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Hat Urwahl einen Sinn?

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Von Zeit zu Zeit geistert die Idee durch den heimischen Blätterwald, im ÖGB Urwahlen durchzuführen. Vor einigen Monaten hat auch die FURCHE die Frage gestellt: „Wer hat Angst vor Urwahlen?“ Der nahende ÖGB-Kongreß und ein diesbezüglicher Antrag lassen es zweckmäßig erscheinen, diese Frage eingehender zu untersuchen.

Vorweg ist auf die bisherige Praxis zu verweisen. Die Mehrheitsverhältnisse in den 15 Fachgewerkschaften und im ÖGB selbst richten sich im wesentlichen nach den Ergebnissen von Betriebsrats- bzw. Personalvertretungswahlen, wobei der Minderheit durch Vereinbarung in vielen Fällen, erheblich mehr Mitbestimmung eingeräumt wurde, als dies durch Mandate in den Betrieben untermauert werden konnte. Dieses System hat zweifellos gewisse Mängel, aber auch zahlreiche nicht zu unterschätzende Vorteile.

Nur in der Post- und Eisenbahnergewerkschaft gibt es Urwahlen, aber - und damit sei auf ein Kernproblem hingewiesen - nicht zufällig handelt es sich in beiden Fällen jeweils um ein einziges Unternehmen.

Unbestritten ist, daß Urwahlen ein besonders innig geliebtes Kind einzelner Journalisten sind, wobei sie nicht die Einzigen sind, die von Zeit zu Zeit entsprechende Tips geben. Die Gründe sind sehr unterschiedlich. Jedenfalls muß bezweifelt werden, ob das Pro und Kontra von Urwahlen unvoreingenommen gegeneinander abgewogen wird.

Ohne Zweifel gibt es Argumente, die für Urwahlen sprechen. Dem Vernehmen nach gäbe es dann auch im ÖGB eine unmittelbare Demokratie und gleichzeitig würde ein Beispiel für den sozialistischen Slogan gesetzt, wonach-alle Lebensbereiche mit Demokratie durchflutet werden sollen. Überdies bekämen auch Minderheiten direkten Einfluß und es könnte die eine oder andere Änderung Zustandekommen, die auf Grund des Beharrungsvermögens vorhandener Strukturen sonst nur schwer denkbar wäre. Schließlich spräche für Urwahlen, daß die Sozia-. listische Fraktion keine Neigung dafür zeigt.

Was gegen Urwahlen spricht, ist aber nach meiner Auffassung ungleich gewichtiger: Ganz allgemein ist zuerst lebhaft zu bezweifeln, daß die Mitglieder durch Urwahlen mehr Einfluß auf das Geschehen in den Gewerkschaften bekommen würden. Bei Urwahlen würden die Kandidaten von den vorhandenen Fraktionen aufgestellt, die diese dann den Mitgliedern zur Wahl stellen. Es ist zu befürchten, daß wie bisher echte Entscheidungen nur bei den Fraktionsspitzen liegen würden.

Dazu kommt, daß zur Durchführung von Urwahlen ein entsprechender Apparat notwendig ist. Es ist eine Tatsache, daß die Sozialisten in fast allen Gewerkschaften bestimmenden Einfluß auf den hauptamtlichen Apparat besitzen. Schließlich muß durch die größere Zahl sozialistischer Sekretäre von vornherein mit einem absolut minderheitenfeindlichen Effekt gerechnet werden, dem nicht einmal undemokratische Tendenzen unterstellt werden könnten.

Man darf auch nicht übersehen, daß Urwahlen harte Wahlauseinandersetzungen mit sich bringen würden, die sehr viel kosten. Überdies würden die einer Urwahl vorausgehenden erbitterten Kämpfe allzuleicht die auch nachher notwendige Zusammenarbeit gefährden. Dies ist wohl nur zu rechtfertigen, wenn das Ergebnis einer Urwahl alles ausgleichen kann.

Neben diesen allgemeinen Einschränkungen muß die FCG als einzige ernstzunehmende Minderheitsgruppe noch etwas tiefer gehen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil Urwahlen zweifellos nicht in einer Gewerkschaft allein durchgeführt werden. Die Forderung Einzelner nach Urwahlen könnte sich daher allzuleicht als unbedachte Gefährdung anderer erweisen.

