6925237-1982_08_12.jpg
Digital In Arbeit

Heimliche Allmachtgefiihle

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei Begriffe wurden auf dem von Salzburger Psychologiestudenten massiv attackierten „Psychotherapeutischen Forum 1982" Anfang Februar von Gutwilligen immer wieder ins Spiel gebracht: die Interdisziplinarität und die Privatinitiative. Keine Frage, daß die Psychotherapien in verschiedene Schulen aufgespalten sind, von denen jede das Heil gepachtet zu haben glaubt; das gilt auch für die bekannteste unter diesen Therapien, die Psychoanalyse.

Die Methodenvielfalt im sogenannten „Psychoboom" ist ein

anderes Kapitel. So unterschiedlich die Techniken auch sein mögen: die meisten wären ohne Sigmund Freud nicht denkbar. Es handelt sich also im Grunde nur um eine einzige Disziplin.

Andererseits hat Freud, von Haus aus Naturwissenschaftler, tiefe Spuren in den Geisteswissenschaften hinterlassen, vor allem aber in Literatur und Kunst. Literaten fühlen sich ihm verwandt, halten sein Werk für „große Dichtung". Seine hermeneuti-sche Technik, die Kunst des Deutens und Verstehens, eröffnete

Zugänge zu manchen zuvor als uneinfühlbar und hoffnungslos verschlüsselt geltenden künstlerischen Phänomenen.

Was können interdisziplinäre Begegnungen in diesem Bereich bewirken? Nicht allzuviel, wie das Salzburger Forum gezeigt hat. Sie können Kontakte stiften, nicht mehr. Hingegen birgt das Modewort „Interdisziplinarität" auch ein Gefahrenmoment, das psychoanalytisch anzugehen wäre: ein heimliches Bewußtsein von Omnipotenz, von Allmachtgefühlen. Man ist dabei und „weiß Bescheid". In Wahrheit weiß man (fast) gar nichts, weil Wissensvermittlung in „fremden" Fächern nur durch langwierige Lernprozesse geleistet wird.

Zu hinterfragen ist ferner der Begriff „Privatinitiative". Die erste Zusammenkunft der Freud-Anhänger Ende April 1908 am

gleichen Ort Salzburg durfte, ja mußte privat sein. Keine medizinische oder psychologische Institution hätte sich bereit gefunden, eine so „abenteuerliche" Therapie wie die Psychoanalyse offiziell zu unterstützen. Die Psychoanalyse war sich ihrer Möglichkeiten und Zielsetzungen selber noqh nicht gewiß; das Wichtigste war tatsächlich ein „privater" Gedanken- und Erfahrungsaustausch abseits der Öffentlichkeit.

Mittlerweile ist die Psychoanalyse auf dem Wege zu einer eigenständigen und — wie sich auf dem Salzburger Forum gezeigt hat — auch mit empirisch gewonnenen Daten arbeitenden Wissenschaft. Sie sieht sich einbezogen in das psychosoziale Netzwerk, sie ist konfrontiert mit dem Psychoboom einerseits und der gerade in den Industrienationen anwach-

senden Therapie-Bedürftigkeit andererseits. Sie kann keine „Privatsache" mehr sein, wenn auch der einzelne Therapeut ganz und gar in seiner psychoanalytischen Arbeit aufgehen mag. Die Fragen, die an sie zu richten sind, können nicht die Fragen eines oder einer einzelnen sein.

Die Veranstalter des Salzburger Forums — Leitung: Christina Crist, frei praktizierende Psychologin und Psychotherapeutin in Düsseldorf, Vorsitz: Professor Wilhelm J. Revers, Leiter des Psychologischen Instituts der Universität Salzburg, Planung: eine „Projektgruppe für audiovisuelle Studien und Dokumentation" in Düsseldorf, wohl weitgehend synonym mit der Person der Leiterin —, die Veranstalter also hatten keine Ungeschicklichkeit ausgelassen. Sie taten ungewollt alles, was das Forum in den Augen der Psychologiestudenten suspekt machen mußte.

Das begann mit der bloß dekorativen, inhaltlich nicht nachvollzogenen Berufung auf jene historische Zusammenkunft mit Sigmund Freud, setzte sich fort mit vielleicht branchenüblich hohen, zum sozialen Auftrag der Psychoanalyse jedoch querstehenden Teilnehmergebühren, mit einer allzu „chic" aufgemachten, bei näherer Hinsicht eher nichts-

sagenden Werbung, mit Sprüchen wie dem, daß man Wege suchen wolle, „die Psychotherapie mit mehr Leben und das Leben mit mehr Psychotherapie zu erfüllen", mit kaum aufeinander beziehbaren Seminaren und Vorträgen (dazu von zwei Wissenschaftlern mit einer „braunen" Vergangenheit), mit dem gänzlich überflüssigen Programmpunkt eines „Mitternachts-Sou-pees" auf Schloß Kleßheim, bei dem „Abendkleidung erwünscht" war, und gipfelte darin, daß die Situation der Forschung und Lehre an der Veranstaltungsstätte, dem Psychologischen Institut der Universität Salzburg, überhaupt nicht beachtet worden war.

Ich meine das würdelose Tauziehen um die Neubesetzung des von dem verstorbenen Psychoanalytiker Igor A. Caruso innegehabten Lehrstuhls. Caruso war eine bedeutende sozialkritisch engagierte Persönlichkeit. Mit seiner - jetzt folgenlosen - Arbeit hatte das Psychotherapeutische Forum nichts zu tun. „Die Freiheit, unsicher zu sein" (dies der Titel eines Forum-Seminars von Cardon Klingler, Zürich) können sich nur wenige „Unabhängige" leisten, ohne Sanktionen befürchten zu müssen; sie ist die Unfreiheit der Abhängigen und Sprachlosen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung