7033015-1989_38_13.jpg
Digital In Arbeit

Hecht im Teich

Werbung
Werbung
Werbung

Der heutige Ruf des Volkstheaters geht viel weniger auf seine Gründer als auf eine Ära zurück, deren Ambivalenz am Theater ihren besonderen Niederschlag gefunden hat: die legendären zwanziger Jahre. Wegen Verarmung fiel in diesem Jahrzehnt das liberale Bürgertum, für das dieses Haus gedacht war, als Publikum weitgehend aus. An seiner Stelle wurde 1919 die „Sozialdemokratische Kunststelle“ gegründet, die Arbeiter mit verbilligten Karten in die Theater locken sollte. Sie wurde sehr rasch zur größten Organisation dieser Art und deshalb zur finanziell tragenden Säule des Volkstheaters. Daß dieses dabei nicht als Propagandainstrument mißbraucht werden konnte, muß als ein Verdienst des Schauspielers, Regisseurs und Direktors Rudolf Beer angesehen werden, der es von 1924 bis 1932 leitete.

Dabei war die Ausgangssituation für Beer gar nicht günstig: Er kam vom Deutschen Theater in Brünn 1921 nach Wien ans Raimundtheater, das er von der Operettenbühne wieder zum anspruchsvollen Sprechtheater machte. Der Ruf eines fortschrittlichen Theaterleiters war ihm vorausgeeilt und Robert Musil schrieb nach der EröffungsVorstellung von Beere Direktion mit „Florian Geyer“ von Gerhart Hauptmann: „Möge Jehova Dr. Beer auserwählen, der Hecht im Teich der Wiener Theaterkarpfen zu sein!“

Als 1924 das mit dem Carltheater vereinigte Volkstheater unter Alfred Bernau tief in die roten Zahlen rutschte, übernahm Beer auch dieses Haus mitsamt der von ihm mit 300.000 Mark bezifferten Schuldenlast. Damit begann für das Volkstheater eine erfolgreiche Periode, die vor allem dadurch zustande kam, daß Beer die Vorherrschaft eines der beiden ewig streitenden Partner Kunst und Kommerz zu verhindern wußte und die für Wiener Verhältnisse progressive Linie nicht allzu deutlich werden ließ. Er blieb hart auf Slalomkurs, der ihm auch viel Kritik von rechts und links eintrug.

Noch im Raimundtheater hatte er sich den österreichischen Dramatiker Franz Theodor Csokor als Dramaturgen geholt und mit ihm ein Konzept ausgearbeitet, das im Kern aus drei Schwerpunkten bestand: Zeitgenössische Literatur, Werke moderner Klassik (etwa Henrik Ibsen) und Unterhaltungsstücke mit Stargästen. Letztere nahm der Prinzipal meist selbst in die Hand, weil damit die finanzielle Basis geschaffen werden sollte.

Schon Beers erste Premieren machten deutlich, worauf er programmatisch hinauswollte. Er eröffnete seine erste Spielzeit mit Joseph von Eichendorffs „Die Freier“. Als nächstes brachte er das Volksstück „Das vierte Gebot“ von Ludwig Anzengruber, der Mitbegründer des Hauses war. In der Inszenierung Karl Heinz Martins, dem Beer bald darauf das Raimundtheater überließ, wurde Luigi Pirandel-los „Sechs Personen suchen einen Autor“ gegeben. In diesem Erfolgsstück spielte und persiflierte sich Beer als Theaterdirektor selbst.

Es folgte die Premiere der Posse „Vinzenz oder die Freundin bedeutender Männer“ von Robert Musil, bei der Beer auch selbst Regie führte. Auch die immer wieder gepflegte Boulevardkomödie fehlte nicht: Karl Forest, der Bruder Lina Loos', inszenierte „Ein schwaches Weib“ von Jacques DuvaL

Lina Loos, die erste Frau des Architekten Adolf Loos war zeitweise Schauspielerin am Volkstheater. Sie wußte nach dem Zweiten Weltkrieg Bezeichnendes über ihren Direktor zu berichten: Als Beer sie einmal versehentlich zur gleichen Zeit zu Proben am Raimund- und am Volkstheater einteilte, fragte sie ihn, zu welcher sie nun gehen solle. Er antwortete prompt: „Schauspielerinnen, die nicht zur gleichen Zeit in zwei verschiedenen Theatern sein können, kann ich überhaupt nicht brauchen I“ Wenn dies auch nicht ernst gemeint war, so zeigt es doch die Theaterbesessenheit dies es Mannes.

Eine weitere Leistung Beers war die Entdeckung junger, begabter Schauspieler. Neben den bereits zu Stars gewordenen Mimen Albert Bassermann, Emil Jannings, Max Pallenberg, Elisabeth Bergner oder TUla Durieux (um nur einige zu nennen), die er zu Gastspielen nach Wien holte, bildete er auch damals noch als „Begabungen“ geltende Entdeckungen wie Hans Jaray, Karl Skraup oder Paula Wessely aus. Eines der jungen Talente, die Berlinerin Margarete Köppke, die Beer 1926 als Wedekinds „Lulu“ mit einem Schlag berühmt gemacht hatte, mordete in der Wirklichkeit keine Männer, sondern vier Jahre nach diesem Erfolg sich selbst.

Für Rudolf Beer begann mit dem neuen Jahrzehnt der langsame Abschied. Mit der Premiere der „Elisabeth von England“ sorgte er noch einmal für Aufregung. Nach der Aufführung präsentierte sich der von der Presse jahrelang gesuchte Autor Ferdinand Bruckner der Öffentlichkeit und wurde als der in Berlin tätige österreichische Theaterdirektor Theodor Tagger erkannt

Nach einer Umbesetzung des Volkstheater-Vereins 1931 sah sich Beer nachneuen Aufgaben inBerlin um. Bevor er dorthin wechselte, schaffte er es aber noch, den nur aus dem Kino bekannten Hans Albers in der Rolle des Liliom von Franz Molndr auf die Bühne des Volkstheaters zu bringen.

Bald danach begann für ihn als Juden die Bedrohung durch die Nazis. Von Berlin nach Wien geflüchtet, gelang ihm nach Hitlers Einmarsch der Sprung ins Ausland nicht mehr. Er wurde brutal niedergeschlagen, lag ein paar Tage schwer verletzt in seiner Wohnung und drehte dann völlig verzweifelt den Gashahn auf.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung