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Heimweh nach Wien?

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In Krakau bei der Marienkirche gleich ums Eck beim Taxistand im vollströmenden Regen sagt er, empört über die Gleichgültigkeit eines' anderen Mitreisenden, der soll mir keinen Lavendel erzählen. Im Zentrum von Krakau sagt er, der solle ihm keinen Lavendel erzählen und erzeugt Heimweh damit bei einer anderen Mitreisenden, seiner Gesprächspartnerin im üppigen Naß von Krakau, das ihn husten läßt und den Schal vor den Mund halten, hinter dem er hervorstößt, der soll mir keinen Lavendel erzählen.

Später, als er wieder in Wien und sie im Ausland ist, weswegen sie jä Heimweh bekommen hat,kurzfristig, nach Wien, weil sie weit von Wien entfernt lebt, später also sagte sie dann zu sich selber, paß auf, daß du keinen Lavendel erzählst. Sie erzählte nämlich viel von dieser denkwürdigen Reise nach Krakau, vom Besuch der Synagoge, die restauriert und in ein Museum umgewandelt werde, vom Besuch der kleinen Synagoge, die vielleicht auch Morde-chai Gebirtigs kleine Synagoge war und in der heute noch gebetet wird, wenn sie nicht geschlossen ist, war sie aber.

Ja, leben denn überhaupt noch Juden in Krakau? Doch, doch, nicht sehr viele, ein paar hundert Juden, und in O swiecim leben noch zwei. An dieser Stelle ihres Berichtes erntet sie regelmäßig unsichere Blicke und vages Achselzucken. Oswiecim? Was erzählt sie da von irgendeinem winzigen polnischen Nest, schon möglich, daß dort nur zwei Juden leben, aber was soll uns das? Oswiecim wiederholt sie dann und setzt hinzu: Auschwitz-Birkenau. Betretenes Schweigen. Ja, war sie denn nicht in Krakau? Doch, ja, zuletzt. Aber eigentlich in Auschwitz-Birkenau. Und keiner fragt, wieso und warum sie denn ausgerechnet dorthin gefahren sei, und keiner zeigt Befremden oder kumpelhaftes Verstehen, wie es ihm, dem Wiener, entgegengebracht wurde, den man fassungslos erstaunt gefragt hatte, du fährst nach Auschwitz?, um dann erschrocken über die eigene Gedankenlosigkeit anbiedernd mitleidsvoll die Feststellung nachzuliefern, klar, du bist ja ein Betroffener! Gegenfrage des Wieners: Du nicht?

Davon aber, vom Verhalten der nichtbetroffenen Wiener, spricht sie nicht freiwillig, darauf kommen die anderen schon von allein irgendwann während ihres Berichtes. Sie spricht auch nicht über Auschwitz-Birkenau. Die Zuhörer erwarten das auch nicht, sie wollen ihre persönlichen Eindrücke erfahren, das heißt, ob der Besuch von Auschwitz für sie notwendig war, ob er eine Veränderung bewirkt oder ausgelöst habe. Nein, sagt sie, das habe ar nicht, und habe es doch.

Sie traf die Gruppe bereits in Wien bei einem zweitägigen Seminar, Zeitzeugen waren dabei, natürlich wurde von nichts anderem mehr gesprochen, viele Gruppenmitglieder schliefen schlecht, und dann noch am Abend vor der Abreise die Mitteilung des Reiseleiters, die Nächtigungen in Auschwitz fänden im Aufnahmegebäude der SS statt. Niemand sagte ein Wort, der Schock saß.

Während der Busfahrt nach Auschwitz eine laute, fast überdrehte Unterhaltung, übersteigerte Lebhaftigkeit. Kurz vor Auschwitz ein mahnendes Wort des Reiseleiters, lähmendes Schweigen danach, bis ans Ziel. Beim Frühstück am nächsten Morgen die erste, schüchterne Frage nach der verbrachten Nacht. Alle stellen mit Erstaunen ^fest, traumlos geschlafen zu haben. Die ersten Nächte traumlos durchgeschlafen, Träume kommen erst in der letzten Nacht vor der Heimreise. Vor der Heimreise.

