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Heimweh nach dem Völkerkerker?

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FURCHE: Die Schüsse gegen das österreichische Thronfolgerpaar leiteten den Zusammenbruch der Monarchie ein. Kann man Lehren aus jenen Geschehnissen ziehen?

ANGELO ARA: Das ist Schwierigkeit die Verhältnisse heute ganz anders sind. Die einzige Lehre kann sein, daß man immer versuchen muß, nationale Gegensätze zu entspannen - im Staat wie außenpolitisch.

FURCHE: War die Monarchie tatsächlich bereits so instabil, tote es im Rückblick scheint?

ARA: Sie war leider nicht in der Lage, ihre Nationalitätenfrage zu lösen. Die tschechische Frage war für das Schicksal der Monarchie vielleicht von noch größerer B edeu- tung, ist aber inaner eine rein österreichische geblieben. Das Bestehen eines serbischen Königreiches, das Interesse Rußlands für die Frage der südslawischen Völker, hatten tiefe Auswirkungen auf die österreichische Außenpolitik, das Verhältnis zwischen Österreich und Rußland stand immer im Hintergrund. Aber es hat nicht Serbien als Staat die Hauptrolle beim Ausbruch dieses Konflikts gespielt, sondern die serbische Nationalbewegung und die gesamt-südslawische Nationalbewegung.

FURCHE: Wäre das Ende der Monarchie vermeidbar gewesen?

ARA: Das sind natürlich Spekulationen. Aber ihre historische Aufgabe wäre es gewesen, das dynastische Österreich in einen echten Nationalitätenstaat umzuwandeln, unter den gegebenen Umständen war dies wahrscheinlich unmöglich. Bei einem Erfolg wären die südslawischen Nationalbewegungen ohne Anziehungskraft auf Serbien und die außenpolitischen Bestrebungen Serbiens ohne Auswirkung auf die Slawen in der Monarchie geblieben.

Aber deren ganze Geschichte seit 1848 ist durch die Emanzipationsversuche einflußarmer Nationalitäten und den Widerstand der sogenannten historischen Nationalitäten gekennzeichnet.

FURCHE: Wie kat man sich dem gestellt?

ARA: Man muß zwischen Österreich und Ungarn unterscheiden. Die Unterdrückungspolitik der magyarischen Führungsschicht war viel stärker. In Österreich hat man doch versucht, diese Frage zu lösen, hat das allgemeine Wahlrecht eingeführt und versucht, die Nationalitä- tenfrage durch lokale Kompromisse zu entspannen. Zum Beispiel mit dem mährischen Ausgleich zwischen

Deutschen und Tschechen. Aber man hat nicht wirklich an die Umwandlung in einen echten Nationalitätenstaat gedacht.

Die Sozialdemokraten haben im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts mit dem großen Parteitag von Brünn diese Umgestaltung vorgeschlagen. Der Widerstand der konservativen Kräfte war zu stark, und im ungarischen Teil war die nationale Unterdrückung noch sehr viel stärker.

FURCHE: Warum eigentlich?

ARA: Es war die Folge der Entwicklung in Ungarn nach dem großen Ausgleich von 1867. Ungarn war wie Österreich ein Nationalitäten-

Staat, ab er die ungarische Führungsschicht hat ihn immer als einen magyarischen Nationalstaat betrachtet und versucht, das Königreich in diesem Sinn umzuwandeln. Es sind gegensätzliche Prozesse. In ÖsterreichderVersuch, Schritte auf dem Weg zu einer nationalen Parität zu setzen, in Ungarn ein Prozeß der Verstärkung des magyarischen Einflusses. Die Tendenz dazu zeigt sich schon 1848, die liberalen Ungarn waren von Anfang an den nicht- magyarischen Völkern gegenüber nicht liberaL

FURCHE: Die Nationalismen hatten überall große Virulenz…

ARA: Wenn man über die Nationalitätenfrage spricht, muß man immer betonen, daß die nationalen Bestrebungen der nichtdeutschen Völker in Österreich eine Folge der Radikalisierung des deutschen Nationalismus in Österreich gewesen sind. Aber man muß auch festhal- ten, daß die Verhältnisse nach dem Untergang der Monarchie noch schlimmer wurden und man nicht in der Lage war, mit den Friedensverträgen die Nationalitätenprobleme zu lösen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der neue südslawische Staat ebenfalls nicht in der Lage, ein echter Nationalitätenstaat zu werden. Man hat das alte Österreich erst nach seinem Untergang entdeckt, wohl als Ausdruck der Unzufriedenheit mit den neuen nationalen Staaten. Es gibt wirklich eine Sehnsucht nach einem Staat, der über den Nationalitäten steht.

Profesaor Angelo Ara lehrt neue Geschichte an der Universität Pavia und las ein Jahr in Wien italienische Kulturgeschichte. Mit ihm sprach Hellmut Butterweck.

Zittriger Senior Austria

RAUCHENSTEINER: Es gibt, nach wie vor eine Reihe von Dingen zu bedenken, die 1914 eine Rolle gespielt haben und es heute noch tun. Es waren hier Geisteshaltungen mit im Spiel, wie sie immer in der Geschichte anzutreffen sind. Die Motive der Handelnden waren zweifellos teilweise im Irrationalen angesiedelt, aber das Irrationale reichte weitherein ins Rationale und half, wie man weiß, letztlich einen Weltkrieg zu entfesseln. Das waren Dinge, die Vorläufer hatten und später wieder zu beobachten waren.

FURCHE: Wo ist die Irrationalität des Jahres 1914 zu lokalisieren?

RAUCHENSTEINER: Wenn wir uns die Menschen anschauen, die diese Tat geplant haben, sehen wir eine Gruppe von sehr stark national empfindenden, aber auch sehr machtbewußten Menschen, die nicht nur ihrem Staat, ihrem Volk, eine Vermehrung seiner Macht verschaffen wollten, sondern in ihrem Staat auch selbst nach Ausweitung ihrer persönlichen Macht gestrebt haben. Das ist etwas, was es immer gibt. Und daß sie Menschen für eine Idee anwerben, die sie selbst begeistert oder für die sie teilweise aus vielleicht gar nicht immer sehr hochstehenden Motiven kämpfen, das ist auch etwas, was sich immer wieder findet. Und Jugendliche wie diese sieben, die sich dann in Sarajevo eingefunden haben, sind nun einmal leicht für Ideen zu begeistern und gehen dann so weit, daß sie auch den Tod nicht scheuen, den sie vor Augen haben - und den sie anderen zufügen. Adam Wandrusz- ka hat einmal gesagt: Schauen wir uns doch das Alter dieser Attentäter anl Es reicht von 14 bis 17: Jugendliche, die noch in der Pubertät steckten oder postpubertär dachten und handelten. Gavrilo Princip war noch nicht straf mündig und konnte nicht zum Tod verurteilt werden, sondern nur zu lebenslanger Haft.

FURCHE: Heute werden Jugendliche in aller Welt für nationalistische Politik und terroristische Aktionen begeistert und mißbraucht.

RAUCHENSTEINER: Einzelnen Komponenten des damaligen Geschehens begegnen wir in der Geschichte immer wieder, doch die Konstellation, in der sie damals zusammenkamen, ist Vergangenheit. Das Problem der Habsburger- Monarchie dürfte sich mit keinem heutigen decken, das Vielvölkerreich unter k. u. k. Vorzeichen war sicher etwas ganz anderes als das aus vielen Nationalitäten zusammengesetzte Reich der Sowjetunion heute. Daher sind die Probleme anders, die Lösungen, die angestrebt werden müssen, sind ebenfalls an ders, und bedauerlicherweise sind auch die Erfahrungen, die man anzubieten hat, nicht geeignet, um heute irgendwo zu Lösungen zu gelangen, sonst wäre dies ja längst praktiziert worden. Und auch die Folgen machen das Attentat von Sarajevo einmalig. Es wurden immer wieder Attentate auf sehr prominente Menschen verübt, es wurden Regierende, Könige, Präsidenten und Päpste ermordet oder zu ermorden versucht. Aber es gab niemals ähnliche Folgen wie 1914.

FURCHE: War der Krieg nach dem 28. Juni 1914 unausweichlich programmiert?

RAUCHENSTEINER: Das Attentat bewirkte nicht alles. Aber es wurde dadurch ein historischer Prozeß beschleunigt Das war es ja auch, was Leute wie Dimitrijevic, der Chef des Nachrichtendienstes im serbischen Generalstab, im Sinn gehabt hatten. Sie waren mit der, wie sie es gesehen haben, Konzessionsbereitschaft der damaligen serbischen Regierung nicht einverstanden und wollten durch das Attentat auf einen prominenten Angehörigen der Habsburger-Monarchie die eigene Regierung unter Druck setzen, so daß sie sich, angesichts des Druckes von außen, gezwungen sah, ihre Konzessionsbereitschaft

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