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Heimkehr nach Graz

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Johann war noch immer im Amt, als es bereits längst keine legitime parlamentarische Vertretung mehr gab: ein Symbol der „glorreichen“ revolutionären Zeit - oder ein Verräter an der demokratischen Sache?

Viele hielten ihn für einen Schwärmer; die ihn näher kannten, beklagten nur seine Schwäche. Aber wie und wann hätte er den Dingen einen anderen Verlauf geben können?

Wenige Tage vor Weihnachten 1849 war alles zu Ende. Erzherzog Johann trat zurück, Rechberg hatte grünes Licht aus Wien erhalten. In seiner Abschiedserklärung sprach der Reichsverweser nicht mehr vom deutschen Volk, das seine Geschicke selbst in die Hand nehmen sollte, sondern vom Beistand des Allmächtigen und von der Eintracht und Vaterlandsliebe der Fürsten, auf die es jetzt ankomme.

Schwarzenberg schrieb dem „Gnädigsten Herren“ halb zynisch, halb dankbar, daß er wohl einen schönen Lohn aus der Gewißheit ziehen werde, wonach ihm die Redlichen und Unbefangenen und das Urteil der Geschichte für die zwar kurze, aber denkwürdige Regentschaft über Deutschland die Anerkennung nicht versagen würden.

Frankfurt, die verhaßt-geliebte Stadt, bereitete Johann einen Abschied mit Illumination und Fackelzug. Ein wenig pathetisch, aber gutgemeint - gab man Johann die besten Wünsche mit auf den Weg zurück in die steirische Welt - und daß sich „in das Wehen der Bergluft ein Hauch der Erinnerung an die Stadt, welche so bedeutungsvolle und segensreiche Spuren des hohen Wirkens trägt, mischen werde“

Der 1. Jänner 1850 war ein trüber Wintertag. In Frankfurt hatten nur wenige Bewohner wirklich ausgelassen Silvester gefeiert. Erzherzog Johann verläßt die Stadt. Eine Abordnung österreichischer Infanterie hat am Bahnhof Aufstellung genommen; der General Freiherr von Schirnding wünscht gute Reise.

Hatte er versagt, nicht nur hier in Frankfurt, nein, in seinem ganzen bisherigen Leben, er, der kleine, jüngere Erzherzog, der nachgeborene, der immer zurückgesetzte Bruder? War es klug, daß er stets so reagiert hatte, wie Zurückgesetzte reagieren - mit Trotz als Kind, mit Rebellion als Jüngling, mit Beharrlichkeit im Alter? Warum dachte und fühlte er nicht wie die anderen Prinzen des Hauses Habsburg auch? Warum war er stets, von klein auf, ein verbohrter Gerechtigkeitsapostel, Außenseiter, Einzelgänger? Ein Sektenprediger der guten Sache?

Die „gute Sache“, das glaubte er seit Jahrzenten zu wissen, war die des einfachen Volkes, der Bauern und Bürger. Wollte er darum wie diese sein, leben, fühlen?

Was hatte er in diesen 68 Jahren nicht alles erlebt! Der Kampf gegen Napoleon, den korsischen Tyrannen, Johanns Bemühungen um die Volksbewaffnung, die Aufstellung der Landwehr, seine Zusammenarbeit mit Andreas Hofer und den braven Tirolern, der berüchtigte Alpenbund; und dann in Wien, als Bonaparte geschlagen war, die Tyrannei der Kavaliere, der gelackten Parvenüs, die sich einen Kongreß lang fast zu Tode tanzten, Metternich, der falsche böse Geist einer neuen Despotie!

Nein, er hatte sich nichts vorzuwerfen! Er war sich selbst ein Leben lang treu geblieben … damals, als er freiwillig und verspottet das einfache Leben auf dem Land dem Müßiggang eines Wiener Erzherzögleins vorzog, als er in der Welt der einfachen Menschen die Vielfalt, die Herrlichkeit der Arbeit und der Muße des sinnerfüllten Lebens entdeckte!

Ja, in die Steiermark, in dieses gottgesegnete Land würde er nun auch, von Frankfurt aus, zurückkehren. Sie war seine eigentliche Heimat geworden, sein Fluchtpunkt; dort hatte er sein Lebensglück gefunden; dort warteten auch eine Frau und ein Sohn auf ihn. Für sie hatte er gekämpft, jahrelang, gegen die Intrigen und Vorhaltungen aus Wien, gegen die versteckten und offenen Vorwürfe, wonach er die „Würde“ des Hauses Habsburg durch eine Ehe mit einem Mädchen aus dem Volk verletzt habe. Welche Anmaßung!

Nein, er war immer auf der Seite der Benachteiligten, der Zurückgesetzten gestanden - nur unter ihnen fühlte er sich, der sich gleichfalls vom Schicksal zurückgesetzt fühlte, wirklich glücklich: er hatte Verzicht durch Nachgeben, Gelassenheit in der Niederlage, das Scheitern als Pflichtübung des Lebens gelernt. Nur die Revolution des März 1848 hatte ihn nochmals aus der Beschaulichkeit des Alterns herausgerissen, mitten hineingestellt in die Turbulenz einer großen Zeit neuer Gefühle und neuer Parolen.

War er der Größe der Stunde nicht gewachsen gewesen? Hatte er zu wenig Kraft - und zu wenig Mut - gehabt, alles auf eine Karte zu setzen? Oder war er selbst von Anfang an vom Erfolg gar nicht sonderlich überzeugt… am Erfolg nicht sonderlich interessiert gewesen? _

Aber galt das nicht für sein ganzes Leben? Empfand er nicht im Innersten Befriedigung über das Scheitern, Lust an der eigenen Niederlage? War er nicht seinem Onkel, Kaiser Josef II., dem stets verpönten Außenseiter der Familie, zu dem er sich sosehr hingezogen fühlte, zutiefst verwandt?

Josef… wie hatte er aufgeblickt zu dem großen Reformer, dem Menschenfreund, dem „Grafen von Falkenstein“ im einfachen Rock des Bürgers, dem Revolutionär von Gottes Gnaden … schon damals, als er als Kind voller Hoffnung zwischen den Zypressen der toskanischen Hügel spielte? Als sein Vater noch lebte und ihm die Schätze dieses Landes im Herzen Italiens zeigte, als er noch mit den Brüdern und Schwestern tollte, zu nichts berufen, zu nichts ausersehen, ohne Last und Verantwortung?

Johanns Blick ging von den kalten Feldern Deutschlands im Frost der verlorenen Hoffnung an diesem Neujahrstag 1850 zurück zu den Tagen der Kindheit, zurück zur warmen Sonne von Florenz. Dort war er vor 68 Jahren zur Welt gekommen …

Der Autor ist Chefredakteur der „Wochetipresse“ und war leitender Redakteur und später Chefredakteur der FURCHE. Seine Erzherzog-Johann- Biographie erscheint demnächst im Verlag Styria.

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