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Heim in die Wildnis?

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Bewaffnete Polizei fährt vor und umstellt die Wohnstätten der Schwarzen. Was sie besitzen, wird auf Lastwagen gepackt — sie selber auch. Dann geht es ab, in die Wildnis — irgendwohin, an eine Stelle fern aller Zivilisation, die ihnen von der südafrikanischen Regierung als neuer Wohnsitz zugewiesen wurde. Beschönigend werden diese neuen Wohnsitze „Bantustans“ und „homelands“ genannt, in der Praxis handelt es sich um trostlose Reihen trostloser Wellblechbuden irgendwo mitten in einer kahlen, trostlosen Landschaft, an der die Weißen nicht interessiert sind. Die alten Wohnstätten, aus denen man die Schwarzen entfernt hat, werden von Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht.

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Bewaffnete Polizei fährt vor und umstellt die Wohnstätten der Schwarzen. Was sie besitzen, wird auf Lastwagen gepackt — sie selber auch. Dann geht es ab, in die Wildnis — irgendwohin, an eine Stelle fern aller Zivilisation, die ihnen von der südafrikanischen Regierung als neuer Wohnsitz zugewiesen wurde. Beschönigend werden diese neuen Wohnsitze „Bantustans“ und „homelands“ genannt, in der Praxis handelt es sich um trostlose Reihen trostloser Wellblechbuden irgendwo mitten in einer kahlen, trostlosen Landschaft, an der die Weißen nicht interessiert sind. Die alten Wohnstätten, aus denen man die Schwarzen entfernt hat, werden von Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht.

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Die Umsiedlung in die Bantustans entspricht Südafrikas offizieller Bassenpolitik, die auf einer immer weiter vorangetriebenen Rassentrennung beruht. Da Südafrikas Industrie ohne schwarze Arbeitskräfte ihre Konkurrenzfähigkeit einbüßen würde, sind die Bantustans vor allem für Nichterwerbstätige bestimmt: Alte, Kranke, Arbeitslose und nicht arbeitende Familienmitglieder schwarzer Arbeiter.

Das Regierungskonzept sieht vor, daß eines Tages die gesamte schwarze Mehrheit Südafrikas in Bantustans wohnt, wobei sich die Rassenideodogen um den toten Ver- woerd (der bekanntlich Ehrenmitglied der SS war) und seine Nachfolger vorstellen, daß schwarze Arbeiter jeweils für eine bestimmte Zeit, beispielsweise drei Jahre, als Fabriksarbeiter tätig sind, um dann wieder für längere Zeit, ebenfalls Jahre, in ihr „homeland“ zurückzukehren.

Gegen einen solchen Plan opponiert die Industrie, die nicht an Pendlern im Dreijahreszyklus, sondern an seßhaften, kontinuierlich arbeitenden, hochqualifizierten Facharbeitern interessiert ist. Daher werden vorerst, möglicherweise auch auf Dauer, nur Schwarze umgesiedelt, die nicht in den Arbeitsprozeß eingeschaltet sind.

Wie es in einem solchen Bantustan aussieht, beschrieb der Franziskaner Cosmas Desmond kürzlich im Londoner „Daily Telegraph“. Desmond besuchte eine Reihe der neuen „Negersiedlungen“ und erklärt die dort herrschenden Zustände schlicht für menschenunwürdig. Sie heißen Limehill oder Morsgat, Stinkwater oder Weenen, wobei Weenen so viel wie Weinen bedeutet. Ein typisches Dorf in der Ciskel an der äußersten Südostküste Südafrikas heißt Mnxesha, wo die ersten Personen im Dezember 1967 angesiedelt wurden

— mit dem Endziel von 1800 Familien, was etwa 10.000 Einwohnern entspricht.

1969 erreichte die Einwohnerzahl 2897 Köpfe, darunter 2041 Kinder, die meisten aus Middelburg, Burgersdorp und Kapstadt. Das war im März. Bereits Mitte Mai trieben weitere Negerdelogierungen in den Städten die Einwohnerzahl auf offiziell 3400 Personen, tatsächlich wahrscheinlich um einiges mehr.

Die ersten Ankömmlinge wurden in Holzhütten mit Zinkdächern gesteckt. Jede Hütte maß etwa drei zu fünf Meter bei einer Höhe von drei Metern und es gab innen weder Fußböden noch Zimmerdecken. Rund 100 dieser Hütten der ersten Ausbauphase werden auch heute noch bewohnt. Die später erbauten Häuser hatten zwei Zimmerchen und Wände aus Asbestzement und selbstverständlich ebenfalls weder Fußböden noch Innendecken.

Die Hütten von Mnxesha sind hoffnungslos überbelegt. In einem dieser Häuschen lebten 13 Kinder, deren Mutter in Kapstadt arbeitete

— da die Kinder nicht in den Arbeitsprozeß eingeschaltet sind, haben sie nach Regierungsmeinung in einer weißen Stadt nichts verloren. Die Bevölkerung des Dorfes, aller dieser Dörfer, besteht zur überwiegenden Mehrheit aus Witwen, Pensionisten und Kindern.

Der Gesundheitsdienst, den die weiße Regierung für die Schwarzen in den Bantustans einrichtet, legt die Vermutung nahe, daß man nicht gesonnen ist, das schwarze Bevölkerungswachstum zu fördern. In Mnxesha erschien in den ersten beiden Jahren einmal in der Woche eine Krankenschwester, aber die Behandlungsgebühr schreckte ab, sie in Anspruch zu nehmen. Erst im Mai 1969 wurde eine Gratisklinik eröffnet, besetzt mit einer Krankenschwester — der Arzt erscheint einmal in der Woche.

