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Heilige als Hoffiiung

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FURCHE: Wovon werden wir morgen leben? BISCHOF FLORIAN KUNT-NER: Ich fange bei einem ganz normalen, alltäglichen, natürlichen Bereich an. Wovon wir morgen leben werden: Wohl von dem, wovon der Mensch immer schon gelebt hat. Um erfüllt und sinnvoll leben zu können, braucht der Mensch einfach jemanden, den er mag, jemanden, mit dem er eine gute Beziehung hat und der ihm von Herzen zugetan ist. Daher werden wir morgen von guten Ehen und Familien leben. Mit guten Ehen und Familien meine ich jetzt nicht in erster Linie solche, wo es um das äußerliche Funktionieren geht. Tragfähig werden vielmehr solche Ehen und Familien sein, wo so etwas wie eine herzliche, gute, eine erlebbare Atmosphäre der Zuneigung vorhanden ist. Das brauchen wir Menschen, davon werden wir leben. Solche Beziehungen wird es nicht nur im privaten Bereich von Ehe und Familie geben. Auch in unsere Betriebe muß diese Haltung hineingetragen werden. Ich bin fest davon überzeugt, je besser die menschlichen Beziehungen, je größer die menschliche Wärme in den Betrieben, in den Geschäften, in den Büros, Verwaltungsapparaten sind, umso besser werden wir mit allen Aufgaben zurechtkommen.

FURCHE: Also wegkommen vom Denken, das nur die Funktioticti sieht?

KUNTNER: Ja. Ich glaube, daß heute wirklich dem Funktionieren allzu großer Wert beigemessen wird. Dieses Denken ist von der Technik geprägt. Es sieht das Entscheidende in den technischen

Vorgängen. Menschliches Leben ist aber mehr als bloßes Funktionieren. Darauf müßten wir uns neu besinnen. Wir sollten uns ausrichten auf mehr Güte, auf mehr Liebe, auf mehr Verständnis, auf mehr Freundlichkeit, auf mehr

(Foto Begsteiger)

Annahme. Diese großen Werte werden alle unsere Lebensbereiche prägen müssen. Und weü der Mensch in Zukunft mehr Zeit zur Verfügung haben wird, gilt das dann besonders auch für seine Freizeit. Natürlich trifft diese Herausforderung sehr stark unsere christlichen Gemeinden, Gemeinschaften, ja die ganze Kirche.

FURCHE: Relativierung des Funktionierens also auch in der Kirche?

KUNTNER: Wie überall muß auch in der Kirche das Funktionieren in den Dienst von etwas ganz anderem gestellt werden, von etwas ganz großem. Natürlich muß etwa bei einem Gottesdienst der Liedplan feststehen, müssen Lektoren eingeteilt sein, muß man an die Aufgaben denken. Aber das alles tritt dann total in den Hintergrund, wenn das Eigentliche geschieht: Menschen sind ergriffen von der Wahrheit, die ihnen verkündet wird, sie erfahren Gemeinschaft im Gebet, leben von der Anwesenheit Gottes, an die sie glauben, sie loben und preisen Ihn gemeinsam. Damit bin ich natürlich bei einem nächsten Aspekt der Frage, was in Zukunft tragen wird.

Wie werden Menschen diese Güte, Herzlichkeit, Wärme und Hoffnung, die von uns gefordert sind, entwik-keln? Für mich ist die Antwort ganz klar: Hier geht es um die Gottesbeziehung. Solche Eigenschaften entfalten kann nur, wer von anderswo die Kraft dazu bekommt, wer von anderswo den Ruf zur Umkehr hört. Denn gerade die Umkehr ist für unsere Zukunft entscheidend. Nicht Verbrecher haben uns nämlich in die heutige Krise gelockt. Daß unsere zwischenmenschlichen Beziehungen so gelitten haben. Daß wir derartig funktionalisiert sind, ist darauf zurückzuführen, daß wir uns fast ausschließlich von der Technik her bestimmen lassen.

FURCHE: Ist diese Sicht vom Menschen tragfähig?

KUNTNER: Nein. Uberlebensfähig sind wir nur mit einer persönlichen Beziehung zum lebendigen Gott. Ich spreche ganz bewußt vom Gott der Bibel, der sich geoffenbart hat. Es ist der Gott des auserwählten Volkes und der Vater Jesu Christi, es ist Jesus Christus selbst und der dreifaltige Gott, den er geoffenbart hat. Es geht also in Zukunft nicht um die Wiederbelebung irgendeiner Art von Religiosität, irgendeines Glaubens, sondern um den Glauben an den von Jesus Christus geoffenbarten Gott.

FURCHE: Christsein wird sich also nicht auf mehr oder weniger formale Zugehörigkeit zur Kirche beschränken?

KUNTNER: Nein. Theologen, besonders aber Menschen, die sehr stark die Zeichen der Zeit sehen, betonen immer wieder, daß der Christ der Zukunft so etwas wie ein Mystiker sein muß. Er wird total in Gott verwurzelt sein. Daß Gott eher am Rand steht, konnte so lange gut (oder schlecht) gehen, solange die ganze Gesellschaft irgendwie christlich geprägt war. Bisher konnte der einzelne mitschwimmen. Die Zukunft wird er aber nur bestehen können, wenn er persönlich — urpersönlich — und tief im Glauben an den dreifaltigen Gott verwurzelt ist und aus diesem Glauben heraus lebt.

FURCHE: Wie artikuliert sich so ein persönlicher Glaube?

KUNTNER: Er lebt ganz einfach aus dem Gebet. Nur im Gebet kann ich diese persönliche Beziehung aufbauen. Im Gebet bekomme ich Trost zugesprochen, und im Gebet werde ich auch die Weisung erhalten, wie ich gehen kann.

FURCHE: Zeichnet sich aber eine Entwicklung zu solchem Glauben ab?

KUNTNER: Hier möchte ich ein persönliches Bekenntnis abgeben: Ich bin voller Hoffnung. Das heißt nicht, daß ich die vielen negativen Erscheinungen übersehe, die Signale, daß Katastrophen eintreten könnten. Ich bin also kein Utopist, schließe sogar eine weltweite Katastrophe nicht aus. Dennoch habe ich Hoffnung. Und zwar deswegen, weil Gott immer wieder in die Geschichte eingreift — und zwar spürbar, sehbar, erlebbar. Er bewegt die Herzen, schenkt uns heiligmäßige Menschen.

FURCHE: Geschieht das auch heute?

KUNTNER: Man braucht nur mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, dann erkennt man, daß Gott sein Volk nicht verläßt. Ich begegne Menschen, die tief bewegt sind vom Anruf Gottes, die ihr Leben radikal ändern. Gerade in letzter Zeit bin ich mit Menschen zusammengetroffen, von denen ich, sehr vorsichtig ausgedrückt, zu behaupten wage, daß sie ganz besonders begnadet sind. Gott ist ihnen nahegekommen. Sie formen ihren Alltag aus der lebendigen Beziehung zu Gott. Und sie haben eine Botschaft für andere in einem Ausmaß, das ich von früher nicht kenne. Es kann natürlich auch sein, daß ich offenere Augen bekommen habe. Jedenfalls begegnen mir in letzter Zeit viele solche Menschen. Und darüber freue ich mich. Diese Menschen sind es — davon bin ich überzeugt -, die die Welt in Zukunft tragen werden. Und es wird viele solche Menschen geben.

Weihbischof Florian Kuntner ist Bischofsvikar für das Vikariat Süd der Erzdiözese Wien. Mit Bischof Kuntner sprach Christof Gaspari.

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