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Heikle Fragen ohneAntwort

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Über die in der Bundesrepublik und in Österreich aufgezeigten Entwicklungstendenzen wird der Autor bei der Tagung der österreichischen Kirchenpressekonferenz am 2. 5. in Tragwein/OÖ referieren.

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Über die in der Bundesrepublik und in Österreich aufgezeigten Entwicklungstendenzen wird der Autor bei der Tagung der österreichischen Kirchenpressekonferenz am 2. 5. in Tragwein/OÖ referieren.

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Während im deutschsprachigen Zeitschriftenblätterwald seit geraumer Zeit eine Art Frühling ausgebrochen ist, bleibt in der kirchlichen Presse alles beim alten: ihre stärkste Flottille, die Kirchenzeitungen der Diözesen, segelt auf ruhigem Kurs. Siegesmeldungen gibt es nicht, allenfalls ist von teilweise erfolgreichen Frontbegradigungen die Rede, so etwa, wenn die bundesdeutsche Arbeitsgemeinschaft Katholische Presse berichtet, der Auf la-genrückgang der Bistumspresse insgesamt sei 1983 „leicht abgebremst" worden: nur ein Minus von 2,1 Prozent statt 2,9 Prozent im Vorjahr.

Was den bundesdeutschen Kollegen da in einem Jahr verlorengegangen ist, entspricht statistisch der Auflage des Salzburger „Rupertusblatts". Was übrigbleibt, ist immer noch beachtlich: knapp 1,7 Millionen Exemplare wöchentlich. Und nimmt man die deutschen und die österreichischen Diözesen einmal rechnerisch zusammen, so drucken ihre Diözesanblätter jede Woche wohl noch 2,2 Millionen Exemplare, mehr als die Illustrierte „Stern", was aber geschieht, wenn jedes Jahr ein „Rupertusblatt" verlorengeht? Die Kirchenpresse wird dann zwar nicht in 63 Jahren verschwunden sein, aber sie wird bis zu den Abnehmern des „harten Kerns" zusammenschrumpfen.

Auf die einschlägige Interview-Frage einer Publizistikstudentin antwortete eine alte Bergbäuerin: „Wir haben schon das Kirchenblatt, aber lesen tut's bei uns ganz selten einer." Dazu paßt ein Satz aus dem Ergebnisbericht der

„Münchner Katholischen Kirchenzeitung" über eine Leserbefragung — ein Satz von unfreiwilliger Komik und sicher nicht beabsichtigter Selbstkritik: „Die Bistumszeitung wird keineswegs nur aus Anhänglichkeit zur Kirche abonniert, um dann in den Papierkorb zu wandern. 17 von 20 Abonnenten lesen sie auch Woche für Woche." Man stelle sich vor, „Kronenzeitung" oder „Bunte Illustrierte" würden gekauft, „um in den Papierkorb zu wandern". Sollte der Leser-pro-Exemplar-Wert wirklich unter „eins" liegen (17 : 20 = 0,85), dann wären ja selbst Österreichs Parteizeitungen noch besser dran. Die Oma vom Bergbauernhof hat ihre Erklärung dafür: „Wir beziehen es (das Blatt) hauptsächlich der Kinder wegen. Die geh'n noch in die Schul', und den Pfarrer ha-ben's im Religionsunterricht. Der Pfarrer würde das gleich registrieren, wenn wir das ,X-Blatt' abbestellen würden."

Hannes Burger, damals noch Münchner /Kirchenzeitungsredakteur, heute Wiener Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung", prägte 1965 das Bonmot vom „kleinen Kirchenaustritt", der angeblich mit der Kündigung des Kirchenzeitungs-Abonne-ments vollzogen würde. Heute muß man den Satz umdrehen: angesichts des Phänomens der stillen Auswanderung aus, der Kirche ist die Beibehaltung des Abonnements das „Kleine-in-der-Kir-che-Bleiben".

