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Heikle Beziehungen

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Ausgerechnet seit dem Jubiläum der Slawenapostel herrscht wieder einmal politische Eiszeit zwischen Österreich und dem tschechoslowakischen Nachbarland. Noch im Mai war kurz von „Tauwetter” die Rede gewesen. Dann kamen die Method-Feier in Velehrad und das Einreiseverbot für Kardinal König, und jetzt sind wir wieder bei jenem Zustand angelangt, der seit Jahr und Tag offenbar der Normalzustand zwischen den beiden historisch so eng verbundenen Nachbarn zu sein scheint: man ist böse aufeinander.

Warum klappt es nicht und nicht mit Österreich und der CSSR? Natürlich liegt die Schwierigkeit vor allem andern in der Tatsache, daß die gegenwärtige Führungsgarnitur in Prag die am wenigsten flexible und aufgeschlossene im ganzen Ostblock ist.

Aber ist das wirklich die ganze Wahrheit? Wenn österreichische und tschechische Zeitungen übereinander herziehen, dann ist meistens eine Extraportion Gereiztheit dabei, die anderen Polemiken fehlt.

Streitende Verwandte streiten offenbar heftiger als Fremde. Und unabhängig von der Verschiedenheit der politischen Systeme tauchen dabei stets auch die alten nationalen Klischeevorstellungen wieder auf: Bei den Österreichern das Klischee vom „falschen Böhm”, bei den Tschechen das Klischee vom überheblichen Österreicher, dessen Besserwisserei nur von seiner Verständnis-losigkeit übertroffen wird.

Als vorige Woche das Parteiblatt „Rüde Pravo” gegen die angeblich böswillige „antitschechoslowakische Kampagne” in Österreich protestierte, kam in dem Artikel auch der Satz vor, man brauche bei einer nationalen Feier wie dem Method-Jubiläum keine Belehrungen „ausgerechnet aus Wien”. Von Wien aus sei schließlich jahrhundertelang jedes nationale Leben und jedes nationale Selbstbewußtsein in Böhmen unterdrückt worden.

Das ist — trotz aller Zweckpropaganda — tatsächlich ein wunder Punkt, der in Österreich gern vergessen wird.

Die Geschichte ist die Lehrmeisterin der Gegenwart. Wer viel in Osteuropa herumkommt, lernt die Richtigkeit dieses Satzes ermessen. Unaustilgbar steckt die Geschichte in den Köpfen der Menschen, weit mehr als die jeweilige Staatsdoktrin.

Auch Österreicher und Tschechen erinnern sich an ihre gemeinsame Geschichte — aber sie erinnern sich in sehr verschiedener Weise. Für uns ist die Zeit, „als Böhmen noch bei Österreich war” überglänzt von der goldenen Patina der Nostalgie. Damals gab es die guten böhmischen Köchinnen und die fleißigen böhmischen Schneider, die ihrer österreichischen Herrschaft so treu ergeben waren.

Die Tschechen könnten froh sein, so denken wir, wenn sie es je wieder so gut hätten wie unter unserem alten Kaiser. Tatsächlich wird heute auch in der Tschechoslowakei die k. u. k. Epoche wieder in milderem Licht gesehen. Aber nach wie vor gilt, besonders bei der Intelligenz, die gemeinsame Vergangenheit als eine Zeit der Behinderung und Demütigung — nicht nur, aber auch.

„Österreichs Schicksalsland” hat Friedrich Heer einmal Böhmen genannt. Österreich war auch Böhmens Schicksalsland. Aber alles, was unseren Nachbarn an unserer gemeinsamen Geschichte am wichtigsten ist, worauf sie stolz sind und woran sie leiden, ist für die meisten Österreicher kaum ein vager Begriff:

Jan Hus auf dem Scheiterhaufen, der böhmische Adel, blutig ausgelöscht in der Schlacht auf dem Weißen Berg, der Freiheitsdichter Havlicek im Verlies des Spielbergs - lauter Bilder, die jedem tschechoslowakischen Schulkind eingeprägt sind und die allesamt vom unglücklichen Kampf der Böhmen gegen deutsche (österreichische) Kaiser und römische Kirche handeln.