Wenn in der Zwischenzeit jemand ärztliche Hilfe benötigt, kann die kostenlos arbeitende motorisierte Ambulanz gerufen werden. Aber das nächste Telephon ist mehr als fünf Kilometer von Mnxesha entfernt und abends sowie an Wochenenden außer Betrieb. Es gibt zwar noch einen Distriktsarzt, der etwa eine halbe Gehstunde vom Dorf eine Behandlungsstation betreibt, aber die Ordinationsgebühr von 1,5 Rand pro Erwachsenem und 1 Rand pro Kind ist prohibitiv.

Denn wer nicht als Wanderarbeiter in die Stadt fährt, findet in der Umgebung von Mnxesha ausschließlich Beschäftigung beim Bau weiterer Bantudörfer, die Mnxesha gleichen, und der Lohn beträgt 16,50 Rand pro Monat. Für Männer. Die Bezahlung der Frauen, 3,50 Rand pro Monat, ist ein besseres Almosen.

Im Mai 1969 gab es auf dem Friedhof von Mnxesha bereits 90 Gräber. 70 dieser Gräber waren Kindergräber. Obwohl der Großteil der Bewohner erst um die Jahreswende eingetroffen war.

Es gibt in Dörfern wie Mnxesha oft noch keine Läden, keine Postämter, keinen Brennmaterialver- kauf, Kirchenorganisationen nehmen sich um die Verteilung von billiger Milch und Suppenpulver gegen Bezahlung an. In den Städten, in denen die Bewohner der Bantustans vor ihrer Aussiedlung gewohnt haben, haben sie meist Kinderbeihilfen bezogen — aber Kinderbeihilfen werden nur in den städtischen „Bantuareas“ gewährt, der Aussiedler verliert sie, mindestens bisher.

Cosmas Desmond beschreibt Begegnungen mit Bantustambewohnem. Mit einer Frau, die mit sechs Kindern ankam — wenige Monate später waren zwei tot, zwei litten an Pellagra, eines lag mit schwerer Unterernährung im Spital. In Burgersdorp, woher sie stammte, hatte die Frau als Bedienerin gearbeitet — im Bantustan war sie als Witwe arbeitslos.

In diesem Jahr, so der Franziskanerpriester, der einst im nördlichen Natal zusammen mit einem afrikanischen Assistenten etwa zweitausend schwarze Gläubige betreute, bis sie ihre Heime verlassen und in das Bantustandorf Limehill übersiedeln mußten, werden tausende schwarze Südafrikaner in „höllische Wiederholungen“ dieses Dorfes umgesiedelt, im nächsten Jahr weitere Tausende. Die Zahl soll von Jahr zu Jahr steigen, im östlichen Kapgebiet und in ‘anderen Landesteilen werden heute riesige Städte für Schwarze geplant, allein in die Cisked sollen in den nächsten zehn Jahren 600.000 umgesiedelt werden.

Cosmas Desmond schreibt: „Ich sah den Schrecken einfacher Leute, als sie erfuhren, daß sie ihre Heime verlassen mußten, in denen ihre Familie generationenlang gewohnt hatte, um an einen fremden Ort zu gehen. Ich hörte ihre Schreie der Verzweiflung und ihre Bitten um Hilfe. Ich habe gesehen, wie ganze Familien in einem Zelt oder einer winzigen Blechhütte litten, mit Kindern, die an Typhus und Unterernährung krankten, oft starben sie aus reiner Verzweiflung. Dies alles in den allerletzten Jahren, Im reichsten, fortgeschrittensten, wirtschaftlich am schnellsten wachsenden Land des afrikanischen Kontinents.“

Selbstverständlich regt sich in Südafrika Widerstand gegen diese Politik — vor allem wirtschaftlich und erst in zweiter Linie moralisch motiviert. Städte wie Johannesburg und Kapstadt sind in einem rapiden Wachstum begriffen. Die Industrie braucht den schwarzen Arbeiter. Da ihre Prosperität seit Jahrzehnten auf der Ausbeutung einer entrechteten Mehrheit beruht und diese Ausbeutung zu einem der Grundprinzipien der südafrikanischen Wirtschaft geworden ist, braucht sie den Schwarzen viel dringender als Deutschland oder die Schweiz den Gastarbeiter aus dem Süden. (Und auch Deutschlands und die Schweizer Industrie würden heute ohne Gastarbeiter zusammenbrechen.)

Als ein Mittel zum langsamen wirtschaftlichen Selbstmord Südafrikas bezeichnete Harry Oppenheimer, der Präsident der Anglo-American Corporation, Südafrikas konsequente Politik der Apartheid.

Diese Politik hat sich in den letzten Jahren jedoch immer mehr zum rassistischen Wahnsinn gesteigert — nicht nur gegen alle Menschlichkeit, sondern auch gegen alle ökonomische Vernunft. Südafrikas Machthaber sind mit rationalen Argumenten kaum noch anzusprechen.

Das heißt keineswegs, daß sie Wahnsinnige sind. Vieles deutet darauf hin, daß sie eine populäre Politik betreiben, die ihnen Wahlerfolge und damit ihre Positionen sichert. Denn in Südafrikas weißer Minderheit ist allenfalls der angelsäch- sich orientierte Teil, eine Minderheit in der Minderheit, reformistisch gesinnt. Die Afrikaans sprechende Mehrheit, die sich auf die Buren zurückführt, kultiviert ein patriarchalisches Herrenmenschentum, hält Apartheid für ein christliches Ideal, projiziert auf das Endstadium totaler Apartheid Züge eschatologischer Freiheit von allen Konflikten und ist vom Töten eines Negers so weit entfernt wie davon, ihn als Menschen zu akzeptieren.

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