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Hauptmann Voigt

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Es gab damals ebensowenig eine Festspiel- wie eine Literaturpreisinflation. Es gab Bayreuth, es gab Salzburg. Im übrigen ließ man alte Burgruinen und Kirchenportale noch in Frieden. Nur in Heidelberg wurden, von Gustav Härtung inspiriert, in den späten zwanziger Jahren Sommerfestspiele veransaltet, die einen modernistischen Qualitätscharakter hatten: erste Berliner Schau* Spieler der damals führenden Generation, George, Klopfer, Palenberg, Gerda Müller und viele andere traten dort in kühnen Inszenierungen auf, zu denen der geräumige Schloßhof und der prächtige „Bandhaus-Saal“ den idealen Raum hergaben. In kurzer Zeit hatten diese „Heidelberger Festspiele“, die sich ganz auf Schauspiel beschränkten, den Ruf einer ungewöhnlichen, progressiven Veranstaltung und wurden von den Senioren der deutschen Literatur, wie Thomas Mann und Gerhart Hauptmann, gefördert, besucht und durch Ansprachen eingeleitet.

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Es gab damals ebensowenig eine Festspiel- wie eine Literaturpreisinflation. Es gab Bayreuth, es gab Salzburg. Im übrigen ließ man alte Burgruinen und Kirchenportale noch in Frieden. Nur in Heidelberg wurden, von Gustav Härtung inspiriert, in den späten zwanziger Jahren Sommerfestspiele veransaltet, die einen modernistischen Qualitätscharakter hatten: erste Berliner Schau* Spieler der damals führenden Generation, George, Klopfer, Palenberg, Gerda Müller und viele andere traten dort in kühnen Inszenierungen auf, zu denen der geräumige Schloßhof und der prächtige „Bandhaus-Saal“ den idealen Raum hergaben. In kurzer Zeit hatten diese „Heidelberger Festspiele“, die sich ganz auf Schauspiel beschränkten, den Ruf einer ungewöhnlichen, progressiven Veranstaltung und wurden von den Senioren der deutschen Literatur, wie Thomas Mann und Gerhart Hauptmann, gefördert, besucht und durch Ansprachen eingeleitet.

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Vorläufig beschränkte man sich dort auf Glanzinszenierungen großer Dramen der Weltliteratur, man sah einen phantastischen „Sommernachtstraum“, Musik von Ernst Kre-nek, mit Heinrich George als wildem, panisch röhrendem Oberon, einen „Florian Geyer“, gleichfalls mit George, von Rudolf Rittner inszeniert, der den „Geyer“ einst unter Brahm gespielt hatte und von Lovis Corinth in dieser Rolle gemalt worden war, man sah „Schluck und Jau“ in einer köstlichen Aufführung durch Härtung mit Klopfer und Palenberg. Dann aber wollte man an neue Literatur und Uraufführungen heran, nur fehlten die dafür passenden Stücke, so wurde ein finanziell ziemlich hoch bemessener „Anregungspreis“ der „Heidelberger Festspiele“ gestiftet, mit dem keine Verpflichtung, aber der Wunsch verbunden war, die Preisträger möchten ein dort spielbares Stück verfassen. Er kam nur einmal zur Verteilung, im Sommer 1929, und zwar gleichzeitig an Rene Schickele, Max Meli und mich. Ein Heidelberger Festspiel ist dabei nicht herausgekommen.

Ich hatte die ernsthafte Absicht, den Wunsch der generösen Spender zu erfüllen — mir schwebte als Stoff ein „Eulenspiegel“ vor, den ich mir als eine poetische Kasperle- oder Wurstlkomödie in gereimten Versen dachte. Aber der Stoff wollte sich mir nicht ergeben. Er scheiterte; mußte scheitern, an der Diskrepanz zwischen dem Vorwurf des alten Volksbuchs, an das ich mich zu halten versuchte, und der Zeitnähe, dem Gegenwartsgehalt, der lebendigen Wirklichkeit, die ich erstrebte. Ich war schon im Begriff, den ganzen Entwurf wegzuschmeißen, da wurde mir, mitten im Sommer, die Anregung zu einem Stoff zuteil, an den ich vorher nicht gedacht hatte: der „Hauptmann von Köpenick“.

Vom „Hauptmann von Köpenick“ wußte ich nicht mehr als jeder — die Anekdote von seinem Geniestreich im Köpenicker Rathaus, und daß er dann, nach kurzer Gefängnishaft vom Kaiser begnadigt, durch die deutschen Städte reiste und signierte Postkarten mit seinem Bild in Uniform verkaufte: So hatte ich ihn selbst bei einer Mainzer Fastnacht im Jahr 1910 gesehen. Noch zögernd ließ ich mir von meinem Verlag die alten Zeitungsberichte und Prozeßakten über den vorbestraften Schuster Wilhelm Voigt beschaffen — und plötzlich ging mir auf: das war mein „Eulenspiegel“, der arme Teufel, der — durch die Not helle geworden — einer Zeit und einem Volk die Wahrheit exemplifiziert.

Denn wenn auch die Geschichte mehr als zwanzig Jahre zurücklag, so war sie gerade in diesem Augenblick, im Jahre 1930, in dem die Nationalsozialisten als zweitstärkste Partei in den Reichstag einzogen und die Nation in einen neuen Uniformtaumel versetzten, wieder ein Spiegelbild, ein Eulenspiegelbild des Unfugs und der Gefahren, die in Deutschland heranwuchsen — aber auch der Hoffnung, sie wie der umgetriebene Schuster durch Mutterwitz und menschliche Einsicht zu überwinden.

