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Hausse auf der Gerüchtebörse

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Kaum sind die Landtags- und Gemeinderatswahlen in Wien und Oberösterreich über die Bühne gegangen, rüsten die Werbemanager der Parteien mit ihren immer größer werdenden Apparaten zu neuen Schlachten. Landtagswahlen stehen in einer langen Kette bevor, und daß auch andere Wahlen — wie zum Beispiel in die Vertretungskörper der Arbeiterkammer — eminent p a r t e i politischen Charakter haben, gibt zumindest die ÖVP unumwunden zu und handelt auch darnach.

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Kaum sind die Landtags- und Gemeinderatswahlen in Wien und Oberösterreich über die Bühne gegangen, rüsten die Werbemanager der Parteien mit ihren immer größer werdenden Apparaten zu neuen Schlachten. Landtagswahlen stehen in einer langen Kette bevor, und daß auch andere Wahlen — wie zum Beispiel in die Vertretungskörper der Arbeiterkammer — eminent p a r t e i politischen Charakter haben, gibt zumindest die ÖVP unumwunden zu und handelt auch darnach.

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Gibt es überhaupt noch ein „normales“ politisches Klima? Das darf sich mit Recht nicht nur der Mann auf der Straße fragen. Können Politiker, Behörden, Interessenvertretungen überhaupt noch ungehindert arbeiten, wenn sie dauernd unter dem Streß kommender Wahlentscheidungen und unter dem Zwang, stets Neues zu präsentieren, bevor es dem politischen Gegner einfällt, gestellt werden?

Führt man sich die Zahl der Wahlgänge im nächsten und übernächsten Jahr vor Augen, so könnte die vorher zitierte Aussage Grund zu zügellosem Optimismus geben: Im kommenden Jahr gibt es Landtagswahlen in Salzburg, Vorarlberg, Niederösterreich und Tirol, es folgen 1975 die Landtage von Steiermark und Kärnten.

Wandel in Wien

Nur Oberösterreich bietet heute vergleichsweise wenig Konfliktstoffe, weil es dort nach wie vor eine Zusammenarbeit der beiden großen Parteien geben wird, bei der die ÖVP die Führung hat. Anders ist es in Wien, wo rein formell der weitere

Weg der beiden Großparteien, der siegreichen SPÖ und der sehr viel weniger siegreichen ÖVP, noch keineswegs abgesteckt ist. Bürgermeister Gratz hat schon am Wahlabend anklingen lassen, daß er eine Zusammenarbeit mit der ÖVP, wie sie in der Wiener Kommunalpolitik seit 1945 bestanden hat, nicht mehr anstrebe. Eine Überlegung, die das SPÖ-Zentralorgan „Arbeiter-Zeitung“ tags darauf bereits viel unverblümter formulierte. Dem stehen Beschlüsse des Landesparteivorstandes der Wiener ÖVP entgegen, unter bestimmten Voraussetzungen für eine weitere Zusammenarbeit im Wiener Rathaus zur Verfügung zu stehen. Gratz hingegen, der von der SPÖ-Spitze auf Drängen des Bundeskanzlers in die Wiener Politik mit der Auflage verpflanzt wurde, mit bewiesenen und viel mehr unbewiesenen Gerüchten über die Unfähigkeit sozialistischer Kommunalverwaltung aufzuräumen, hätte schon genug damit zu tun, seine eigenen Parteigenossen auf seine Linie zu bringen.

Hat die ÖVP durch verschiedene Persönlichkeiten verlauten lassen,

daß sie ab jetzt ein Hauptaugenmerk auf die Arbeiterkammerwahlen legen will, die im nächsten Jahr abgehalten werden, so dürfte die Hauptsorge der SPÖ auf einem anderen Gebiet liegen: die Gerüchte um eine Vorverlegung der Bundespräsiden-

tenwahl vom vorgesehenen Datum im Jahr 1975 auf das kommende Jahr klingen nicht mehr ab. Beobachter, die Bundespräsident Franz Jonas am 23. Oktober im Parlament bei der Budgetrede des Finanzministers gesehen hatten, wollen seinen schlechten Gesundheitszustand bemerkt haben. Und die Person Außenminister Kirchschlägers rückt als Spitzenkandidat der SPÖ für das höchste Amt im Staat immer mehr in den Vordergrund. Nicht zuletzt veröffentlichte die Halbmonatszeitschrift „profll“ in ihrer letzten Nummer einen loyal bis enthusiastisch abgefaßten Großbericht über ihn. In der SPÖ-Zentrale in der Wiener Löwelstraße soll darüber hinaus bereits, wie zu hören ist, eifrig an Plakatentwürfen zur Präsidentenwahl mit dem Konterfei Kirchschlägers gearbeitet werden. Dazu kommt, daß sozialistische Wahlarithmetiker einen Trend nach den beiden letzten Regionalwahlen errechnet haben, der — so sollen es angeblich die parteiinternen Zahlen beweisen, in Richtung SPÖ geht: 53 von 100 Wahlberechtigten haben nach dieser Analyse jetzt SPÖ gewählt — gegenüber 52 früher.

In der ÖVP sind die Meinungen, was die Bundespräsidentenwahl und einen Kandidaten der Volkspartei für dieses Amt betrifft, geteilt. Eine Gruppe will überhaupt keinen Kandidaten der Volkspartei aufgestellt wissen; sie argumentiert damit, daß die ÖVP alle Wahlgänge für das Staatsoberhaupt seit 1945 verloren habe und daß überdies die Parteikassen durch die anderen Wahlen bereits über Gebühr strapaziert werden, so daß ihrer Meinung nach das Beste ein Gemeinschaftskandidat wäre. Andere Gruppen in der ÖVP wollen den populären Innsbrucker Olympia-Bürgermeister Alois Lugger als Spitzenkandidaten der Volkspartei sehen. Dahinter taucht auch noch ein anderer Name auf: des Ex-vizekanzlers Hermann Withalm, der übrigens in einigen Wochen mit seinen politischen Memoiren in Buchform an die Öffentlichkeit treten wird (Withalm-Fans führen als neuerlichen Beweis der souveränen Art des früheren „zweiten Mannes“ der ÖVP seine Rede in der Terrordebatte des Nationalrates am 23. Oktober an).

Für die Parteien bringen die nächsten Wochen auf Bundesebene viele aktuelle Auseinandersetzungsthemen. Doch werden auch die strukturellen Fragen geklärt werden müssen, weil eine allzu lange Diskussion über Gerüchte die Unsicherheit nur steigert.

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