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Heimkommen

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Da ist es schon wieder, dieses eigenartige Gefühl, das mich immer überrieselt, wenn ich aus meinem Terminkalender ablesen kann, daß mir längere und noch dazu berufliche Auslandsaufenthalte bevorstehen.

München, Berlin — nur ein paar Tage — Film und Funk; aber dann, Mitte April bis Ende Mai eine Tournee mit Nestrpys Einakter „Frühere Verhältnisse” und Avertschenkos „Selbstmörder” durch die westliche deutsche Republik.

Ja, warum macht man's denn, wenn man weiß, daß man dieses

Muß-i-denn-muß-i-denn-Gefühl so sicher bekommt wie das bekannte Amen das Gebet abschließt?

Oft habe ich drüber nachgedacht und mit Freunden diskutiert. Ehrlich waren, glaube ich, außer mir nur zwei: der Otto Schenk und der Heinzi Reincke. Ein bißl Vagabundenblut, Lust am Reiseleben im modernen Thespiskarren, aber natürlich auch die Freude am Erfolg, am Bekanntsein und — „Sag's doch heraus, Alter”, ruf ich mir zu -, no ja, Geld ist auch nicht zu verachten!

Alle drei Jahre steht mir ein (unbezahlter) Urlaub in der Burg zu, und so ergreift man halt die Gelegenheit beim Henkel und schwingt sich aufs Roß. Mit Freund Janisch an der Seite rollt die rot-weiß-rote Horde, ganze sieben Personen, davon fünf Au-strianer, über die Weißwurschtgrenze gen Norden.

Man tut vieles, wenn, wie Heinz Reincke sagt, „die Kohlen stimmen”. Aber muß das gerade im (Kohlen-)Revier sein? Bei Herrn Kohl und anderen Köpfen? Zum Städtele hinaus?

No ja, so arg wäre es nicht, wenn nicht schon hinter dem Brucknerhaus in Linz das Heimweh anfinge ! Sind ja nur sechs Wochen, und die epidemische Fröhlichkeit des Karnevals ist längst der Mett-schnittchenmentalität und dem Bierchen gewichen, Korrektheit und Honettigkeit zum Staatsgedanken geworden.

Und wir drunter, unter all den die gleiche Sprache sprechenden Fremden, als Fremdlinge milde belächelt, als Künstler bewundert, be- und geliebt, als Sonderlinge bestaunt. Kein Wunder das alles, wenn einer so stur wie ich ist und mit Steirerhut über die Kö in Düsseldorf und den Jungf ernstieg in Hamburg stiefelt.

Zum Glück und natürlich hat man auch dort gute Freunde, die die Labestationen offenhalten auf der via dolo — nein, oh nein, das ist es nicht. Eh ganz schön, aber halt doch dieses — kruzitürken —, dieses Heimweh, dieses Tagezählen schon vier Wochen vor der Abreise, dieses Heimwollen trotz Wohlergehens.

Aber kommt's denn aufs Ergehen an — nein, das Fühlen ist wichtig. Da sitzen die Freunde in Minden an der vielgepriesenen Porta Westfalica, die Ullis in Leverkusen, die Fratres in Gummersbach, warten die Gleichgesinnten in Siegen und die in—ja —, wissen Sie wo Walsrode ist? Ich auch nicht. Aber sie warten schon auf uns, und wir werden für sie spielen, wie wir es taten in Winsen an der Luhe, in Gladbach und Meinerzhagen.

Waren Sie je in Bochum? Nein? Dann werden Sie nie verstehen, warum Claus Peymann so gerne nach Wien kommt. Geld allein ist das nicht, so wenig wie bei Gobert dem Boy, der für einen ganzen Monat seiner Tätigkeit als Direktor, Schauspieler und Regisseur der Josefstadt kaum mehr kassiert als das, was ein mittlerer Pavarotti an einem Abend ersingt.

Merken Sie es schon, was ich da mache? Ich vermiese mir alles, was mich' erwartet, und erreiche so, daß es nur noch besser und schöner werden kann, wie es ja tatsächlich dann meist der Fall ist.

Ist man dann dort, dann schmeckt der Aquavit und das Jever Pils fast so gut wie ein Aufgezuckerter beim Nobelheurigen, zu dem ich natürlich nur in Not- und Besuchsfällen gehe, weil ich, wenn schon, dann nach Stammersdorf spaziere. Stammersdorf, das ist, bist du in Germania, sowas, wovon man träumt wie von der Ägäis, wenn man in Großenzersdorf oder gar auf der Wieden sitzt.

Nun, man wird sehen, staunen, vergleichen und natürlich Sympathie einfangen und aussenden wollen. Der Vergleich wird wieder zu Gunsten..., no na, man ist ja Patriot, liebt das Land, aus dem man kommt.

Trotzdem - muß i denn -, ja ich muß, will sogar - Heimkommen ist doch so schön. Mir scheint, ich fange an, mich zu freuen. Aufs Wegfahren? I wo. Aufs Nach-Hause-fahren-Können.

Zu guter Letrq

Aus einem Schulaufsatz: .Manche Menschen machen ein Gelübde für das ganze Leben. Diese nennt man Märtyrer.”

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