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Hartes, weiches Kartell

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Wie ein roter Faden zieht sich durch die internationale Energiepolitik eine immer schärfer werdende Trennungslinie zwischen amerikanischen und europäischen Interessen. Sie ist gezogen durch die unterschiedliche Stellung der beiden VVirtschaftsräume gegenüber den .ölproduzierenden Staaten und ihrer Politik, aber auch durch das Bemühen, eine europäische Identität zu schaffen. Zwischen den Sorgen an der US-Wirtschaftsfront und dem Sieg von Kreml-Falken über den US-Handelsvertrag scheint Präsident Ford derzeit die ölfront als „Auffangstellung” zu sehen.

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Wie ein roter Faden zieht sich durch die internationale Energiepolitik eine immer schärfer werdende Trennungslinie zwischen amerikanischen und europäischen Interessen. Sie ist gezogen durch die unterschiedliche Stellung der beiden VVirtschaftsräume gegenüber den .ölproduzierenden Staaten und ihrer Politik, aber auch durch das Bemühen, eine europäische Identität zu schaffen. Zwischen den Sorgen an der US-Wirtschaftsfront und dem Sieg von Kreml-Falken über den US-Handelsvertrag scheint Präsident Ford derzeit die ölfront als „Auffangstellung” zu sehen.

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Bei Kissingers bedingungsweiser Antwort auf die Frage, ob die Vereinigten Staaten niemals Gewalt anwenden würden, um eine erpresserische arabische Ölpolitik zu brechen, war die vorangegangena Fragestellung nicht sonderlich intelligent: denn jeder verantwortliche Politiker einer Großmacht muß kundtun, daß er der kalten Strangulierung seines Landes nicht tatenlos Zusehen kann. Äußert er sich nicht in diesem Sinn, so hat die Großmacht aufgehört, Großmacht zu sein. Man investiert nicht Jahr für Jahr über 100 Milliarden Dollars in ein Verteidigungsbudget, um dann dem Steuerzahler zu sagen, das sei nur als Abschrek- kung gedacht gewesen. Nicht, daß diese Erklärung in den USA jedermann erfreut hätte — auch hier gibt es Politiker mit schlechten Nerven. Aber noch viel weniger gefreut haben die europäischen Kommentare, die einen Grad von Liebedienerei gegenüber den arabischen Staaten enthüllten, der an einen Verlust der Selbstachtung grenzt. Es ist gar nicht von der Hand zu weisen, daß die Worte Kissingers sehr wohl überlegt waren. An sich ist der amerikanische Außenminister kein Bra- marbasierar, dem das Temperament durchgeht. Er weiß auch genau, daß er im Augenblick die delikatesten Verhandlungen um die Zukunft des Mittelostens zu führen hat und daß bei der Sensibilität der Gegner, zwischen denen er zu vermitteln hat, jedes unbedachte Wort ein Faktor werden kann. Es ist aber durchaus möglich, daß Kissinger den Arabern gerade im Zeitpunkt der Absage des Besuches Breschnjews in Ägypten mittailen wollte, sie mögen sich nicht unbedingt auf sowjetische Waffenhilfe im Falle eines Konfliktes verlassen. Denn es hat in der Geschichte schon des öftern Teilungen von Interessensgebieten zwischen Rivalen gegeben. Man muß dabei gar nicht bis zu den Teilungen Polens zurückgehen. Auch dieses heutige russische Regime hat es fertiggebracht, mit Adolf Hitler Polen zu feilen. Auch die Sowjets können zusätzliches Erdöl brauchen; man hört sporadisch und vor allem aus amerikanischen Quellen, die zur Entwicklung sowjetischer Energieprojekte herangezogen wurden, von Energieknappheit im COMECON- Bereich. Daß so eine Neuverteilung der Energievorkommen erfolgen müßte, bevor noch eine dritte Weltmacht, nämlich Rotchina, ins Spiel kommt, ist klar. Nun denkt in den USA niemand daran, solche Pläne, die als Kontingenz in den Laden des Generalstabs liegen, zu entsiegeln. Aber in der Außenpolitik der Großmächte muß auf Trümpfe verwiesen werden können, um dem Gegner seine reale Position klarzumachen. Sonst könnte der Moment eintreten, in dem der Trumpf wirklich ausgespielt werden muß und das will niemand.

Daß sich die Gegensätze an dem Kissinger-Stat-ement entzünden würden, war eigentlich klar. Die Trennungslinie ist aber auch deutlich in den Plänen erkennbar, die jetzt über die Finanzierung der Ölimporte ausgearbeitet werden. Zu entscheiden ist über einen Kissinger-Simonplan, der einen 25-Milliarden-Dollar- Fonds schaffen will, aus dem an notleidende Ölimporteure zur Stabilisierung ihrer Zahlungsbilanzen langfristige Kredite gewährt werden sollen. Dieser Fonds soll im wesentlichen von den ölimportierenden Industrieländern, den USA, Japan und den EG-Ländem gespeist werden. Die Hauptbeiträge würden aus den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik kommen. Es ist also eine Art von Selbsthilfeplan, der den sich immer mehr verschuldenden Importeuren durch Verbesserung ihrer Zahlungsbilanz mehr Flexibilität und Sicherheit gewähren könnte, weil hinter jedem Staat die geballte Wirtschaftskraft der noch immer mächtigen industrialisierten Welt steht. Es wäre auch eine Gruppierung von ölkonsumenten, nicht unähnlich einem Verbraucherkantell, das einen wichtigen Faktor im Spannungsfeld zwischen OPEC und Konsumenten darstellen könnte. Schließlich würde diese Konstruktion indirekt auch einen Druck auf die Ölexporteure ausüben, die vor der Notwendigkeit stehen, ihre wachsenden Öleinkünfte sicher anzulegen. Eine kurzfristige Veranlagung bei den Banken der importierenden Länder ist wegen der

Schmalheit der Kapitalbasis der Banken nicht möglich. Der Aufkauf von ganzen Industrien und anderen hochqualitativen Objekten wird immer schwieriger werden, weil die einzelnen Nationen Gesetze gegen den Ausverkauf essentieller Werte beschließen werden. Abgesehen vom Kapitaleigenbedarf verbleiben den OPEC-Staaten nicht unbedingt befriedigende Anlagemöglichkeiten. So daß sich Anlageprobleme der Produzenten zu einer Stärkung der Verhandlungsposition der Konsumenten ausbauen ließen. Es ist eben nicht bloß ungünstig, kein Geld zu haben, es ist auch problematisch, davon zuviel zu haben.

Entgegen diesem Kissinger-Simon- Plan haben sich die Europäer auf einen wesentlich kleineren Fonds im Rahmen des internationalen Währungsfonds geeinigt. Scheinbare Vorteile dieses auf 10 Milliarden Dollar veranschlagten Instruments bietet die Tatsache, daß es von den Arabern finanziert würde, also eine gewisse Rückschleusung arabischer Gelder bedeutet, und damit beiden Seiten hilft. Daß ein solcher Fpnds, auch wenn er von einer internationalen Körperschaft wie dem Währungsfonds administriert wird, den arabischen politischen Einfluß noch erhöhen muß, ist klar. Nicht zu leugnen ist auch der Vorteil, daß er ohne Einschaltung der Parlamente der Mitgliedstaaten kurzfristig wirksam gemacht werden kann, während die Beitragsleistungen zum Kissinger- Simon-Fonds aus den nationalen Budgets kämen und daher von den Parlamenten genehmigt werden müßten.

Man rechnet schließlich mit einem Kompromiß, der sowohl dem einen wie dem anderen Plan gerecht wird; mit einem kleinen Fonds als einer Art von erster Linie, und mit dem Kissinger-Fonids als Auffangorganisation.

In taktischer Hinsicht ist die gespaltene Haltung der ölverbraucher natürlich von großem Nachteil. Ein funktionierendes Verbraucherkartell hätte schon bis heute großen Einfluß auf die ölpredsentwicklung nehmen können. Aber wenn_ die Politik der • europäischen Verbraucher schon einer ganz weichen Haltung fcleich- kommt, dann ist es um so wichtiger, daß die amerikanische Politik hart bleibt. Nur dann hat die europäische Politik der Anpassung Sinn und Bedeutung, weil sie immer plausibel machen kann, daß sie im eigenen sowie im Interesse der OPEC-Staaten eine vermittelnde Rolle zu spielen vermag.

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