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Hat sich nichts geändert?

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Einen Kilometer von der Stadt Suez entfernt stand ich und betrachtete eine dort neu erstandene Wohnsiedlung von fünf- und zehnstöckigen Häusern. Die Straßen von Suez waren leer, die Häuser unbewohnt, die meisten Einwohner geflüchtet. Sie wollten am Leben bleiben.

„Ich möchte in die Stadt fahren“, sagte ich zu einem neben mir stehenden israelischen Major, nachdem dieser mir erklärt hatte, Suez sei in israelischer Hand. „Auf den Dächern der Häuser befinden sich ägyptische Scharfschützen, die auf alles schießen, was sich bewegt. Wir konnten sie nicht vertreiben, die Feuereinstellung kam zu früh.“ Einige Granaten, die rings um uns platzten, erinnerten daran, daß die Feuereinstellung offenbar doch noch nicht so endgültig war. Auch die brennenden Öltanks in der Ferne bedeuteten dasselbe.

Trotzdem — der Krieg ist zu Ende und jeder muß sich fragen, wie der kommende Friede, oder was immer diesem Krieg folgen soll, aussehen wird. Noch schwelgen die arabischen Staaten im Triumph ihrer vermeintlichen Siege. Sie haben sich selber jedenfalls bewiesen, daß die Israelis keine Ubermenschen sind, bessere Soldaten vielleicht, aber nicht unbesiegbar. Die Tatsache, daß die Hälfte der arabischen Luftstreitkräfte an den beiden Fronten abgeschossen worden ist, und daß zwei Drittel der arabischen Panzerarmeen zerschlagen wurden, stört sie nicht.

Die Verluste auf beiden Seiten sind hoch. Israelische, ägyptische und syrische Mütter beweinen Tausende von Gefallenen. Was in den Augen

der Araber ein Befreiungskrieg war und ein Kampf zur Wiedererlangung ihrer Ehre, wurde zu einem Ver-suchalabor der Supermächte für die verschiedensten Waffen. Hier sollte festgestellt werden, wie effektiv die russischen SAM-6-Raketen sind, die, auf Lkws montiert, mit Leichtigkeit von Ort zu Ort transportiert werden können. Die Amerikaner wieder wollten wissen, ob ihre Shrike-Ra-kete wirklich geeignet ist, jede Luftabwehrrakete schon auf ihrer Rampe unschädlich zu machen. Die Russen wollten beweisen, daß man Panzerfäuste in massiven Infanterieangriffen gegen Panzerarmeen einsetzen kann. Sie haben es auch bewiesen, wobei ihnen tausende Ägypter als Kanonenfutter dienten.

Dann aber mußte Ruhe eintreten, bevor es zu einem globalen Atomkrieg kam. Ein diesbezüglicher Ausnahmezustand wurde ja bereits ausgerufen und tausende Bomber mit Atomlast wurden startbereit gemacht. Plötzlich erkannten beide Seiten klar, daß man den Nahostkonflikt nicht auf die Spitze treiben dürfe.

Die arabische Seite war schon immer für eine aufgezwungene politische Lösung. Bei eventuellen Kompromissen können die arabischen Machthaber ihren Untertanen erklären, sie seien trotz „großer militärischer Siege“ von den Großmächten zum Nachgeben gezwungen worden.

Die Israelis ihrerseits waren immer gegen eine aufgezwungene Lösung. Ihr Konzept ist einfacher: solange ein politisch-militärischer Status quo herrscht, kann man langsam, aber sicher, in den besetzten Gebieten Fuß fassen, Siedlungen

gründen, das Land bebauen und sogar die Touristik ankurbeln.

Den Amerikanern ist dieses Spiel allerdings zu dumm geworden. Insbesondere, da sich bei der Errichtung der Luftbrücke erwiesen hat, daß auch Amerikas Freunde in Europa, die NATO-Länder, nicht bereit waren, für Amerika die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Sie gaben den amerikanischen Lufttransportern nicht einmal die Transitlandeerlaubnis. Die Amerikaner trachteten daher, so schnell wie möglich im Nahen Osten Ruhe zu schaffen. Die USA werden nun den Versuch unternehmen, die schon vom früheren Außenminister William Rogers ausgearbeitete Nahostlösung den beiden Parteien, unter Assistenz der UdSSR aufzuzwingen. Diese Lösung entspricht mehr oder weniger den Vorstellungen der Araber und der Sowjets.

Die Israelis haben bisher nichts aus diesem Krjeg gelernt. Sie lecken ihre Wunden und schwelgen im Bewußtsein ihres militärischen Sieges. Sie tun, als ob sich politisch nichts geändert hätte. Doch dieses Mal haben die Israelis wenig Aussicht, bei ihren Freunden in Amerika für die alte Losung von der „Beibehaltung sicherer Grenzen“ Gehör zu finden. Amerika will endlich Ruhe haben. Sollte eine aufgezwungene Lösung die innenpolitische Struktur in Israel ändern, so stört dies die Amerikaner wenig. Heute ist die Situation so, daß Israel soweit von Amerika abhängig ist — noch mehr als die arabischen Staaten von der Sowjetunion —, daß die USA jede israelische Regierung dazu zwingen können, ein amerikanisches oder amerikanisch-russisches Diktat anzunehmen.

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