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Heilsame Gefühle

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Immer kompliziertere Apparaturen, immer aufwendiger gewordene Medikamente prägen das Bild der modernen Medizin. Den Gegenpol bilden, im Rahmen einer ganzheitlichen Behandlung, natürliche Heilmittel und die Einbeziehung psychischer Faktoren bei der Wahl der Therapien. In den letzten Jahren konzentrieren sich die Forschungen auch auf die uralte Bindung des Menschen zu Tieren.

Zootherapy — Tiertherapie — kommt aus Amerika und ist dort längst wissenschaftlich anerkannt. In Rehabilitationszentren, bei der Behandlung psychisch und physisch kranker Kinder, in Seniorenheimen und in Gefäng-

nissen sind Tiere als Helfer im Einsatz.

Dabei wurde eine breite Palette positiver Wirkungen rezipiert, die vom Tier als Seelentröster, Bewährungshelfer oder Heilbehelf ausgehen und hygienische Bedenken in den Hintergrund treten lassen.

Eine alte Weisheit: Haustiere tragen zu einer besseren psychischen und physischen Konstitution bei und helfen ganz besonders alten Menschen, ihre Mobilität zu erhalten.

Dabei dürfte keineswegs nur die regelmäßige Bewegung mit dem Hund zur Gesundung beitragen, sondern auch die Treue und Freude eines Tieres, die dem Herrl.oder Frauerl ganz direkt, zum Ausdruck gebracht wird.

In Österreich ist man vom Tier am Krankenbett oder im Rehabilitationszentrum noch weit entfernt, doch gibt es immerhin Ansätze der Tiertherapie im Landesjugendheim Hinterbrühl. Hier leben etwa 200 schulpflichtige Kinder mit Lernschwächen, Milieuschädigungen und oft auch Mehrfachbehinderungen. In ihrem Wohnheim finden sie die Möglichkeit, wenn sie wollen, mit Meerschweinchen, Hund, Ziegenbock, Katze oder Pferd in Beziehung zu treten. Autistische Kinder nehmen über das Streicheln, Hätscheln und Pflegen eines Haustieres oft den ersten Kontakt zu ihrer Umwelt auf.

Ohne selbst in Frage gestellt zu werden, kann das Kind seine Gefühle ausdrücken und gewinnt Sicherheit. Auch sprachgestörte und befangene Kinder lernen vorsichtig Sozialkontakte aufzubauen und Verantwortung zu übernehmen.

In der Hinterbrühl, aber auch in der Sonderschule für körperlich und geistig behinderte oder verhaltensgestörte Kinder in Mauer bei Wien, wird die einzig anerkannte Form der Tiertherapie in Österreich angewendet: die Hip-potherapie — Therapie am Pferd. Sie hat in den letzten 30 Jahren einen fixen Platz bei der Behandlung behinderter Menschen erworben.

Die Gangart des Pferdes sowie sein Charakter sind für den Heilerfolg mit Hippotherapie ausschlaggebend. Der gleichmäßig rhythmische Schritt des Pferdes löst die quälende Verkrampfung bei Spastikern. Die Wärme des Tieres — die Kinder sitzen ohne Sattel auf dem Pferderücken — wirkt iockernd auf die Muskelpartien. Hippotherapie wird heute bereits von'manchen Fachärzten verordnet, die Krankenkasse übernimmt die Kosten dafür aber noch nicht. '

Hippotherapie darf nur unter Aufsicht speziell ausgebildeter Physikotherapeuten durchgeführt werden, doch empfinden die Patienten das Reiten nicht als

Therapie. Sie fühlen sich durch den Umgang mit dem Pferd gesunden Menschen gleichgestellt. Wichtig ist — vor allem für verhaltensgestörte Kinder —, daß das Pferd nicht wertet, nicht straft oder rächt. Daß es auf gute, aber auch auf schlechte Behandlung direkt reagiert, erhöht den heilpädagogischen Wert.

Das alte Vorurteil, daß sich gerade ältere Menschen gerne mit einem Haustier abkapseln und ihren Vierbeiner als einzigen Freund akzeptieren, stellt sich nach amerikanischen Studien als völlig falsch heraus. In Versuchen wurde festgestellt, daß Senioren mit Tieren selbstbewußter, begeisterungsfähiger und toleranter werden.

Im Pensionistenheim „Schloß Lichtenstein“ hat sich dies bestätigt. Hier dürfen im Gegensatz zu anderen Seniorenheimen auch Tiere gehalten werden. Nicht nur

Zimmervögel und Aquarienfische, sondern auch Hunde. Sie bringen für die alten und einsamen Menschen einen Hauch von Individualität und Zärtlichkeit, der nicht als übersteigerte Tierliebe abgewertet werden sollte, sondern die Kontaktfreudigkeit der Tierbesitzer erhöht und schon deshalb einen Platz im Seniorenheim verdient.

Tiere fordern auch immer wieder zum Lachen heraus. Und Lachen vertreibt Depressionen und mildert manche Schmerzen und Enttäuschungen.

In amerikanischen Gefängnissen helfen Tiere, die Selbstmordrate zu senken, aber auch Brutalität und Aggressionen zu verringern. In Österreich gibt es erste Erfahrungen mit Haftentlassenen und ehemaligen Drogen- und Alkoholabhängigen im Rahmen eines kleinen alternativen Sozial-

Projekts. Am Alisihof in der Buckligen Welt (Niederösterreich) wird im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebes versucht, diesen Gruppen zu helfen, wieder zu arbeitsfähigen und selbständigen Menschen zu werden.

In Österreich werden die Studien über die vielfältigen Möglichkeiten, die Tier-Mensch-Bezie-

hung in Vorsorgemedizin und Rehabilitation zu nutzen, am IEMT (Institut für Interdisziplinäre Erforschung der Tier-Mensch-Beziehung) weitergeführt. Sie stehen unter der Patronanz von Konrad Lorenz, der davon überzeugt ist, daß „Heimtierhaltung in dem Maß an Bedeutung gewinnt, in dem sich eine verstädterte Menschheit der Natur entfremdet“.

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