6881733-1979_12_06.jpg
Digital In Arbeit

Hat Deng falsch kalkuliert?

Werbung
Werbung
Werbung

„Wie ein Blizzard“ trafen Hunderte von Telegrammen aus Peking die japanischen Geschäftspartner Ende Februar mit der Mitteilung, alle Abkommen über die Lieferung von Fabrikanlagen, die nach dem 16. Dezember abgeschlossen wurden, seien auf die lange Bank geschoben. Die Japaner unterzeichneten letztes Jahr 49 Verträge für ganze Fabrikanlagen im Betrag von 7,5 Milliarden Schweizer Franken; davon waren nur 19 Verträge im Wert von 1,9 Milliarden Schweizer Franken vor dem Stichtag abgeschlossen worden.

Betroffen sind vor allem die Lieferungen für das Stahlwerk von Pao-shan in einem Vorort von Shanghai, für das die Chinesen ursprünglich 2,4 Milliarden in bar zahlen sollten. In Frage stehen auch 30 Verträge für

„Im größten Gegensatz zu den Lehren Maos müssen daher Kredite in Anspruch genommen und kapitalistische Wirtschaftsmethoden angewendet werden“

Kunstdünger- und petrochemische Anlagen im Wert von drei Milliarden Schweizer Franken. Uber 100 japanische Geschäftsleute und Techniker, die in Peking auf das Inkrafttreten der Verträge warteten, wurden heimgerufen. Die Experten rätseln an den Gründen für diesen unerwarteten Bescheid.

Nicht überrascht sind die Amerikaner, die schon seit Monaten warnten, daß die geplanten Projekte in der Größenordnung von jeweils zehn bis 20 Milliarden mit Japan, Westdeutschland, England und Frankreich bei weitem die Zahlungsmöglichkeiten Chinas überstiegen. In Peking müßte man sich dessen von Anfang an bewußt gewesen sein, doch vermochte der Architekt des gigantischen Modernisierungsplanes, Deng Xiaoping, offenbar seine Kollegen mit seinem Enthusiasmus anzustecken. Nun aber machen sich die Realitäten doch geltend.

Die harten Tatsachen sehen so aus: Zwischen 1978 und 1985 muß China über 100 Milliarden Franken für Modernisierungsprogramme aufwenden, gut die Hälfte davon für Industrieanlagen. Allein die Erwerbung fremder Technologie wird etwa 70 Milliarden kosten. Wer soll das bezahlen? Pekings Devisenvorräte betrugen Ende 1977 etwa 3,6 Milliarden, dazu kommen etwa 500 Tonnen Gold im Wert von 3,4 Milliarden. Selbst das arme Indien besitzt größere Reserven; sogar das kleine Südkorea kann sich damit messen.

Chinas Möglichkeiten der Exportsteigerung sind begrenzt. Letztes Jahr verkaufte es öl, Kohle, Metalle und Lebensmittel im Wert von 17 Milliarden - ungefähr so viel, wie seine Importe betrugen (ölbohranlagen, Bergbaumaschinen, Stahl, Elektronik, Dünger, Schädlingsbekämpfungsmittel), öl wird erst in zwei bis

„Für solche komplizierte Transaktionen der kapitalistischen Wirtschaft fehlt es an erfahrenen Managern“ drei Jahren ein wichtiger Ausfuhrartikel werden. Experten in Hongkong glauben, daß sich in den nächsten Jahren die Exporte in der Größenordnung von etwa 23 Milliarden pro Jahr bewegen werden.

Ein Drittel davon muß für den Import von Lebensmitteln und Rüstungsmaterial aufgewendet werden, welche beide nichts zum wirtschaftlichen Aufbau beitragen. Das zeigt genau die Grenzen der Finanzkraft des Landes.

