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Heillos in die Verpolitisierung

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Österreichs Öffentlichkeit, vor kurzem noch vom Krampus der medizinischen Unterversorgung geängstigt, wurde urplötzlich mit dem Beelzebub eines drohenden Ärzte-Überschusses konfrontiert. Ärztemangel noch auf lange Jahre hinaus, der gestern noch jedem Medizinstudenten die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen lohnenden Laufbahnen verhieß, soll bald schon in das Gegenteil umschlagen. So jedenfalls sieht die Ärztekammer, die in einer Pressekonferenz die Kontingentierung der Plätze für Studienanfänger forderte, die Situation.

Während in jedem besseren österreichischen Pressearchiv umfängliches Material über den Ärztemangel und die medizinischen Versorgungsprobleme mit einem Griff zu finden ist, müssen sich Österreichs Massenmedien an den Umgang mit gegenteiligen Fakten erst gewöhnen. Über das von der Weltgesundheitsorganisation angestrebte Idealverhältnis von einem Arzt für je 17.000 Einwohner sei Österreich mit einem Arzt auf je 16.000 Einwohner bereits hinaus, fertige Mediziner müßten darauf warten, ihren einjährigen Spitalsdienst, ohne den das Doktorat bekanntlich nicht vollwertig ist, in einem Wiener Spital antreten zu können, und, so erklärten die ärztlichen Standesvertreter weiter, nur noch ein künstlich herbeigeführter „Stu-dentenknick“ könne eine „Arztschwemme“ verhindern. Anderenfalls, der Präsident der Kärntner Ärztekammer jedenfalls sah diese Gefahr bereits heraufdämmern, könnte das Einkommen des niedergelassenen Arztes vielleicht eines Tages noch auf 8000 Schilling sinken.

Die andere Reichshälfte spricht angesichts solcher Warnungen von einem „Anschlag auf die Volksgesundheit“ und vom „Konkurrenzneid der Ärzte“. Das „Traumziel“ der Weltgesundheitsorganisation, erklärten sozialistische Ärztesprecher, gelte für die medizinisch notorisch unter-, wenn nicht gar unversorgten Entwicklungsländer. Unter den Industrienationen sei Österreich eher hoch ein medizinisches Entwicklungsland, 10.000 Einwohner pro Arzt seien — so die Sozialisten — unserem Land angemessen.

Der von der sozialistischen Seite festgestellte Ärztemangel scheint vor allem dort zu bestehen, wo vollwertige Ärzte für unselbständige Tätigkeiten mit weniger attraktiven Aufstiegsmöglichkeiten und — gegenüber dem niedergelassenen oder im Spital tätigen Arzt — geringerem Sozialprestige gesucht werden. So fehlen etwa bei der Wiener Rettung 17 Ärzte, Werksärzte sind Mangelware, aber auch bestimmte Fachärzte fehlen — vor allem Psychiater. (Dies wiederum ist ein internationales Problem, in keinem Bereich ist die Bevölkerung auch hochentwickelter Industriestaaten medizinisch so schlecht versorgt wie in diesem Fachbereich.)

Auch besteht nach wie vor hoher Bedarf an Landärzten. In Gmünd betreut heute ein Arzt 2800 Patienten. Das Durchschnittsalter der

österreichischen Ärzte liegt bei 56 Jahren, in Niederösterreich etwa ist jedes Jahr die Zahl der Ärzte, die sich in den Ruhestand zurückziehen, größer als die der neuen Niederlassungen.

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