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Haß im Lande Gandhis

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Mahatma Gandhi bezeichnete den Hinduismus als die toleranteste Religion der Welt. Trotzdem müssen heute in Indien Millionen Moslems vor Ausschreitungen ihrer Landsleute zittern. Woher kommt dieser mörderische Haß zwischen den beiden Religionen, der in der Zerstörung der alten Moschee Von Ayodhya durch militante Hindus einen traurigen Höhepunkt erfuhr?

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Mahatma Gandhi bezeichnete den Hinduismus als die toleranteste Religion der Welt. Trotzdem müssen heute in Indien Millionen Moslems vor Ausschreitungen ihrer Landsleute zittern. Woher kommt dieser mörderische Haß zwischen den beiden Religionen, der in der Zerstörung der alten Moschee Von Ayodhya durch militante Hindus einen traurigen Höhepunkt erfuhr?

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Als Indien 1947 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, forderte der Haß zwischen Moslems und Hindus eine halbe Million Menschenleben. Die Folge dieses Blutbades war die Abspaltung der islamischen Republik Pakistan. 1948 verloren bei einem Gemetzel in der Provinz Assam Tausende Moslems ihr Leben. Und im Dezember 1992 wurde dem Rest der Welt einmal mehr in Erinnerung gerufen, wie tief dieses Land durch einen Religionskonflikt immer noch gespalten ist. Wie brutal und blutig die Gewalt im Lande Mahatma Gandhis jederzeit ausbrechen kann.

Ausgangspunkt war der kleine nordindische Ort Ayodhya im Bundesstaat Uttar Pradesh. Fanatische Hindus rissen dort im vergangenen Dezember innerhalb von Stunden die 464 Jahre alte Babri-Moschee nieder. Die daraufhin tagelang anhaltende Welle der Gewalt mit Hunderten Toten und Verletzten sowie Tausenden flüchtenden Moslems schockte die Weltöffentlichkeit.

Diese Moschee war gläubigen Hindus schon lange ein Dom im Auge. Es hieß, moslemische Eroberer hätten sie als Zeichen ihres Sieges auf den Ruinen eines vorher zerstörten Rama-Tempels gebaut. Rama ist heute ein sehr populärer, verehrter und geliebter Gott vorwiegend im Norden Indiens (die Südinder sind meist Anhänger Shivas).

Der mörderische Fanatismus, mit dem die Tempelzerstörung gesühnt wurde, überrascht trotzdem. Denn der Hinduismus lehnt weder den Islam noch das Christentum ab. Im Gegenteil. Er toleriert die beiden Religionen als jeweilige Erscheinungsform einer einzigen übergeordneten Wahrheit. Gerühmt wird ja auch immer wieder die Toleranz des. Hinduismus, der Raum läßt für die Verehrung aller Propheten der Welt. Warum kommt es dann trotzdem zu grausamen Ausschreitungen gegen Anhänger des Islam?

Die Asienexpertin der „Stiftung Wissenschaft und Politik” in Ebenhausen, Citha D. Maaß, analysiert die Situation im Gespräch mit der FURCHE (der erste Teil ihrer Analyse erschien in Nummer 5/1993): „In Indien wird nicht der Islam bekämpft, sondern die indischen Moslems”, präzisiert sie den jahrzehntelangen Unfrieden. Der Grund dafür seien zwei Konflikte, die einander überlappen und das Pulver für die immer wiederkehrenden Haßausbrüche bilden:

Konvertierte Hindus

Der eine Konflikt besteht zwischen Hindus und Moslems. Die andere explosive Kraft ist der Konflikt zwischen hohen und niedrigen Kasten.

Die meisten Moslems, erklärt Maaß, sind nicht die Nachkommen der damaligen moslemischen Eroberer, sondern konvertierte Hindus niedriger Kasten. (Ihrem Glauben zufolge werden Hindus so oft wiedergeboren, bis sie sich zur Vollkommenheit herangebildet haben. Der Grad dieser Entwicklung wird am jeweiligen Rang der Kaste abgelesen. Detaillierte Informationen zum Kastensystem siehe FURCHE 35/1992.)

Ein kleiner Prozentsatz der Hindus erlag der Verlockung, durch den Übertritt zum Islam ihrem vom Kastensystem unerbittlich vorgegebenen Schicksal zu entfliehen. „Wenn man diese Konvertierung aus der Sicht eines religiösen Hindu nachvollzieht”, so Maaß, „dann steht ein indischer Moslem in der Werteskala immer noch ganz unten. Denn er gehörte einer niedrigen Kaste an oder war gar ein Kastenloser, den man überhaupt verachtet. Gleichzeitig wurden die Hindus von den nun Verachteten einmal jahrhundertelang beherrscht, die auch ihre Tempel zerstörten und gewaltsame Bekehrungen versuchten.”

Diese doppelte Demütigung ist -auch nach Jahrhunderten - weder vergessen noch vergeben worden. Noch dazu, wo den Hindus solche Methoden nicht vorgeworfen werden können. Sie haben, sagt Maaß, andere Religionen immer toleriert. Darauf setzen derzeit sogenannte Wiedererweckungsparteien. Sie agieren breit gefächert in verschiedenen Organisationen und sind durch ihren politischen Arm, der Indischen Volkspartei (BJP), bereits zur zweitstärksten Partei Indiens aufgestiegen. Allerdings begnügen sie sich nicht damit, den Hindus (die ihrerseits natürlich auch keinen einheitlichen Block bilden), ihr Selbstbewußtsein wiederzugeben. Sie kämpfen auch unverblümt für deren Vorherrschaft, der sich alle Andersgläubigen unterwerfen müßten. Eine Vorherrschaft, die die Gründer des modernen Indien mit ihrer strikt säkularen Verfassung zu verhindern versuchten. Maaß dazu: „Schon im Aufbegehren gegen die britische Kolonialherrschaft wurde, um den politisch-religiösen Abwehrkampf zu legitimieren, aus den Heiligen Schriften des Hinduismus der Anspruch der Überlegenheit der eigenen Religion abgeleitet. Dieses Denken wird jetzt wieder aktiviert.”

Tadj Mahal im Visier

Für die Wissenschafterin bleibt Indien ein Pulverfaß, denn die militanten Hindus haben auch schon andere Moscheen im Visier, die angeblich oder tatsächlich auf zerstörten Tempeln stehen. So soll eine berühmte Moschee in Benares auf den Ruinen eines Shiva-Tempels, in Mathura auf denen eines Krishna-Tempels stehen.

Auch das weltberühmte Tadj Mahal ist markantes Zeichen der immer noch als demütigend empfundenen Moghulenherrschaft und steht auf der „schwarzen Liste” der Fanatiker...

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