelsware Sicherheit

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Sicherheit und Menschenrechte werden im KSZE-Prozeß oft gegeneinander ausgespielt. Die Praxis zeigt die Unmöglichkeit, Sacharow gegen Nuklearraketen zu tauschen.

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Sicherheit und Menschenrechte werden im KSZE-Prozeß oft gegeneinander ausgespielt. Die Praxis zeigt die Unmöglichkeit, Sacharow gegen Nuklearraketen zu tauschen.

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Wenn man die einzelnen KSZE-Körbe betrachtet, und für die Relation von Sicherheit und Menschenrechte ist wohl vor allem Korb drei gemeint, so ist schon hier ein Unterschied anzumerken. Nach einer groben Katalogisierung fällt in diesen Korb vor allen Dingen die Menschenrechtsfrage — so wird es zumindest im Westen und in der hiesigen Öffentlichkeit verstanden.

Die andere Lesart ist wohl die, daß in diesem Korb eben auch andere Vereinbarungen getroffen worden sind, die über den Begriff der Menschenrechte hinausgehen. Während in sozialistischen Ländern der gesamte Inhalt einer kritischen Betrachtung unterzogen wird, glaubt man im Westen — vor allen Dingen auf der Ebene der Propaganda — sich auf Menschenrechte beschränken zu können.

Ist doch auch hier der Inhalt des

Begriffes Menschenrechte etwas schwierig zu definieren. Wenn in westlichen Demokratien der Begriff Menschenrechte verwendet wird, so bezieht er sich hauptsächlich auf die Ebene der persönlichen und individuellen Rechte des Menschen (wie etwa in der Französischen Revolution geprägt), während wiederum der östliche Verhandlungspartner weit darüber hinausgeht und etwa kollektive Menschenrechte betont.

Manifestiert sich das Festhalten des Westens an Inhalten wie freie Artikulierung in den Medien, Freizügigkeit des Bürgers bei der Wahl des Wohnortes, Reisen, so stützt sich die andere Seite auf das Menschenrecht auf Leben, Arbeit, Wohnung, soziale Gerechtigkeit.

Die begriffliche und inhaltliche Verbindung von dem Recht auf Leben mit der Frage der Sicherheit, die ja im Zeitalter des nuklearen Overkills die Basis des Zusammenlebens stellt — charakteristisch für eine ideologische Argumentation — leitet auch über zur zweiten Ebene. Es scheint fast so, als ob die Werte Freiheit und Leben gegeneinander stehen würden. Auf der anderen Seite sind aber ebenso viele gemeinsame Grundlagen auf dem Gebiet der Menschenrechte festzustellen, die immer deutlichere Konturen gewinnen, sobald man das Feld der Propaganda verläßt.

Das Scheitern von Bern ist ein deutlicher Hinweis auf die hier vorhandenen Unterschiede. Die USA haben, nachdem von den

N+N-Ländern ein schon von der östlichen Seite akzeptierter Kompromiß erarbeitet wurde, die Konferenz doch noch platzen lassen. Speziell die UdSSR hatte größere Konzessionen gemacht, die den humanitären Austausch betreffen.

Was die Sicherheit anlangt, so stellt für die UdSSR die Verknüpfung mit der Menschenrechtsfrage eine unzulässige Vinkulierung dar, da im Wertsystem die Gefahr des Weltunterganges in keinem Falle mit Argumentationen aus Korb drei vermengt werden könne.

Wenn dies im Westen dennoch getan wird und mit der Bedrohung durch ein dem Charakter nach angeblich autoritäres Regime begründet wird, so wird dies als Einmischung in die inneren Angelegenheiten betrachtet, die ebenfalls gegen die Schlußakte gerichtet wäre.

Doch hat sich gerade auf dem Gebiet der europäischen Sicherheit vieles geändert. Nicht nur daß von sowjetischer Seite der Abbau sämtlicher Atomwaffen bis zum Ende des Jahrtausends gefordert wird, auch eine vollständige Nullösung bei Mittelstreckenraketen scheint, nach einem Einpendeln auf noch zu vereinbarende Obergrenzen, denkbar.

Grob gesagt wäre es auf der moralischen Ebene unmöglich, Sacharow gegen Nuklearraketen zu tauschen. Aber nicht nur auf dieser Ebene, sondern auch in der realen Politik, der Machtpolitik, erscheint es undenkbar, daß sicherheitspolitische Konzeptionen und Strategien von einer Vermengung der beiden Körbe abhängig gemacht werden.

Sicherlich ist es so, daß alle vier Körbe zusammenhängen und man sie auch nur so komplex behandeln, analysieren und die begangenen Verfehlungen auf allen Seiten kritisieren kann. Auch wenn die westliche Seite darin verharrt, ihre eigene Existenz und ihr Wesen basierend auf der Einhaltung von bürgerlichen Rechten und Menschenrechten darzustellen — schon die bestehende Kritik an der realen Umsetzung der moralischen und philosophischen Wertvorstellungen auch von innen her läßt Zweifel am Nutzen einer Verbindung ausgerechnet dieser beiden Körbe aufkommen.

Die sogenannte Bedrohung aus dem Osten existiert vor allen Dingen als Motivation zur Verstärkung der eigenen Sicherheitsanstrengungen, das verstehen breite Kreise im Westen und große Teile der Friedensbewegung. Das mangelnde Vertrauen beweist auf beiden Seiten, daß auch hier noch viel gearbeitet werden muß, und das ist ja wiederum ein anderer Korb der Schlußakte. Man sieht also, daß nur eine Vinkulierung aller vier Körbe zu einem konkreten und für alle Seiten akzeptierbaren Erfolg führen wird. ' Der relative Erfolg von Stockholm (KVAE, siehe unten) wird von drei Leitern von Delegationen verschieden beurteilt: In Interviews weist der amerikanische Delegationsleiter auf „die Vereinbarung über eine Uberprüfung und Inspektionen vor Ort (als) das wichtigste Ergebnis“ hin; sein Kollege aus der Delegation Schwedens sieht als „das Positivste das bessere gegenseitige Verständnis, die Achtung voreinander und die Möglichkeiten zu weiteren Kontakten zwischen allen Teilnehmerländern“. Der Leiter der Delegation der Volksrepublik Polen betont drei Punkte, und zwar die Verpflichtung zur Einhaltung der Abkommen in gleichem Maße, die Erfassung des gesamten Raumes vom Atlantik bis zum Ural (also ein geographisches Element) und die Verstärkung des Prinzips der Nichtanwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen.

Wie auch immer der Verlauf des Helsinkiprozesses jetzt in Wien einer Uberprüfung unterzogen wird, der von Egon Bahr formulierte und von der Sowjetunion propagierte Grundsatz der Gleichheit und gleichen Sicherheit als Grundlage zur Lösung der anstehenden Probleme und der Festigung der bestehenden internationalen Beziehungen friedlicher Art, wird kaum zu umgehen sein. Dies gilt sowohl für die einzelnen Körbe an sich als auch für die Gesamtbetrachtung.

Der Autor ist Mitarbeiter des (moskauorientierten) Internationalen Instituts für den Frieden in Wien.

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