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Eine „offene und mutige Diskussion" zum Thema Neutralität „kann und soll Österreich nicht erspart werden": Darin sind sich die drei Herausgeber eines neuen Buches einig.

Der bekannte Wirtschaftspublizist und langjährige Industriesprecher Herbert Krejci bleibt seiner Linie treu: „Österreich kann und darf sich nicht gewissermaßen aus der Weltgeschichte wegstehlen." Also: volle Teilnahme an der Intregration.

Der Sektionsleiter im Verteidigungsministerium und Publizist Erich Reiter verweist auf zwei schwer widerlegbare Tatsachen: Wer von der Bewährung der Neutralität in den letzten Jahrzehnten spricht, vergißt, daß der wirkliche Bewährungsfall für Österreich nie eingetreten ist und angesichts nie sehr emstgenommener Landesverteidigung vermutlich auch übel verlaufen wäre.

Der Politologe Heinrich Schneider hat als dritter Herausgeber den umfangreichsten Einzelbeitrag zur Verfügung gestellt. Er analysiert mit Akribie alle möglichen Leitbilder einereuropäischenSicherheitspolitik, durchleuchtet alle dafür in Frage kommenden Begriffsbezeichnungen und kommt zu dem Schluß: Vergangenes ist nicht mehr brauchbar, auch „kollektive Sicherheit" angesichts früheren sowjetischen Bestehens auf gleichzeitiger Auflösung aller Paktsysteme nicht. Sinnvoll ist H. D. Genschers Formel von einem „gesamteuropäischen kooperativen Sicherheitssystem", und ein solches ließe sich widerspruchsfrei aus den Rechtsgebilden der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) entwickeln.

Keiner der 20 Buchautoren (keine Autorin!) widerspricht einem Grundsachverhalt, den ÖGB-Präsident Friedrich Verzetnitsch so formuliert: „Der Wind der revolutionären Umbrüche hat die alte Landkarte mit Sand zugeweht, und plötzlich entsteht dieses Europa neu..." Der Völkerrechtler Felix Ermacora zieht die Konsequenz daraus drastischer als andere: „Die Weltlage hat die immerwährende Neutralität Österreichs ins Wachsfigurenkabinett gestellt."

Andere Autoren sind da zurückhaltender, aber nahezu alle stimmen zu: Man darf die Neutralität nicht als Identitätsstütze oder diffuses Staatsethos, nicht als Mythologie, Religionsersatz, heilige Kuh oder Dogma hochstilisieren. Sie hat gute Dienste geleistet, aber sie muß angesichts völlig neuer Umstände neu bedacht und vermutlich eines Tages aufgegeben werden.

Selbst diesbezüglich besteht weithin Einigkeit, auch wenn manche Verfasser diesen Zeitpunkt noch in größerer Feme sehen und für einen EG-Beitritt unter Wahrung der Neutralität plädieren (etwa die Diplomaten Ludwig Steiner und Peter Janko-witsch sowie Verzetnitsch), während andere eine raschere Anpassung ins Auge fassen.

Österreichs Chef-EG-Unterhändler Manfred Scheich sieht darin keine Willensfrage, sondern „ganz einfach die Antwort auf objektive Entwicklungen und Erfordernisse unserer Zeit". Der Völkerrechtler Manfred Rotter bringt die Chose auf den Punkt: Die Preisgabe der Neutralität ist sinnvoll, wenn damit ein Sicherheitsgewinn für Österreich verbunden ist.

Dieser Meinung aber sind viele: „Splendid isolation" würde im Fall eines Angriffs auf Österreich keine Hilfe von Dritten auslösen wie vielleicht in der Vergangenheit durch die NATO. Daher die logische Folgerung des Verfassungsrechtlers Andreas Khol: Ein Festhalten an der Neutralität hieße für Österreich „Pflicht zur Aufrüstung", also die teuerste Variante einer Sicherheitspolitik! Und der Journalist Andreas Unterberger: Neutralität wird immer mehr als Drückebergerei gewertet!

Vorbehaltlos für die Beibehaltung des Status quo, aber mit sehr schwachen Argumenten, ist Ex-Außenminister Erwin Lanc: „Neutralität ist territoriale Erweiterung von Friedenszonen." Wieso? Und Günther Nen-ning: „Die juristische Neutralität ist uninteressant", aber das Volk will sie, und das zählt. Der Journalist Engelbert Washietl baut darauf, daß die künftige EG Platz für Neutrale haben müßte, soll sie nicht zum Spielplatz für Großmächte werden. Ob sie sich daran halten wird?

Das vorliegende Buch ist für emsthaft Interessierte eine unverzichtbare Informationsquelle. Und vielleicht wird man eines Tages sogar Wissenschaftler noch davon überzeugen, daß endlose Kleinschriftfußnoten (oft mit wichtigem Inhalt) Leservertreiber, aber nicht Glaubwürdigkeitsmehrer sind.

NEUTRALITÄT - Mythos und Wirklichkeit. Herausgegeben von Herbert Krejci, Erich Reiter, Heinrich Schneider. Signum-Verlag. 264 Seiten, Ln., öS 348,-.

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