6883099-1979_16_15.jpg
Digital In Arbeit

Heiligtum der Völker des Donauraums

Werbung
Werbung
Werbung

Programmatisches Vorhaben bleibt in Österreich fast immer Stückwerk. Das ist gut so. Die österreichischeste aller Symphonien ist Schuberts „Unvollendete“.

Was dem Erzherzog Ferdinand Max, dem späteren Kaiser von Mexico, bei seinem Aufruf vom Februar 1853 zum Bau einer Sühne- und Vo-tivkirche vorschwebte, die architektonische und künstlerische Darstellung des „Viribus unitis“, des Wahlspruchs Kaiser Franz Josephs, der Einheit aller Völker des Donauraumes in der Vielfalt ihrer nationalen Ausprägung, es blieb unvollendet Unvollendet, und dennoch hinreißend, fehlerhaft, und dennoch kostbar, voll der Mängel künstlerischer Art, und dennoch ein aufgeschlagenes Lehrbuch für jeden, der etwas über Österreich (das eigentliche!) erfahren will.

Gewiß, es begann alles sehr auftragsgemäß. Die Wappen der einstigen Kronländer lassen sich an den Streifen oberhalb der Fenster des Haupt- und Querschiffes erkennen, die Heiligen des Donauraumes und die Schutzpatrone der Dynastie grüßen von den Portalen, Kunst- und Kulturbeflissene aus aller Welt suchen und finden in der Votivkirche das wunderschöne Renaissancegrab des Grafen Niklas Salm, der mit den (damals sehr wehrhaften) Wienern die erste Türkenbelagerung durchstand, suchen und finden den Antwerpener Altar, diese Erinnerung an die verlorengegangenen österreichischen Niederlande.

Aber eben dieser Antwerpener Altar durchbricht und überbordet be-reits das eigentliche und ursprüngliche Programm, an dessen Stelle alsbald zwei völlig neue, dennoch dem Konzept von 1853 nicht widersprechende Geäankenlinieri treten. Kleinösterreichisch die eine, abendländisch und überkontinental die andere.

Als die postjakobinischen westlichen Sieger 1918/20 endlich das Zeichen des Widerspruchs und Widerstands ausgelöscht, den Stein ihres Anstoßes, Österreich-Ungarn, zerschlagen hatten, als die Bruchstücke eines gewiß unvollkommenen, aber brauchbaren europäischen Modells wehrlos den mächtigen Nachbarn ausgeliefert waren, hatte das Erbe des erschlagenen Reichs sich in jenen Rest verlagert, den die zynischen Friedensmacher „Österreich“ nannten.

Von diesem übermächtigen Erbe und seiner Verwaltung spricht vieles in der Votivkirche. Man nehme sich einmal die Mühe, all die Gedenktafeln zu suchen und zu entziffern, die sich in Seitenkapellen und an unbeachteten Wänden verstecken, man lese die Glasfenster, man nehme sich Zeit und sinne nach.

Da gedenken im Querschiff die Kaiserschützen-Regimenter ihrer

Toten aus dem Ersten Weltkrieg, zugleich aber zählt, nicht weit davon, der Wiener Heimatschutz seine Gefallenen aus dem Jahre 1934 auf und widerspricht damit einer zum Staatsmythos erhobenen offiziellen Version.

Die Beter des täglichen Familien-Rosenkranzes verewigen sich ebenso, wie das k. u. k. Feldhaubitzen-Regiment und das Wiener Leichte Artillerieregiment der Jahre 1914 bis 1918. Neben der 2. Panzer-Division der Jahre 1939 bis 1945 gedenkt die KAV Danubia ihrer auf dem Schlachtfeld Gebliebenen. Der Artilleristenbund-Wien stiftete 1930 die enorme Barbara-Kerze.

Eine Nische für sich haben die Angehörigen der Exekutive: Gendarmerie, Zoll, Justiz, Sicherheitswache, Kriminalpolizei und Polizeiverwaltung. Sie alle wissen um ihre Toten.

Die zweite Gedankenlinie, die abendländische, weit über unseren Erdteil hinausgreifende, erhält mit der Statue des heiligen Benedikt von Nursia ihren ersten Akzent. Benedik-tinische Weisheit und Toleranz verbindet die Statue in der Bischofs-Kapelle (so genannt, weil dort Bischof Godfried Marschall, Kaiser Karls erster Religionslehrer, begraben liegt) mit dem Altar der Gnadenmutter westindischer Indianer. Als Kaiser Maximilian von Mexiko, bedrängt von den Scharen des Juärez, sich weigerte, eines jener borniert-intoleranten Konkordate zu unterschreiben, wie sie damals nicht wenige katholische Staaten in schwerwiegende Krisen stürzten, hatte er auch noch die hohe Geistlichkeit seines Landes gegen sich. Als Schutz und Zuflucht blieb ihm, bis die Kugeln des Exekutionspelotons ihn ins Herz trafen (und wohl darüber hinaus), die Indianermuttergottes, Unsere Liebe Frau von Guadelupe.