Beim Frühstück sagte einer, es gibt keine Marmelade, darauf antwortet der andere, ich werds überleben. Stocken. Alle am Tisch blicken auf, der Sprecher lächelt hilflos. Und jedem passieren solche Aussprüche, sie sagt zum Beispiel, weil sie alle ununterbrochen frieren, wir würden auch frieren,wenn es wärmer wäre, und dann sagt sie irgendwann trotzdem, was ist das nur für eine todbringende Kälte, und verstummt, aber keiner weist sie zurecht, weil, wie gesagt, ähnliches passiert jedem von ihnen.

Zu Hause erst, als man sie von Österreich aus anruft, eine Freundin erkundigt sich nach ihrem Befinden und erwähnt dabei so nebenher, sie müsse selektieren, so stecke sie im Arbeitsstreß, da schreit sie unbeherrscht ins Telefon, sag nie mehr selektieren und Selektion!

Trotzdem, obwohl sie in Auschwitz-Birkenau war, versteht sie alles noch weniger als vorher. Es ist nicht zu verstehen. Nachzuempfinden auch nicht. Dort wurde ihnen ein Film über die Befreiung des Lagers durch die Rote Armee gezeigt. Ein Wiener kauerte dabei zusammengesunken mit gesenktem Kopf auf seinem Sessel.weigerte sich, den Film anzusehen. Später sagte er, jeder Tote hätte sein Vater sein können, jede Tote seine Mutter. Tote? Was stellen wir uns unter einem Toten vor? Doch nicht diese Gerippe aus Haut und Knochen. Es ist nicht nachfühlbar.

Am letzten Tag noch ging sie durch einige Häftlingsblocks, die man in Gedächtnisstätten umgewandelt hatte, in einer von ihnen, die sehr dramatisch gestaltet war, ist sie ganz allein, Furcht beschleicht sie, plötzlich geht das Licht aus. Sie schreit nicht. Aber für Sekunden ist sie der echten Angst ganz nahe.

Gedächtnisfeier in Birkenau. Vorbei an der Selektionsstelle. Zurück von der Selektionsstelle. Fahrt nach Krakau. Dort sagt einer über einen anderen, der sich wenig sensibel gezeigt hat oder aus Unsicherheit nicht zeigen konnte, der soll mir keinen Lavendel erzählen. Vielleicht war es wirklich Lavendel, was der erzählte, vielleicht ist es gefährlich, übersensibel auf Unsensibilität zu reagieren, aber es ist das kleinere Übel und leicht einsehbar und verständlich, wenn Betroffene überreagieren.

Auf die anfangs gestellte Frage, ob die Auschwitz-Reise sie verändert habe, kann sie jetzt auch Antwort geben, sie sei, so sagt sie, radikaler geworden. Obgleich persönlich schuldlos, gehöre sie doch der Täterseite und fast noch der Tätergenefation an und hielte sich keinesfalls für unschuldig, für unschuldig niemals, denn schon mit dem Ariernachweis habe sie sich ins Netz der Täter verstricken lassen.

Sie sei zwar jederzeit zu ihrer Schuld gestanden, aber vor der Auschwitz-Reise habe sie das nicht immer sehr laut gesagt, weil man sie gern für eine krankhaft depressive Person angesehen habe, nun wäre ihr das egal und sie würde jederzeit laut und deutlich ... aber weil sie nicht wisse, ob man sie jetzt endlich hören wolle, könne sie auch nicht wissen, ob Heimweh nach Wien noch begründet sei, sie fühle sich jenseits der österreichischen Grenzen sehr wohl, Heimweh müsse immer ein Heimweh nach Menschen sein, meint sie, Berge und Täler, Himmel und Wasser gebe es überall, und Kunstdenkmäler könnten sie nicht bewegen, nach Wien zurückzukehren.

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