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Haus aus Glas mit dichten Vorhängen

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Die Gerüchte über massive vatikanische Interventionen gegenüber kritischen Amtsträgern häufen sich. Warum wird darüber nicht im Geist des Konzils offen informiert?

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Die Gerüchte über massive vatikanische Interventionen gegenüber kritischen Amtsträgern häufen sich. Warum wird darüber nicht im Geist des Konzils offen informiert?

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Wieder einmal wurde ein sehr wichtiger kirchlicher Vorgang erst durch eine Indiskretion bekannt, und wieder einmal erfuhren die unmittelbar Betroffenen davon durch Pressespekulationen: Der Vatikan hat ernste Vorbehalte gegen Entwicklungen im Franziskanerorden und darüber hinaus auch in anderen Ordensgemeinschaften der Kirche!

Schon anläßlich des jüngsten Franziskaner-Generalkapitels hatte es Gerüchte über vatikanische Interventionsversuche gegeben. Nun hat die Kurie zu drastischeren Mitteln gegriffen: Der Generalobere der Franziskaner, Pater John Vaughn, erhielt brieflich nachdrückliche Mahnungen des Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, und des Präfekten der Ordenskongregation, Kardinal Je-rome Hamer. „Ratzinger ruft Franziskaner zur Ordnung — Vatikan droht ungehorsamen Ordensleuten Konsequenzen an“ meldeten die Nachrichtenagenturen. Quelle dieser Berichte war eine kurze Veröffentlichung in der italienischen katholischen Nachrichtenagentur ASCA. Der Vatikan selbst hatte nichts darüber verlauten lassen.

Journalisten, die mit Verantwortung über den Sachverhalt berichten wollten, versuchten zu recherchieren. In der Glaubenskongregation war der einzige, der für Journalisten erreichbar war, der Portier. „Ferien“ — hieß es. Man sollte in einigen Tagen oder Wochen anrufen. Der Vatikansprecher hatte zu der Sache ebenfalls nichts zu sagen.

In der Generalleitung der Franziskaner schwieg man sich gleichfalls aus. „Der Generalobere ist in Amerika“, beschied man die recherchierenden Journalisten. Eine der kontaktierten vatikanischen Auskunftspersonen wollte dem fragenden Journalisten sogar weismachen, es habe sich um einen „Privatbrief“ Kardinal Ratzingers an den Franziskaner-Generaloberen gehandelt.

Inzwischen wurde aber durch Veröffentlichungen katholischer Presseagenturen deutlich, wie gravierend und ernst der ganze Sachverhalt ist: Kardinal Ratzinger hatte in seinem Schreiben den Generaloberen der Franziskaner aufgefordert, mit einer „präzisen und passenden Intervention“ dem unter Ordensmitgliedern verbreiteten Widerspruch gegen die kirchlichen Behörden und das kirchliche Lehramt ein Ende zu setzen. Wörtlich heißt es in dem Schreiben des Präfekten der Glaubenskongregation an P. Vaughn: „Es ist ein unverzügliches Eingreifen Ihrerseits erforderlich, das dieser Situation abhilft, sie mäßigt und zu einer Überwindung der radikalen Mentalität des Dissenses führt, der auch auf ziemlich qualifizierten und verantwortlichen Ebenen des Franziskanerordens in einer Haltung der Herausforderung und der Kritik gegenüber dem kirchlichen Lehramt zum Ausdruck kommt.“

Aber nicht nur Kardinal Ratzinger, auch der Präfekt der Ordenskongregation, Kardinal Je-rome Hamer, hatte in einem Schreiben ernste Mahnungen an P. Vaughn als den Präsidenten der Union der Ordensoberen ge- . richtet. In dem Brief des Kardinals wird über „nicht mit dem kirchlichen Lehramt in Einklang stehende Schriften, Lektionen und Ansprachen von Ordensfrauen und männlichen Ordensmitgliedern“ Klage geführt und „religiöse Ehrerbietung“ gegenüber der Doktrin der kirchlichen Hierarchie urgiert.

„Jeder Ordensobere hat die Gewissenspflicht und die schwere Verantwortung, über eine gesunde Doktrin innerhalb seiner religiösen Gemeinschaft und in allen vom Ordensinstitut und seinen Mitgliedern in Büchern, Zeitschriften, Artikeln und Interviews verbreiteten Aussagen zu wachen“, mahnte der Kurienkardinal den Präsidenten der Ordensoberen. Hamer empfahl gleichzeitig die Einberufung eines Gipfeltreffens im Vatikan mit den Oberen der Orden, dessen.Ziel Maßnahmen sein sollen, um „eine korrekte und integre Übermittlung und Verbreitung der heilen Doktrin der Kirche zu erhalten“.

Wie immer man nun zu dieser Vorgangsweise stehen mag (sie wird in der Weltkirche sicher teilweise Zustimmung, teilweise Kritik finden) — über einen für die gesamte Kirche so eminent wichtigen Sachverhalt nicht informieren zu wollen, widerspricht allen Grundsätzen des Konzilsdekrets über die Massenmedien sowie des vatikanischen Dokumentes „Communio et progressio“ und ebenso allen einschlägigen päpstlichen Aussagen. Im übrigen ist Ratzingers ausführlicher Brief, der bereits im Mai (!) geschrieben wurde, bis heute immer noch nicht im Wortlaut veröffentlicht, desgleichen das Schreiben Ha-mers.

Die Vorgänge um die Franziskaner und andere von Rom kritisierte Ordensgemeinschaften sind leider keineswegs der einzige Fall, in dem die kirchliche Öffentlichkeit auf Indiskretionen, Gerüchte und Vermutungen angewiesen ist, wo eine klare und präzise Information am Platz, ja unerläßlich wäre.

Aus den USA und aus England wurden in den letzten Tagen und Wochen Beanstandungen von Theologen bekannt, denen Abweichungen von der offiziellen Lehre der Kirche vorgeworfen werden, zum Beispiel dem Moraltheologen Charles Curran (FURCHE 35/1986).

Gerüchte wollen wissen, daß „in Rom“ (von wem?) Dossiers über kirchliche Amtsträger angelegt wurden, die die von der Glaubenskongregation beanstandeten Befreiungstheologen verteidigt und das Schweigegebot für Leonardo Boff kritisiert hatten. Sind diese Gerüchte unwahr oder treffen sie zu? Stimmt es — was ebenfalls gerüchteweise behauptet wird — daß sich kirchliche Amtsträger, die sich nichts anderes „zuschulden“ kommen ließen, als daß sie die Kurie kritisierten, dafür schriftlich verantworten müssen?

Solche Gerüchte stiften ungeheuren Schaden für die Kirche. Es müßte alles darangesetzt werden, ihnen durch offene, freimütige Information zu begegnen. Gerade dann, wenn Einwände gegen theologische „Abweichungen“ begründet und einsichtig sind, kann eine klare Darstellung des Sachverhaltes nur nützlich sein.

Johannes Paul II. hat einmal nachdrücklich den Wunsch ausgesprochen, daß die Kurie - und mit ihr wohl die ganze Kirche — für die Öffentlichkeit ein „Haus aus Glas“ sein soll. Nichts anderes erwartet auch die kirchliche Öffentlichkeit.

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