Auch daher kommt die besondere Empfindlichkeit der tschechoslowakischen Behörden gegen alles, was auch nur entfernt nach österreichischer Einmischung in Kirchenfragen aussieht.

Manche Verbreiter des Christentums, schrieb „Rüde Pravo” in seinem Kommentar, hätten den Tschechen „mit Gewalt eine fremde Sprache, eine fremde Kultur aufgezwungen”. Beim Method-Jubiläum hatte man deshalb unter sich sein wollen. Der große Alphabetisierer sollte als nationale Figur, ohne fremde Gäste, gefeiert werden.

Hier freilich hat das offizielle Prag eine entscheidende Veränderung der letzten Jahre unterschätzt. Nationales Selbstbewußtsein in Böhmen und katholischer Glaube — das war in der Tat jahrhundertelang ein Gegensatz. Das Bündnis zwischen Thron und Altar, dem österreichischen Kaiser und der römischen Kirche, hat zu dem betonten Antiklerikalismus geführt, der seit jeher für nationalbewußte Tschechen charakteristisch war.

Ganz anders als in Polen, wo die

Kirche immer das einigende Band der Nation bildete, wurde sie in Böhmen (nicht in Mähren und der Slowakei) von vielen als Instrument der fremden Vormacht gesehen. „Austrokatholizismus” nannte man eine bestimmte und besonders ungeliebte Art von Staatsfrömmigkeit.

Aber damit läßt sich heute nicht mehr operieren. Auch jetzt gibt es in der Tschechoslowakei den Begriff „Austrokatholizismus”. Damit ist jedoch nicht etwa Romtreue oder Österreichfreundschaft gemeint, sondern die Kirchlichkeit der regimetreuen „pacem in terris”-Priester. Noch immer — oder schon wieder — existiert ein Bündnis zwischen Thron und Altar, aber diesmal gehört der Thron den als fremd empfundenen kommunistischen Machthabern.

Die echte, authentische nationale Tradition und die echte, authentische Kirche stehen zum erstenmal seit Jahrhunderten nicht gegeneinander, sie gehören zusammen. Die Bürgerrechtsbewegung Charta-77 ist dafür ein gutes Beispiel: sie vereinigt programmatisch Christen, Liberale und demokratische Linke.

Unbekannte Nachbarn

Vor diesem Hintergrund kann man ermessen, was das Method-Jubiläum gerade für die böhmischen Länder bedeutet hat. Die römische Kirche spricht nicht mehr „in fremder Sprache” zu ihren slawischen Kindern. Die Begründer der slawischen Schriftsprache, Kyrill und Method, stehen nun quasi gleichberechtigt als „Patrone Europas” neben dem heiligen Benedikt.

Es ist schade, daß der Wiener Kardinal, unermüdlicher Brük-kenbauer zu den Ostkirchen, bei der Method-Feier in Velehrad nicht dabei war. Er hätte hin gehört.

Für die Österreicher insgesamt aber sollten das Jubüäum und seine Folgen ein Anlaß sein, ihre tschechoslowakischen Nachbarn genauer kennenzulernen und gerechter zu sehen. Wieviele Österreicher, die Florenz und London selbstverständlich längst kennen, waren noch nie in Prag (für mich die schönste Stadt der Welt)?

Warum ist die große tschechische Literatur, von Capek bis Kundera, in Paris besser bekannt als im benachbarten Wien? Mit der derzeitigen tschechoslowakischen Regierung werden wir sicher noch oft streiten. Aber bei Land und Leuten gibt es für uns noch viel zu entdecken — und einiges gutzumachen.

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