Entschlossen, das Stück zu schreiben, zog ich mich zur Arbeit ins ländliche Henndorf zurück. Von der ursprünglichen Eulenspiegelidee blieb der Märchengedanke. Eine Geschichte, auch im Komödienton, märchenhaft zu erzählen, schien mir der Weg, sie über den Anlaß hinaus mit überzeitlichem Wahrsinn zu erfüllen. Auf langen Spaziergängen baute ich mir die Szenenfolge zusammen. Aber als ich Anfang September einen Abend mit Max Reinhardt und Helene Thimig, ohne andere Gäste, im Schloß Leopoldskron verbrachte, existierte von dem Stück noch kein niedergeschriebenes Wort. In der Nacht fragte mich Reinhardt, woran ich jetzt arbeite, und plötzlich fing ich an, das Stück zu rezitieren, oder vielmehr: ich spielte es, stundenlang, mit allen Szenen und Figuren, oft von meinen eigenen Einfällen blindlings überrascht, es entstanden noch ungeplante Situationen, Dialoge, Aktschlüsse — das Stück war da. Es hatte, durch Reinhardts magisches Zuhören, mit dem er Menschen in eine Trance der Produktivität steigern konnte, Gestalt angenommen.

Am nächsten Tag erhielt ich von Reinhardts Berliner Direktion ein Telegramm: Ich möchte sofort das Manuskript schicken, das Stück solle so bald wie möglich in Szene gehen. Ich depeschierte zurück, ich müsse es erst noch schreiben ... Das geschah ohne Hast, aber auch ohne Stocken, in den nächsten zwei Monaten... (Die Premiere war auf den 5. März 1931 angesetzt.)

Die Wirkung des „Hauptmann von Köpenick“ war tiefer und nachhaltiger als die des „Fröhlichen Weinberg“. Das Stück wurde von Freund und Feind als das Politikum begriffen, als das es gemeint war.

Es gab keine Theaterskandale, doch wütende Beschimpfungen von seiten der Nazipresse, vor allem in dem jetzt von Goebbels redlgierten

Berliner „Angriff“, der mir, mit Hinblick auf eine Szene im Zuchthaus, verkündete, ich werde bald Gelegenheit haben, ein preußisches Zuchthaus von innen kennenzulernen. Auch wurde mir schon damals — für die kommende Machtergreifung

— mit Ausbürgerung, Landesverweisung oder schlichtweg mit dem Henker gedroht. Schmähbriefe kamen — ich warf sie in den Papierkorb und hielt mich an die anderen, die zustimmenden und bestärkenden, die bis zum Schluß in der Überzahl waren. „Seit Gogols .Revisor* die beste Komödie der Weltliteratur“, hieß es in einem spontanen Brief von Thomas Mann, den er mir nach Besuch der Aufführung geschrieben hatte. Das war für uns noch die Stimme Deutschlands — nicht das hysterische Geschrei der Hetzredner im Sportpalast.

Einer erstaunlichen Zuschrift mußte ich gedenken, sie kam auf rosa Papier und war mit einer kindlichen Hand geschrieben, ein vergilbtes Photo lag bei, das eine starke Dame mit hoher Turmfrisur und Sonnenschirm zeigte. „Werter Verfasser“, begann es, „gestern habe ich im Deutschen Theater den Hauptmann von Köpenick gesehen, ich kann Ihnen nicht sagen, wie mir zumute war, als unser liebes, altes Sitzcafe, das National, auf der Bühne erschien!“ (Man muß dazu wissen, daß das ,Cafe National', in dem eine Szene des Stückes spielt, vor und bis kurz nach dem ersten Weltkrieg das Stammlokal der Berliner .besseren Halbwelt' war ...)

Werner Krauß spielte die Rolle hundertmal in Berlin, dann wurde sie von Max Adalbert übernommen, einem unendlich liebenswerten, ver-kauzten, schrulligen Volksschauspieler, der — ähnlich wie Buster Keaton

— selbst niemals lachte und dadurch seine stupenden Humorwirkungen erzielte.

Er spielte den Voigt auch in der bald darauf folgenden ersten Verfilmung. Es gab kaum ein Provinztheater, in dem das Stück nicht gegeben wurde. Diese Aufführungen liefen in ganz Deutschland weiter, fast zwei Jahre lang, bis zum Ende des Jänner 1933. Wenn man das Lachen und die Zustimmung des Publikums in den immer ausverkauften Häusern hörte, konnte man fast vergessen, was draußen auf der Straße vorging und was sich im Reich zusammenbraute. Dort gab es nichts mehr zu lachen. Wer durch Berlin fuhr, sah in jedem Bezirk, besonders in den östlichen und nördlichen Stadtteilen, lange Schlangen von Männern anstehen, die elend aussahen, in abgerissener Kleidung, die Gesichter fahl und gedunsen, ungesund, unterernährt. Das waren die „Stempelbrüder“, deren Schar mit der Zeit immer größer, deren Anblick immer erbärmlicher wurde...

Aus dem Erinnerungsbuch „Als wär's ein Stück von mir“, S.-Fischer-Verlag

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