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Hausgemachte Unstabilität

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Die Talsohle des internationalen Konjunkturrückganges ist ohne Zweifel überschritten worden, es geht international wieder aufwärts. Von dieser Entwicklung hat die österreichische Wirtschaft allerdings nicht viel verspürt, denn sie hat die letzte Konjunkturflaute ignoriert. Es ist wohl einmalig, daß ein so kleiner Wirtschaftsraum, wie Österreich einer ist, zwar gewisse Anzeichen eines Konjunkturrückganges verzeichnet, der tatsächlichen Konjunkturflaute aber entgeht.

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Die Talsohle des internationalen Konjunkturrückganges ist ohne Zweifel überschritten worden, es geht international wieder aufwärts. Von dieser Entwicklung hat die österreichische Wirtschaft allerdings nicht viel verspürt, denn sie hat die letzte Konjunkturflaute ignoriert. Es ist wohl einmalig, daß ein so kleiner Wirtschaftsraum, wie Österreich einer ist, zwar gewisse Anzeichen eines Konjunkturrückganges verzeichnet, der tatsächlichen Konjunkturflaute aber entgeht.

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Der jüngste Monatsbericht des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung spricht davon, daß die Ausfuhr ihren Tiefpunkt überwunden haben dürfte. Die Konjunktur stützt sich aber noch immer auf die Inlandsnachfrage. Der private Konsum ist nach den Ermittlungen des Instituts kräftig geblieben, die Kaufkraft der Konsumeinten wird durch die Abschlüsse der jüngsten Lohnrunde und der, wenn auch bescheidenen, Vorleistung des Finanzministers auf die Einkommensteuerreform sogar noch gestärkt.

Bedenklich hat sich im ersten Halbjahr allerdings die Preisentwicklung geändert: War in den Voraussagen des Instituts für das erste Halbjahr eine Steigerung des Verbraucherpreisindexes von sechs Prozent vorausgesagt worden, die aber im Juni bereits wieder zurückgehen werde, so mußte diese Ansicht nun revidiert werden: mit 6,4 Prozent liegen die Verbraucherpreis im Juni um einen Rekordwert höher als im Vorjahr. Die Steigerung von Mai auf Juni betrug 1,5 Prozent.

Auf Grund der Preisentwicklungen der letzten Monate mußte das Institut seine Voraussage für die Preisentwicklung des ganzen Jahres bereits erneuern: nicht 43Ai Prozent wird der Anstieg des Verbraucherpreisindex in diesem Jahr betragen, sondern fünf Prozent — lautet die letzte Voraussage.

Keine importierte Inflation

Das Wirtschaftswachstum ist weiterhin kräftig, der Arbeitsmarkt angespannt, die Preisentwicklung und damit die Stabilität aber absolut unbefriedigend. „Die Zahl der Beschäftigten nimmt weiterhin kräftig zu, der überwiegende Teil der zusätzlichen Arbeitskräfte muß aus dem Ausland gewonnen werden“, heißt es wörtlich im Institutsbericht, und an anderer Stelle: „Insbesondere der Bauboom hält unvermindert an, und die Bauwirtschaft kann trotz hoher Investitionen in den Maschinen- und Fahrzeugpark die Auftragsfülle nicht termingerecht bewältigen.“ Es scheint also nicht so zu sein, wie die Bundesregierung immer behauptet, daß eine stabilitätsbewußtere Politik unbedingt zu Arbeitslosigkeit führen muß, dazu ist der augenblickliche Mangel an Arbeitskräften zu groß.

Und was ist es mit dem Argument, die Inflation sei importiert? Betrachtet man die Aufgliederung der Preissteigerungen durch das Wirtschaftsforschungsinstitut, so wird man gewisse Zweifel nicht los: „Zur Beschleunigung der Einzelhandelspreise im Juni trugen vor allem Saisonprodukte, Fleisch und Wurstwaren, sowie Dienstleistungen bei“, heißt es da. — Importierte Inflation? — Die Obstpreise steigen um 23Vs Prozent, was mit der schlechten Ernte begründet wird. Liest man weiter, so stellt man fest, daß zu der fünfprozentigen Verteuerung der Saisonunabhängigen Nahrungsmittel und Getränke vor allem der Anstieg des Bierpreises (+ 9 Prozent) und der Fleischpreise (+ 8 Prozent) beitrugen. — Importierte Inflation? Aber auch der nächste Absatz läßt aufhorchen: „Dienstleistungen waren im Juni um insgesamt iov2 Prozent teurer als im Vorjahr; vor allem amtlich geregelte Dienstleistungen stiegen infolge der Anhe-bung der Strompreise mit i4v2 Prozent kräftig. Der Preisauftrieb industriell-gewerblicher Waren blieb mit 4v2 Prozent im Ausmaß der Vormonate.“ Soweit das Wirtschaftsforschungsinstitut, dem man schwer Parteilichkeit nachsagen kann. Die importierte Inflation ist offensichtlich ausgeblieben. Was hier verzeichnet wurde, ist hausgemachte, österreichische Unstabilität.