• Urwahlen sind nur in den Gewerkschaften durchführbar. Eine direkte Urwahl im ÖGB wäre schon wegen der fehlenden Beziehung des einzelnen Mitglieds und des zu erwartenden Desinteresses der Fachgewerkschaften eine Farce. Höchstwahrscheinlich würde eine katastrophale Wahlbeteiligung jeden wünschenswerten Effekt zunichte machen. Damit könnte sich allzuleicht das Gewicht der vorhandenen Mehrheitsfraktion völlig ohne Grund verstärken.

• Die Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG) verfügt trotz auch dort vorhandener Mängel nur in der Gewerkschaft der Privatangestellten und im öffentlichen Dienst über die für Urwahlen erforderliche Grundstruktur. Von den 15 Fachgewerkschaften des ÖGB gibt es in zwei de facto Urwahlen. Von den restlichen 13 besitzt die FCG in 5 keinen einzigen Sekretär und in drei weiteren lediglich für ganz Österreich einen Sekretär. Dazu kommt, daß die FCG in den Arbeitergewerkschaften kaum über Betriebsorganisationen verfügt und auch nur relativ wenige Betriebsräte besitzt, ohne die Urwahlen undenkbar sind.

• Die FCG in der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) könnte bei Urwahlen zweifellos mit Erfolgen rechnen, weil in den letzten zehn Jahren beständig daran gearbeitet wurde, auch für diesen Fall gerüstet zu sein. Da die Sozialistische Fraktion das aber auch weiß, müßte mit einem ungemein harten Wahlkampf gerechnet werden. Die FCG/GPA wäre gezwungen, sich finanziell völlig zu verausgaben und wahrscheinlich hoch zu verschulden, um der unausbleiblichen Propagandaflut der FSG zu begegnen. Trotzdem kann die FCG/GPA nach allem, was wir wissen, vorerst nicht damit rechnen, auf mehr als 40 Prozent zu kommen.

Eine derartige Verbesserung der Position in der GPA ist aber auch durch fleißige und zielstrebige Arbeit in den nächsten Jahren erreichbar.

Um es aber klar festzustellen, die FCG/GPA hat keine Angst davor und würde eine Urwahl sicher auch positiv und erfolgreich schlagen können. Die Verbesserungen durch Urwahlen sind jedoch nicht so gravierend, daß sich die damit verbundenen Nachteile lohnen würden.

• Erreicht die FCG/GPA bei Urwahlen aber die erwarteten Erfolge, würde die Sozialistische Fraktion mit Sicherheit sofort nach Revanche in anderen Gewerkschaften rufen. In den meisten Arbeitergewerkschaften sind die bisherigen Positionen, aber auf Grund von Verhandlungen und Vereinbarungen . zustandegekommen und können in der Regel nicht durch Betriebsrats-Mandate untermauert werden. Bei Urwahlen würde zwangsläufig die Position der FCG in einzelnen Fachgewerkschaften sehr stark reduziert werden; in einigen Gewerkschaften könnte die FCG de facto sogar aufgerieben werden.

• Auch wenn es gelegentlich verdrängt wird, so muß man im Hinblick auf den öffentlichen Dienst doch darauf verweisen, daß bisher Personalvertretungswahlen für die Zusammensetzung der gewerkschaftlichen Organe anerkannt wurden. Bei Personalvertretungswahlen sind jedoch alle öffentlich Bediensteten wahlberechtigt, während bei gewerkschaftlichen Urwahlen nur die Mitglieder der Gewerkschaft wahlberechtigt sein würden. Dadurch würde sich ziemlich sicher auch in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst eine andere Gewichtung als bisher ergeben.

Alles in allem ist die Forderung nach Urwahlen im ÖGB gefährlich, insbesondere wenn ihr eine falsche Einschätzung der eigenen Position zugrundeliegt. Mehr noch gilt dies, wenn man lediglich aus Freude am Verändern danach ruft.

> (Der Autor ist Zentralsekretär in der Gewerkschaft der Privatangestellten. Die FURCHE brachte in Nummer 1811979 mit einem Gespräch mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft öffentlicher Dienst, Rudolf Sommer (FCG) eine die Urwahl befürwortende Stimme. Weitere Beiträge folgen.)

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