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Hauptstädter

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Nicht, daß sich mir gleich die Haare aufgestellt hätten. Aber mit wohlwollendem Mißtrauen reagiert man als Bayer schon, wenn man hört, daß der Ausbruch einer großen Radio-Liebe zwischen Berlin und Wien organisiert wird.

Gut, sollen sie es halt wieder einmal versuchen miteinander, die beiden Hauptstädte, die einmal so groß waren und so schwer in Konkurrenz standen.

Wien ist immerhin noch eine zu große Hauptstadt für ein kleines, aber freies und ungeteiltes Osterreich geblieben. Berlin ist geteilt, und jede Hälfte ist von einer anderen Großmacht abhängig-

Beide ehemaligen Metropolen wurden in je eine europäische Randlage gedrängt, leben stark aus ihrer Vergangenheit, sind überaltert und beide wetteifern miteinander darum, sich als Kulturzentren und Kongreßstädte wieder in den Mittelpunkt zu rücken.

Als ich noch in München lebte, habe ich mich oft gefragt: Warum herrscht eigentlich in Bayern so viel Abneigung gegen Berlin?

Und ebenso: Warum gehören heute die Westberliner zu den beliebtesten Gästen in Bayern? Warum haben gleichzeitig bei uns Hanseaten, Rheinländer und Westfalen die Rolle der ,£aupreu-ßen” übernommen, obwohl sie niemals echte Preußen waren? Auch in Wien waren ,J?iefkes” einmal in erster Linie Berliner. Heute sind es alle Deutschen bestimmten Verhaltens.

Seit ich in Österreich lebe, glaube ich, die Antwort zu kennen. Weil hier in fast allen Bundesländern ähnlich auf Wien geschimpft wird wie früher in Bayern auf Berlin. Und weil bei Vorarl-bergem, Tirolern, Salzburgern, Oberösterreichern, Kärntnern und Steirern die Wiener ähnlich unbeliebt sind wie früher die Berliner bei den Bayern und Schwaben. Und das, obwohl die Wiener sich doch wie die Berliner selbst so wahnsinnig nett, goldig und sympathisch finden.

Meine Theorie: Was Abneigung provoziert, ist erstens die Hauptstadt-Funktion der Stadt. Weil von ihr jeder Prestigeaufwand, jede Modetorheit und jede Steuerlast für die Provinzen ausgeht. Zweitens ist es das „hauptstädtische Auftreten” der Einwohner, die den Führungsanspruch ihrer Stadt auf die eigene Person übertragen haben und alle anderen für „Gscherte vom Land” halten — sei er nun Tiroler Alm-Öhi, steirischer Schaf-wascher oder bayerischer Schafhirte — auch wenn er promoviert ist.

Die Westberliner treten heute nicht mehr als forsche und arrogante Hauptstädter auf. Wien ist immer noch Hauptstadt.

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