Der Investitionsboom, der in der österreichischen Wirtschaft Ende der schziger Jahre ausgebrochen ist, scheint auch heuer ungebrochen anzuhalten. Das österreichische Institut für Wirtschaftsforschung hat auch heuer wieder eine Firmenbefragung in den Bereichen Industrie, Bauwirtschaft, Elektrizitätswirtschaft und bei den städtischen Verkehrs- und

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Versorgungsbetrieben durchgeführt. Auf Grund dieses Tests wird für heuer eine Zunahme der Investitionen um 12 Prozent prognostiziert.

Die Investiotionen der österreichischen Industrie haben sich von 1969 bis 1971 nominell verdoppelt. Auch heuer ist mit einem Zuwachs zu rechnen, wenn er auch nicht mehr das Ausmaß der Vorjahre erreichen wird. Obwohl die jetzt durchgeführte Befragung über die geplanten Investitionen von rund 20 Milliarden Schilling einen leichten Rückgang vermuten lassen würde, nimmt das Wirtschaftsforschungsinstitut doch an, daß dieser Wert bis Jahresende auf etwa 22 Milliarden steigen wird. Das würde eine nominelle Zunahme um sechs Prozent bedeuten. Im Vorjahr lag der nominelle Zuwachs mit fast 30 Prozent allerdings weit höher. Die allgemeinen Preissteigerungen, die das Wirtschaftsforschungsinstitut mit fünf Prozent annimmt, werden die reale Zuwachsrate aber auf ein Prozent drücken. Dieser Wert liegt erheblich unter den mehr als 20 Prozent des Vorjahres.

Dennoch ist im Vergleich mit anderen westeuropäischen Industriestaaten die Investitionstätigkeit der österreichischen Industrie, nach Ansicht des Instituts, bemerkenswert rege. Zwar wird Italien heuer einen Aufschwung mit einer Zunahme der industriellen Investitionen von mehr als 13 Prozent verzeichnen, aber Frankreich dürfte etwa das gleiche Ausmaß wie Österreich erreichen, während Belgien, Großbritannien und auch die Bundesrepublik niedrigere Investitionen als im Vorjahr melden.

Es ist dem Bericht allerdings nicht zu entnehmen, was zu diesem starken Rückgang der Zuwachsraten geführt hat: Ob es die Preissteigerungen im Investitionsgütersektor sind oder ob der Investitionsboom der letzten Jahre zu einer gewissen Sättigung des Marktes geführt hat, wurde nicht festgestellt.

Der Investor mit den stärksten Steigerungen im Industriebereich wird heuer die Baustoffindustrie sein, die, begünstigt durch die gute Baukonjunktur, um etwa ein Drittel mehr investieren wird, als im Vorjahr. Auch die Eisen- und Stahlindustrie wird ihre mittelfristigen Ausbauprogramme zügig fortsetzen. Die Nicht-Eisen-Metallindustrie will heuer einige Projekte in Angriff nehmen, die schon für das Vorjahr geplant waren. Auch die chemische Industrie wird mehr investieren als im Vorjahr; Schwerpunkte der Investitionstätigkeit werden der Kunststoffsektor sein, der Chemiefaserbereich, sowie die Rationalisierung der Düngemittelproduktion.

Mit geringeren Investitionen rechnen die Grundstoffindustrie und die Konsumgüterindustrie. Erheblich unter dem Vorjahreswert werden die Investitionen der Papierindustrie liegen, da diese ihre Investitionen im wesentlichen abgeschlossen hat. Auch in der Glasindustrie und der holzverarbeitenden Industrie laufen größere Ausbauprojekte aus. Die Nahrungsund Genußmittelindustrie wird hingegen heuer mehr investieren als im Vorjahr.

Die Untersuchung nach den Gesichtspunkten der regionalen Investitionen zeigt deutlich eine unterschiedlichere Entwicklung als bisher: Schwergewichte der Investitionszunahmen werden heuer in Burgenland und Kärnten zu suchen sein, auch Oberösterreich meldet überdurchschnittliche Investitionen. Hingegen werden Unternehmen in Tirol, Vorarlberg und der Steiermark weniger als im Vorjahr investieren.

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