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Hausbesetzung einmal anders

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Zu Beginn nahm man von ihnen nicht sonderlich Notiz, dann nahmen sie überhand: die Hausbesetzungen. Der Anfang war elitär und blieb solchermaßen und zu Recht weithin unbeachtet. Die Anfänge lassen sich bis in die Seminare sozialwissenschaftlicher Fakultäten unserer Hochschulen verfolgen. Grund genug, daß das öffentliche Echo ausblieb: Wer macht schon gerne gemeinsame Sache mit Studenten, noch dazu solchen der Soziologie und der - wie heißt das doch gleich?

Die jüngeren Herrschaften der ersten Welle scharten sich um ihre strubbeihaarigen Lehrer, verkleideten sich als Film-Proletarier der zwanziger Jahre und besetzten einige leerstehende Villen in bevölkerungsarmen Vororten überfüllter Städte. Dort hängte man bunte Fahnen in allerlei Rotschattierungen mit schlecht lesbaren Zitaten aus diversen Seminararbeiten aus dem Fenster,

so daß die vorbeihastenden Passanten die Köpfe schüttelten: „Jetzt hängen diese Gastarbeiter sogar schon in unserem guten Viertel ihre Bettwäsche aus dem Fenster!“

Die Besetzung von leerstehenden Wohnhäusern war nahe daran, außer universitäre Mode zu kommen, da wurde sie noch gerade rechtzeitig von den Medien entdeckt. Zunächst berichtete das Regionalfernsehen, daß in Astadt zwei Studentengruppen schon mehr als zwei Monate in einem bislang als leerstehend vermuteten Hause kampierten, ohne daß sich irgendetwas getan hätte - schon tat sich etwas.

Flugs bildete sich ein Solidarisierungskomitee; man begann, Unterschriften zu sammeln. Es war zwar nicht gänzlich klar, warum man sich mit den Stadt-Pfadfindern, denen ja niemand ihr Lagerleben vergällte, solidarisieren sollte, aber da der Erste Vorsitzende des Schriftstellerverbandes bereits unterschrieben hatte, und ein nicht eben unbekannter Filmregisseur bei einer Zwischenlandung auf dem Flughafen seine Unterschrift in Aussicht stellte, begannen sich die Unterschriftsformulare zu füllen.

Die Bezirksorganisation mehrerer Parteien beschlossen Resolutionen - allerdings vorerst abwartende, öffentliche Hilfe in der Angelegenheit versprach eine Äußerung des Innenministers, der mit einem knappen, aber sicheren: „Des wer’ ma scho’ machn!“

eine Lösung des Problems von der Wurzel her in Aussicht stellte. Die Opposition konterte mit einem kräftigen: „Des wer ma erst segn!“ und wartete weiter ab.

Angesichts einer solch heftigen politischen Reaktion mußten sich die Massenmedien intensiv mit dem Vorfall, den Hintergründen, den Zusammenhängen und den Kontexten befassen. Die führende Tageszeitung starteteeine auf mehrere Monate angelegte Serie: „Warum es uns in unseren Wohnungen nicht mehr gefällt!“; die ewige Zweite der Verkaufslisten konterte nach Einkauf des gegnerischen Ressortleiters schon in der folgenden Woche mit einer auf mindestens ein Jahr geplanten Folge: „Weißt Du wieviel Häuser leer stehen?“

Angesichts solcher Publizität war1 Popularität nicht weit. Als schließlich der Schlagerstar aller Altersklassen, Robert X - der Verwendung seines vollen Namens hat seine Agentur freilich nicht zugestimmt - sein Lied „In unserem Haus“ sang, da verstanden die Massen die Botschaft sehr wohl. Allenthalben bildeten sich Gruppen und gerannen zu richtigen Vereinen mit Satzung, Vorstand, Mitgliederversammlung. Neben die „Initiative roter Hinterhof trat der „Verein weltanschaulich ungebundener Hausbesetzer“, schließlich die „Aktion wahrer Wohnungsinteressierter“.

Den totalen Durchbruch freilich schaffte kein Vereinsmeier, sondern ein Diplom-Terminologe, der in einer durchbesetzten Nacht das Wort vom „Instandbesetzen“ erfand. Nach einiger terminologischer Unsicherheit fand

man nämlich recht schnell heraus, daß sich nicht bloß Wohnungen und Häuser instandbesetzen ließen; auch rostgebeulte Autos, schiefe Caravans, leckbedrohte Segeljachten, holzwurmbenagte Badehütten und und und ...

Bald kamen biedere Bürger, die jahrelang auf instandsetzende Handwerker gewartet hatten, auf die Idee, sich an instandbesetzungswillige Gruppen zu wenden - durch versteckte Tips und geheime Hinweise selbstverständlich. Die Instandbesetzer kamen, setzten instand, besetzten noch eine Weile, bis sich ein neues Ziel bot, und zogen wieder ab, das instandbesetzte Haus, Hobbyzeug oder Möbel zurücklassend.

Ein Ende der Instandbesetzungswelle war nicht abzusehen - und kam schließlich doch. Zur Koordinierung aller privater und öffentlicher Instandbesetzungen mußte nämlich das „Zentrale Instandbesetzungs-Büro“ eingerichtet werden. Dort lieferte man seine Tips ab, dort erhielten Kampftrupps ihre Einsatzbefehle. Eines Tages waren alle Instandbesetzungskollektive ausgebucht, da mußten die Leute aus dem ZI B selber hinaus. Als sie spätabends in

die Einsatzzentrale, ein recht schäbiges Büro in einem windschiefen Altbau, zurückkamen, fanden sie freilich keinen Einlaß mehr: eine ortsunkundige Gruppe hatte das desolat wirkende Instandsetzungsbüro besetzt - um es instand zu setzen.

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