Im größten Gegensatz zu den Lehren Maos müssen daher Kredite in

Anspruch genommen und kapitalistische Wirtschaftsmethoden angewendet werden. Etwa: Kapitalbeteiligung mit ausländischen Firmen (besonders im Industriegebiet zwischen Hongkong und Kanton, Kompensationsgeschäfte, Anleihen von

„Deng gelang es, die wirtschaftliche Stagnation ... zu überwinden und eine Wachstumsrate von zwölf Prozent in der Industrie zu erreichen“ ausländischen Banken (zwei Milliarden Franken von zehn britischen Banken, 23 Milliarden von einem französischen Konsortium, schließlich sogar, wenn auch höchst ungern, Regierungsanleihen.

Für solche komplizierte Transaktionen der kapitalistischen Wirtschaft fehlt es an erfahrenen Managern. Dazu kommen die Mängel des Transportsystems, der Fernmeldetechnik, der Energieversorgung. Zur Stromerzeugung allein müßte China pro Jahr für 520 Millionen Schweizer Franken Generatoren einführen. Ein Arbeiter in der Fordfabrik in Detroit produziert pro Jahr 50 Autos, sein chinesischer Kollege eines.

Uberall fehlt die verlorene Generation der Kulturrevolution, als die Schulen im romantischen Revolutionstaumel geschlossen wurden. Maos Ideologie vom „guten Mensehen“, der ohne materielle Vorteile sein Bestes für das Volk leisten müsse, zerstört das Arbeitsethos der Massen. Nach der „Volkszeitung“ ist ein Drittel der landwirtschaftlichen Maschinen im Wert von 6,8 Milliarden wegen Qualitätsmangeln nicht zu brauchen. Die westlichen Fachleute zweifeln daher an der Möglichkeit des rückständigen Landes, ein dermaßen forciertes Investitionsprogramm mit den vorhandenen personellen Reserven überhaupt bewältigen zu können.

Deng gelang es, die wirtschaftliche Stagnation, die in Maos letzten Jahren eingesetzt hatte, zu überwinden und eine Wachstumsrate von zwölf Prozent in der Industrie zu erreichen; auch die Getreideproduktion wurde um zehn Millionen Tonnen gesteigert. Aber das Bruttosozialprodukt pro Kopf betrug 1977 erst 680 Franken gegen 14.150 in den USA.

Der Blizzard aus Peking, so unangenehm er den Japanern um die Ohren pfeift, dürfte ein gutes Zeichen sein, falls er auf ein nüchternes Besinnen auf die ökonomischen Realitäten zurückgeht. Es könnte sein, daß, angesichts der begrenzten Möglichkeiten, die Prioritäten für die Schwerindustrie, zum Beispiel die gigantischen Stahlwerke, zugunsten der Landwirtschaft und Konsumgüterindustrie hintangesetzt wurden.

Freilich könnte auch die Absicht vorliegen, von den Japanern bessere Bedingungen einzuhandeln. Die Chinesen verlangten von Anfang an Dollarkredite, während die Japaner

„Grund zu Sorge wäre gegeben, wenn das chinesische Zurückweichen durch einen Gesichtsverlust Dengs durch sein Abenteuer in Vietnam verursacht wäre“ nur Yen gewähren wollten. Als gewiegte Feilscher wollen die Chinesen die verschiedenen Länder der kapitalistischen Welt gegeneinander ausspielen.

Grund zu Sorge wäre gegeben, wenn das chinesische Zurückweichen durch einen Gesichtsverlust Dengs durch sein Abenteuer in Vietnam verursacht wäre. Nahm die Strafexpedition nicht nach Wunsch den schnellen Ablauf, der eine Demütigung des Gegners ohne große, eigene Verluste gestattete? Fordert der Krieg höhere Aufwendungen und daher eine Verlangsamung der Investitionsprogramme. Gab das den Gegnern Dengs im Politbüro, die wohl entmachtet, aber nicht ganz verdrängt waren, die Chance zum Gegenschlag?

Zur Zeit besteht tatsächlich der Eindruck, daß ein Zusammenhang zwischen dem Entschluß zum Rückzug aus Vietnam und zur Verlangsamung der Investitionen besteht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung