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Harren und Murren

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In Westeuropa herrscht „freundliche Unaufmerksamkeit” gegenüber der Kirche. Man kann von keiner areligiösen, nur von einer entkirchlichten Gesellschaft reden.

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In Westeuropa herrscht „freundliche Unaufmerksamkeit” gegenüber der Kirche. Man kann von keiner areligiösen, nur von einer entkirchlichten Gesellschaft reden.

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Die Erfahrung der Ferne Gottes in einer apokalyptisch verstandenen und empfundenen Welt, die Nähe Gottes, sein Inder-Welt-Sein und Weiterwirken und eine neue christlich geprägte synkretistische Gesellschaft waren die herausragenden Themen hei den diesjährigen Salzburger Hochschulwochen vom 27. Juli bis 8. August.

Im Augenblick zählt eine Gesellschaft, die sich gar nicht so sehr als atheistisch versteht - die Atheisten machen acht bis neun Prozent der westeuropäischen Bevölkerung aus -, die Christen, die sich mit der Lehre und den Geboten der Großkirchen identifizieren, werden mit 20 bis 25 Prozent angegeben, aber jene zwei Drittel dazwischen suchen sich aus der Lehre ihrer Kirchen jene Gebote und Äußerungen aus, denen sie zustimmen und die sie ablehnen.

So habe man, berichtete der Kölner Soziologe Erwin K. Scheuch, bei 50 Prozent der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland festgestellt, daß sie dem Papst in Sachen Friede absolut zustimmen, seine Äußerungen über die Geburtenregelung aber als belanglos ansehen.

Scheuch, der über „Das Weltlichwerden der Privatsphäre” sprach, zeigte zunächst die Gegentendenzen gegen Peter I. Bergers These vom „Abschied vom Ubernatürlichen”. Allerdings sei es unzulässig, bei den Erschei--nungen wie Reislamisierung, den oft wunderlichen Sektenbewegungen in den USA und in Westeuropa von einer Trendumkehr zu sprechen. Der Terminus „Fundamentalismus” kläre überdies gar nichts. In Westeuropa hingegen herrsche eine „freundliche Unaufmerksamkeit” gegenüber den Kitchen, man könne zwar von einer entkirchlichten, aber nicht areligiösen Gesellschaft sprechen.

Uberschätzen dürfe man auch dies nicht, meinte Scheuch, „was sich wirklich geändert hat, ist das öffentliche Erscheinungsbild; weder waren die Menschen früher so christlich wie es den Anschein hatte, noch sind die heutigen Menschen so antichristlich, wie es die Massenmedien, gestützt auf eine zweifelhafte Interpretation von Umfrageergebnissen, glauben machen wollen.”

Zu diesem Befund vermochten vor allem die theologischen Themen dieser Hochschulwochen nichts beizutragen. Weder Wolfhart Pannenbergs (München) Aussage, daß die christliche Theologie darauf bestehen müsse, daß die Welt der allgemeinen menschlichen Erfahrung Schöpfung Gottes ist, noch Walter Kirchschlägers Satz: „Die Welt ist Ort, aber nicht Ziel christlicher Existenz” sagen zur tatsächlichen Situation etwas aus.

Und Helmut Merklein aus Bonn vermochte zwar wissenschaftlich interessante Fakten zur „Reich-Gottes-Verkündigung Jesu” vorzulegen, aber auch er erklärte das Verhältnis von säkularer und religiöser Welt noch nicht hinreichend.

Diese beiden Welten sah der Philosoph und Theologe an der Pädagogischen Fakultät in Bonn, Heinz Robert Schlette, noch unbewegt und starr in alten Frontstellungen einander gegenüber. Sein letzter Ansatz zum Thema „Grenze” deutete an, wie eine skeptische Religionsphilosophie letztlich doch Unzugängliches bei religiöser und profaner Weltdeutung zugänglich machen könne. Schlette führte in die Bereiche, in denen das Wesentliche nicht mehr in Worte zu bringen ist, wo jedes Wort mehr begrenzt als es klärt: wo im Anblick des Ungeheuerlichen philosophisch nur mehr zu schweigen, angesichts des Unaussprechbaren nur mehr in Trauer ausharrendes Verweilen möglich ist.

Wie ist dann die erfahrene Gottesferne zu ertragen und zu deuten? Als mögliche Chiffre führte Schlette eine kosmische Religiosität an. Für heute empfiehlt er „Harren und Murren” als Haltungen postsäkularer religiöser Weltdeutung. Nimmt man die äußerste Erfahrung von Leiden, Schuld und Sinnlosigkeit als Ausgangspunkt einer Religion, so sind die Folgen Empörung, Revolte, Klage, Protest und Blasphemie: ein Aufschrei aus dem Schweigen.

Apokalypse ist geschichtlich plausibel geworden: Karl-Josef Kuschel vom Institut für ökumenische Forschung in Tübingen zeigte in seiner Vorlesung über „Religiöse Dimensionen in der modernen Literatur” die ins Greifbare fortgeführte Konkretisierung der Thesen Schlettes, etwa in Heinrich Bolls neuer Sakra-lisierung des Profanen.

„Der zerbrochene Traum vom Gottesreich” schließlich demonstrierte die Apokalypse in der modernen Literatur. Die Verwerfungen einer Zeit wurden in den Beispielen deutlich, etwa in einem Gedicht Peter Hüchels mit dem Titel „Psalm”, in dem es heißt: „Die Öde wird Geschichte/Termiten schreiben sie/Mit ihren Zangen/In den Sand/Und nicht erforscht wird werden/Ein Geschlecht/Eifrig bemüht/Sich zu vernichten.

Dagegen hält der Bonner Moraltheologe Franz Böckle, der im Geschehen von Karfreitag und Ostersonntag für den Christen den Grund seiner Hoffnung sieht. Böckle hatte sich auch gegen das vatikanische Verdikt der In-vi-tro-Fertilisation ausgesprochen, denn als Therapie der Sterilität könne wohl nie und nimmer dem Zeugungsakt die Würde genommen werden, da die technische Hilfe allein den Keimzellen den Weg zueinander zu bahnen vermag.

Welt in Gott - Gott in Welt: Ein Thema, für das zwei Wochen wohl zu wenig sind, die Frage des Verhältnisses von Profanem und Sakralem mehr als andeutungsweise abzuhandeln.

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