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Heil-lose Welt

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Die Frage, was es eigentlich bedeutet, in dieser Zeit zu leben, bewegt nicht allein die Philosophen, Journalisten oder Zukunftsforscher. In dem Versuch, die „Zeichen der Zeit“ zu deuten und richtig einzuordnen, drückt sich unsere Grunderwartung gegenüber dem Zukünftigen aus, das der Mensch schon immer nach seinen Plänen zu gestalten suchte.

Heute muß der Computer herhalten, um künftige Entwicklungen langfristig vorauszuberechnen. Umso größer das Dilemma, wenn sich das scheinbar Berechenbare letztlich als unbere-

chenbar erweist und die Geschichte einen Verlauf nimmt, der uns völlig zu entgleiten droht.

Doch das ist genau der Punkt, an dem wir heute weltweit angelangt sind. Sowohl im großen als auch im kleinen scheint uns die Herrschaft über die wesentlichen Dinge unseres Lebens abhanden gekommen zu sein, denn vieles von dem, was wir gerne hätten, wie etwa Frieden und Gerechtigkeit im Zusammenleben der Völker, bekommen wir trotz allem „Know-how“ nicht mehr in den Griff.

Wir sind machtlos gegen Naturkatastrophen, wie Erdbeben (die sich in letzter Zeit häufen und ein exponentielles Ansteigen erkennen lassen), Dürreperioden (von denen derzeit die USA und Teile Chinas betroffen sind), Heuschreckenplagen (mit bis zu acht Billionen Insekten pro Schwärm!) sowie gegen das Auftreten neuer unheilbarer Krankheiten (Aids). Und erst recht bedrohlich sind die Zerfallserscheinungen, die durch

das Erscheinungsbild der modernen Gesellschaft in zunehmendem Maße geprägt wird.

Das Negative läßt sich faktisch in allen Lebensbereichen orten, sei es nun in der Entartung der Moral (und der Selbstverständlichkeit, mit der sich die Gesellschaft daran gewöhnt hat), im sorglosen Umgang mit der Natur, oder in der weitverbreiteten Wegwerfmentalität, die aus dem technisch-materiellen Bereich in die menschliche Sphäre übertragen wurde — bis hin zur Abtreibung.

Hier stellt sich die grundsätzliche Frage: Wie erklärt es sich, daß wir bei einem noch nie gekannten Höchststand des wissenschaftlich-technischen Fortschrittes die Zeichen und Nöte der Zeit zwar erkennen und einigermaßen vernünftig beurteilen, ihnen aber trotzdem hilflos gegenüberstehen, gleichsam als verängstigte Zuschauer eines unerbittlich ablaufenden historischen Prozesses?

Vor kurzem hörte ich einen bemerkenswerten Vortrag des Generaldirektors von BASF-Österreich, Siegfried Buchholz, zu diesem Thema. Er sprach im Rahmen eines charismatischen evangelischen Gottesdienstes und stellte eines klar: Wir Menschen von heute haben für die „Zeichen der Zeit“, von denen schon die Bibel spricht, mehr oder weniger das geistliche Gespür verloren.

Wir sind unsicher und kraftlos geworden in unserem Denken und Handeln, weil wir nicht mehr

nach dem göttlichen Urgrund alles Geschehens fragen. Der Redner zitierte ein Paulus-Wort, das auf unsere Zeit ganz besonders zutrifft: „Weil die Menschen es für unnötig hielten, nach Gott zu fragen, hat Gott sie ihrem untauglichen Verstand überlassen“ (Rom 1,28).

Alleingelassen mit einem unbrauchbar gewordenen Verstand, sind wir zur Hoffnungslosigkeit und Lernunfähigkeit verurteilt. Nur der Glaube gibt uns die Gewißheit, nicht einem blinden Schicksal ausgeliefert zu sein, sondern einem gütigen Gott, der uns in sein Handeln einbeziehen möchte („Wir alle sind Gottes Mitarbeiter“, 1 Kor 3,9).

Ein wesentliches Element dafür ist wohl das gesellschaftliche Engagement des Christen, der vor den bedrückenden Zeichen dieser Zeit nicht kapitulieren darf, sondern aufgerufen ist, an dem zu bauen, was Johannes Paul II. bei seinem jüngsten Pastoralbesuch eine „neue Zivilisation der Liebe“ nannte.

Es ist ein trostvoller Gedanke, daß Gott es ist, der das letzte Kapitel unserer Geschichte schreiben wird. „Wo er seine'Herrschaft aufrichtet, geschieht das in Demonstration seiner Kraft“, formuliert Buchholz und rief dazu auf, im Vertrauen auf diese Kraft unseren Glauben sichtbar all denen vorzuleben, die Gott nicht kennen, damit ihnen diese Welt nicht vollends heil-los erscheint.

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