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Heilender Dienst

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Auf Grund des inneren Zusammenhanges von Heil und Heilung wurden die Aufgaben im Grenzbereich zwischen Theologie und Medizin zur Zeit der Mönchsmedizin in Personalunion verwirklicht. Mit dem zunehmenden Aufkommen der naturwissenschaftlichen Medizin (seit Paracelsus) trennten sich Theologie und Medizin; je mehr aber wieder der kranke Mensch und nicht die isolierte Krankheit in den Vordergrund rückte, desto mehr kam es auch zu einer Näherung. In der Pastoralmedizin war ein erster Höhepunkt die Pastoralpsychiatrie des Wiener Pastoraltheologen Anselm Rickers (1888). Mit den Reden Pius XII. an Ärzte (1944 bis 1958) verdichtete sich gemeinsames Denken und Handeln und heute ist es eine Selbstverständlichkeit, Theologen zu medizinischen Diskussionen einzuladen und um Festreden vor Ärztekongressen zu bitten.

Der Dienst am Kranken ist in gegenwärtiger Sicht ein ergänzendes Bemühen zwischen Theologie und Medizin. Wenn letztere sich vorzugsweise um Diagnose, Prophylaxe und Therapie kümmert, ist erstere bemüht, die Sinnfrage allen ärztlichen Handelns zu beantworten. Medizinische Kenntnisse für den Seelsorger und ärztliche Ethik ergeben das Doppelfach der Pastoralmedizin. Das vorliegende Buch bietet einen fundierten Einblick in beide Bereiche. Die ersten Kapitel enthalten ethische Probleme. Im Gegensatz zur antiken und mittelalterlichen Medizin gelangt die gegenwärtige Medizin wiederholt an Grenzen der Ethik, zumindest anders als früher, so daß gefragt werden kann, darf die Medizin überhaupt, was sie könnte. Ein gewichtiges Kapitel erläutert den Naturbegriff in Theologie, Philosophie, und Medizin, auch im Hinblick auf die ethische Relevanz.

„Doch können wir der Aufgabe nicht ausweichen, aus einer stets fortschreitenden besseren Erkenntnis der menschlichen Natur Schlüsse auf unsere Verantwortung und die Tragweite sittlicher Entscheidungen zu ziehen“ (53). Gerade die Medizin, deren Formalobjekt der kranke Mensch ist, der homo patiens, vermag gewichtige Beiträge zu einem allgemein gültigen Menschenbild zu liefern und auch brauchbare Kriterien zu suchen (58 ff.). Drei umfangreiche Kapitel befassen sich mit dem Leben, dem Tod und der Gesundheit des Menschen. Es werden jeweils die

Schwerpunkte ärztlicher Ethik behandelt (Beginn des menschlichen Lebens, Empfängnisregelung, Abtreibung, Sterben, Organtransplantation, Lebensverlängerung, Gesundheit und Krankheit, Seelenleiden und Psychotherapie, Homosexualität, Süchte, allgemeine ärztliche Pflichten, wie Verschwiegenheit und Wahrhaftigkeit, Humanexperimente). Der

Autor, dem die theologischen Wissenschaften viele wichtige Arbeiten verdanken, so auch das „Gesetz Christi“ als moraltheologisches Lehrbuch, entwickelt jeweils das medizinische Problem, dessen ethische Bedeutung, und gibt eine begründete Antwort: demzufolge ist niemals „dem Embryo zu irgendeinem Zeitpunkt das Grundrecht auf menschliches Leben abzusprechen“ (78), Empfängnisregelung absolut verschieden von der Abtreibung (79), mit dem eingetretenen und festgestellten Hirntod wirklich der Totaltod im Sinne menschlicher Existenz gegeben (120); demzufolge besteht das sittliche Recht, in Würde sterben zu dürfen (124), ein entschiedenes Verbot der (positiven) Euthanasie (130). „Heil und Heiligkeit des Menschen stehen in inniger Beziehung zu Ganzheit und Heilung der menschlichen Person“ (136). Es wird das Verhältnis von Gesundheit und Krankheit zu (persönlicher) Schuld bestimmt, der Sinn der Krankheit, die gemeinsamen und wesensverschiedenen Bereiche von Seelsorge und Psychotherapie, auch die „Gefahren gewisser Richtungen der Psychoanalyse“ (1501). Der Autor, Professor für Moraltheologie in Rom, war Sanitäter bei der kämpfenden Truppe und bringt von diesem Dienst für Verwundete und Sterbende eine Erfahrung mit, die mithilft, im Bereich arzt-ethischer Entscheidungen krisensichere Lösungen zu finden.

ETHISCHE PROBLEME DER MODERNEN MEDIZIN. Von Bernhard Häring. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1972.

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