Warum ist das so? Und: Muß das so sein? Zum Teil muß es wohl so sein. Daß Kirchenblätter von einer relativ überalterten Leserschaft bezogen werden, hat mannigfache soziologische Gründe. Es gibt auch Ausnahmen. So ist es der „Linzer Kirchenzeitung" nicht nur gelungen, die Quote ihrer „regelmäßigen Leser" zwischen 1977 und 1983 von 12 auf 14 Prozent (der oberösterreichischen Bevölkerung) zu erhöhen, sondern sie auch bei den Jüngeren gleichzuhalten (7 Prozent). Gerade dies — die Jüngeren zu gewinnen — ist ungewöhnlich schwierig.

Beim Jubiläum einer westdeutschen Kirchenzeitung stellte ich die These auf, Jugendliche fänden in Kirchenzeitungen kaum etwas, was sie zum Lesen bringen könnte. Es wurde dies als „überspitzter Realismus" bezeichnet. Bestimmte Themen scheinen, wie es die Katholische Nachrichtenagentur in der Bundesrepublik einmal formuliert hat, in der Kirchenpresse tabu zu sein: die Seelsorge an den wiederverheirateten Geschiedenen, der Zölibat und die voreheliche Sexualität.

Andere Gründe wie das „rapid sich beschleunigende Auseinanderdriften von persönlichem Glauben, kirchlicher Lehre und Alltagsmoral", der „Rückgang kirchlicher Präsenz in unserer Gesellschaft", der „stille Auszug vieler Frauen aus der Kirche", der „Zusammenbruch der Jugendarbeit und der Seelsorge auf dem Land" zählt Walter Bayerlein, verdienter katholischer Funktionär aus München, für die geringe Brisanz der behandelten Themen auf. (Es ist ja auch nicht so, daß die erwähnten Tabu-Themen nicht vorkommen: sie werden durchaus angesprochen, aber oft in einer geschönten Pastoral-Sprache, die vom Normalleser nicht verstanden wird.)

Auch die von der „Linzer Kirchenzeitung" befragten Leser interessieren sich für Handfestes: ob die Höhe des Kirchenbeitrages gerechtfertigt sei, ob Priester heiraten dürfen sollten, warum die Leute am Sonntag weniger in die Kirche gingen als früher, ob Geschiedene wieder kirchlich heiraten können sollten. Diese Tabu-Themen können jedoch in jeder Diözese Tausende, ja Zehntausende von Katholiken berühren. Uberall gibt es beispielsweise Eltern) die Töchter und Söhne im Alter zwischen 16 und 20 haben, und die meisten stehen vor den gleichen Fragen, die sie in der Kirchenpresse nicht, in kommerziellen Jugendzeitschriften aber eindeutig beantwortet finden. Uberall leben Familien, die Familien kennen, die nicht mehr die ersten Familien sind. Man kümmert sich umeinander. In seiner Eigenschaft als Familienblatt müßte sich das Kirchenblatt mitkümmern? Soll es dürfen?

In vielen Kirchenzeitungen werden Leserfragen beantwortet. Ich habe Stichproben gemacht und verglichen. Meist sind es sehr brave Fragen. Ob nun bei Totenmessen Schwarz oder Violett zu bevorzugen sei? Ob bei der (frühen) Erstkommunion nun neuerdings wieder die vorherige Erstbeichte vorgeschrieben sei? Wo denn die alten Kirchenlieder geblieben seien, die man im „Gotteslob" vergeblich suche? Geben uns die Kirchenzeitungen klassischen Typs in der Hauptsache Antworten auf Fragen, die sich gar nicht ernsthaft stellen? Und sind die Antworten der bunten Bilderblätter, die oft mit Recht als Scheinantworten kritisiert werden, vielleicht deshalb so beliebt, weil sie wenigstens „irgendwie" mit den Lebensnöten der Noch-nicht-Se-ligen zu tun haben?

Der Autor ist Professor für Publizistik und Kommunikationstheorie in Salzburg.

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