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Haß nimmt zu
Der Schriftstellerverein Serbiens teilte mit, er habe alle Verbindungen zum Verein slowenischer Schriftsteller abgebrochen. Bekanntlich sind Serbien und Slowenien Teile der jugoslawischen Föderation. Der Literatenverein des Gebietes Kosovo will nichts mehr mit den serbischen
Kollegen zu tun haben. Kosovo ist ein autonomes Gebiet Serbiens. Einige montenegrinische Autoren verließen fluchtartig ihre Organisation und wurden von den Kroaten aufgenommen. Die Schriftsteller in Makedonien, in Bosnien und in der Herzegowina wollen keine der beiden Seiten beleidigen und geraten so zwischen die Fronten. Es geht nicht um ästhetische Meinungsverschiedenheiten, der Streit beruht ausschließlich auf dem Gefühl, die eigene Nation werde im Vielvölkerstaat mißverstanden oder gar unterdrückt. Der Schriftstellerverband Jugoslawiens, der aus den acht Vereinen in den Teilrepubliken und autonomen Gebieten besteht, droht auseinanderzufallen.
Diese auf Volkszugehörigkeit beruhenden Konflikte begrenzen sich nicht auf Literaten, sie ergreifen die meisten Intellektuellen, sogar die Geistlichen. Als Anfang März die Katholisch-Theologische Fakultät in Laibach ihr siebzigjähriges Jubiläum feierte, erschienen die eingeladenen Vertreter der orthodoxen Theologischen Fakultät aus Belgrad nicht. Die überraschende Begründung: Anläßlich des Generalstreiks von Albanern (meist mohammedanischen Glaubens) im Gebiet Kosovo habe die katholische Bischofskonferenz Jugoslawiens empfohlen, „die gefährdeten Familien auch materiell zu unterstützen“, und dies sei eine Beleidigung des serbischen Volkes. Auch hätten die katholischen Bischöfe nie etwas dazu gesagt, daß unter dem Druck der Albaner die Serben das Gebiet Kosovo verlassen müssen.
Nachdem auf einer Versammlung im größten Konzertsaal Laibachs viele Intellektuelle ihre Befürchtungen wegen der militärischen Maßnahmen in Kosovo zum Ausdruck brachten, protestierte am Tag darauf in Belgrad eine fast millionenstarke Menschenmenge vor dem Bundesparlament. Danach erschien auf der Mauer der orthodoxen Kirche in Laibach eine sechs Meter hohe Inschrift: „Serben, raus aus Slowenien!“
Bisher war der jugoslawische Schriftstellerverband vor allem eine Standesvertretung. Er hatte Erfolg bei der Ausarbeitung von Tarifverträgen mit Verlagen und Rundfunkanstalten, kümmerte sich um Urheberrechte und soziale Probleme seiner Mitglieder, setzte sich für die Verbreitung ihrer Werke im Ausland ein. In den letzten Jahren machte er sich jedoch auch für Forderungen nach mehr geistiger Freiheit stark. Seine jetzige Zerstrittenheit verursacht eine Ohnmacht, die ihn auch in dieser Hinsicht mundtot macht.
Leider bleibt es nicht bei verbaler Polemik; die Medien lassen die Meinungsunterschiede zu richtiger Hetze ausarten. Sie spricht Leidenschaften an, die man am Ende des 20. Jahrhunderts für historisch längst überwunden gehalten hätte. Nicht besonders tröstlich der Essayist Sveta Lukič auf der vorläufig letzten Versammlung des Gesamtverbandes: „Dichter sollten nicht die Rolle von Politikern übernehmen, in dieser Rolle sind sie schlecht und fallen regelmäßig durch.“
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