Noch kündet brav und loyal, nahe dem Haupteingang eine Tafel, daß Franz Joseph und Elisabeth am 24. April 1879 ihre Silberhochzeit feierten, noch verherrlicht im Querschiff das von der Gemeinde Wien 1877 gespendete, von der Gemeinde Wien nach den Bomben lobenswerterweise wiederhergestellte „Kaiser-

Fenster“ die Namenspatrone des Monarchen, Josef und Franz - aber schon im gegenüberliegenden großen Fenster des Querschiffs, 1964 vom Lande Niederösterreich unter dem Landeshauptmann Leopold Figl gespendet, weitet sich das Programm ins Weltpolitische.

Von der katholischen Sozialreform ist hier die Rede. Man erkennt den „Gesellenvater“ Kardinal Gruscha, den „Matrosen- und Straßenbahnervater“ Rudolf Eichhorn, den Gründer der Calasantiner und Arbeiterseelsorger Anton Maria Schwarz, den Dominikaner Albert Maria Weiß, die Sozialpolitiker Carl Freiherrn von Vogelsang, Franz Grafen von Kueff-stein und die Gründerin der Caritas Socialis Dr. Hildegard Burjan. Man erkennt Sozialminister, später Bundeskanzler Dr. Ignaz Seipel und das sozialpolitisch engagierte Herrenhausmitglied Prinz Aloys von und zu Liechtenstein.

Nicht ohne Schmunzeln freilich registriert man auch die für das kleinere Österreich so typische Akzentverschiebung: während echte, aber doch lokale Größen die linke Seite bis über die Mitte hinaus bevölkern, findet sich Papst Leo XIII., dem immerhin die erste Sozialenzyklika zu danken ist, ein wenig nach rechts gerückt, und Kaiser Karl, der das erste Sozialministerium der Welt schuf, muß bescheiden mit der äußersten rechten Ecke vorlieb nehmen.

Eine ähnliche Akzentverschiebung läßt sich unschwer auf jenem Fenster feststellen, das den Eucharistischen Kongreß des Jahres 1912 zum Thema hat. Viel Geistliches und Weltliches tummelt sich darauf, aber es fehlt -und dies in der Votivkirche! - Franz Joseph in Person, der die enorme Prozession, stundenlang hinter dem Allerheiligsten kniend, mitmachte,' was die damals noch von antikatholischen Komplexen geplagten Westdemokratien zur Weißglut brachte und zu dem Schwur veranlaßte, dergleichen dürfe nie und nirgends mehr geschehen.

Ubernational erinnert das Mariazeller Fenster nicht nur an Kaiser Ferdinand III., an Miklas, Seipel und Dollfuß, und an den Männerapostel Pater Abel, es zeigt auch König Ludwig den Großen von Ungarn, dessen Gestalt wieder über den eigentlichen Donauraum ebenso hinausweist wie das Gnadenbild von Maria Pötsch, das aus dem Osten kam und von einem Fenster herab an die Gefahr erinnert, der Europa durch den Türkensturm ausgesetzt war.

In die Schweiz weist das Fenster, auf dem Rudolf von Habsburg einem Priester auf dem Versehgang das Streitroß übergibt, auf Spanien das Fenster in der Kreuzkapelle, auf dem der heilige Johannes von Gott mit seinem Hilfskorps 1529 vor Wien auftaucht, auf ferne Kontinente weisen die Fenster der Taufkapelle.

Zurück zur ersten Gedankenspur, zurück zum kleineren Österreich. Da gerät Ferdinand II. auf einem Fenster ins Gedränge mit den protestantischen Edelherrn. Da bemüht sich auf einem Fenster der Bischofs-Kapelle der heilige Ambros um die Bekehrung der niederösterreichischen Germanenfürstin Fritigil, der heilige Altmann und der heilige Leopold dürfen nicht fehlen, ebensowenig der heilige Clemens Maria Hofbauer.

Zum Hohen Lied des Standhaltens im schweren, manchmal allzuschweren österreichischen Erbe, im abendländischen Geiste, im Glauben an Gott wird das Programm der Votivkirche, wenn ein Fenster Christus auf der Todesstiege von Mauthausen zeigt, Granitbrocken schleppend inmitten der anderen Opfer, der Österreicher, Deutschen, Juden, Europäer, der katholischen Polen nicht zuletzt. Und wenn Franz Jägerstätter, bereit, für die Heimat zu kämpfen, aber niemals für den Antichrist, die Hakenkreuzfahne symbolisch zerreißt.

So schließt sich der Kreis. Heiligtum der Völker des Donauraüms? Mehr als das, weniger als das. Am Ende aber doch wohl mehr. Unvollkommen, unvollendet, mangelhaft. Hinreißend. Sehr, sehr österreichisch.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung