7056825-1991_21_08.jpg
Digital In Arbeit

Heimweh und Suche nach dem Glauben

Werbung
Werbung
Werbung

Pär Lagerkvist (1891-1974) ist nach Selma Lagerlöf, Verner von Heiden-stam und Axel Karlfeld der vierte schwedische Dichter, der den Nobelpreis erhielt. Als Sohn eines Bahnhofvorstehers in der südschwedischen Bischofstadt Växjö geboren, führte seine literarische Entwicklung durch viele Stadien, bis der Sechzigjährige 1951 als Nobelpreisträger in aller Welt bekannt wurde.

Diesen Durchbruch verdankte der Dichter seinem Roman „Barabbas" (1950). Unter dem starken Eindruck, den dieses Werk allgemein hervorrief, schrieb der französische Nobelpreisträger Andre Gide, daß es für einen Menschen, der sich bilden möchte, bald unerläßlich sein werde, die schwedische Sprache zu erlernen. Doch wurde das Buch bald in alle Weltsprachen übersetzt. Es erzählt den Lebenslauf jenes freigelassenen Verbrechers, an dessen Stelle Jesus von Nazareth gekreuzigt wurde.

Barabbas wird auf Golgotha Augenzeuge der Vorgänge beim Tode Christi und kommt seitdem von dem Eindruck dieses Erlebnisses nicht mehr los. Obwohl ungläubig, sucht er immer wieder die Nähe der bei der römischen Besatzungsmacht verfemten Christen, die ihren „Erlöser" als Sohn Gottes verehren, was Barabbas nicht begreifen kann. Als er jedoch als der statt Jesus Begnadigte von den Jüngern des Nazareners erkannt wird, wenden sie sich empört von ihm ab. Barabbas vereinsamt immer mehr und verläßt das Land seiner Herkunft. Auf seinen abenteuerlichen Irrfahrten gerät er als Zwangsarbeiter in die Kupfergruben Zyperns, wo er jahrelang mit einem mitverurteilten Arme-

nierzusammengeschmiedet ist. Durch ihn wird er mit der Lehre Christi vertraut gemacht und lernt auch das Beten. Doch das ist nur ein Übergangsstadium, die Gnade des wirklichen Glaubens bleibt ihm versagt.

In der Stunde der Entscheidung, als sein Mithäftling wegen seines religiösen Bekenntnisses gekreuzigt wird, sagt er sich von diesem und vom Christengott los. Zuletzt gerät er als Sklave nach Rom. In seinem immer wieder aufbrechenden Heimweh nach dem Glauben nähert er sich auch dort der verfemten Christengemeinde und trifft auf den alten Petrus, dem er einst in Jerusalem begegnet war.

Bei dem von Kaiser Nero veranlaß-ten Brand derewigen Stadt wird er als Brandstifter festgenommen und gemeinsam mit den unschuldigen Chri-

sten eingekerkert. Als diese von Petruserfahren, daß der Mithäftling jener Mann ist, der seinerzeit statt Jesus freigelassen wurde, wenden sie sich entsetzt von ihm ab. Doch Petrus, der wie sein Herr den Sündern vergibt, sagt ihnen: „Wir haben kein Recht, einen Menschen zu verdammen, weil er keinen Gott hat." Barabbas stirbt wie die übrigen Verurteilten am Kreuze, einsam, wie er gelebt hatte, und ausgeschlossen von derGemeinschaft der anderen. Der Roman schließt, wohl auch im Sprachlichen bewußt doppelsinnig, mit den Worten: „Als er den Tod kommen fühlte, den er immer gefürchtet hatte, sagte er ins Dunkel

hinaus, als ob er zu ihm spräche: Dir übergebe ich meine Seele. Und dann gab er den Geist auf."

Das Erzählte ist in der lapidaren Einfachheit des Archaischen vorgetragen. Die inneren Vorgänge werden nicht psychologisch analysiert, vieles scheint nur angedeutet. Dadurch, daß manches unausgesprochen bleibt, wird der Leser gleichsam zum mitgestaltenden Teilnehmer des Geschehens gemacht. So erhält alle Oberfläche die Dimension der Tiefe.

Lagerkvist hatte in Uppsala Literatur- und Kunstgeschichte studiert, dann ging er nach Paris und Berlin, bereiste Italien, Griechenland und Palästina. In seinem 1913 erschienenen Werk „Wortkunst und Bildkunst" setzt ersieh kritisch mit dem Naturalismus, vor allem aber mit der Dekadenz des Impressionismus und der Neuromantik auseinander. Seine frühe Lyrik steht im Banne des Expressionismus. „Angst" nennt er den Gedichtband, in dem Lebensangst und Tod die Grundmotive sind. Übersetzungen ins Deutsche bringt

ein von Erich Furegg besorgter Auswahlband „Gedichte" (1962). Seine weniger bekanntgewordene Dramatik („Der letzte Mensch", „Der schwere Augenblick", „Geheimnis des Himmels") erinnert an das Spätwerk seines Landsmannes August Strindberg. Lagerkvists wachsende Sorge um

Europas Zukunft, die er durch Hitlerdeutschland bedroht sah, spiegelt sich in den Erzählungen „Der Henker" (1933) und „Der Zwerg" (1944). In historischen Verkleidungen wird die Macht des Bösen, die zu Haß, Krieg und Vernichtung führt, aufgezeigt. Von den späteren Romanen haben „Die Sibylle" (1956, deutsch 1957) und „Der Tod Ahasvers" (1960, deutsch 1961) auch im deutschen Sprachraum beachtliche Resonanz gefunden. Die griechische Priesterin und der ewige Jude werden mit ihren bewegten Schicksalen zu Sinnbildern ruheloser Gottsucher.

Der frühe Roman „Gast bei der Wirklichkeit" (1925, deutsch 1952), die Darstellung der Kindheit und frühen Jugend eines Knaben, trägt sichtlich autobiographische Züge: Die schwedische Kleinstadt mit dem Bahnhof und dem Eisenbahnrestaurant, waren seine Erlebnisstätten. Verlassenheit und Angst sind die Grundgefühle, zu denen sich das tiefe Weh um den verlorenen Kinderglauben gesellt. Vergänglichkeit und Tod erschüttern schon den Knaben, und während andere die Jugend preisen, wird sie hier „das gräßlichste Lebensalter des Menschen" genannt. Der Schlußsatz lautet: „So endete die erste Jugend in nichts als Auflösung, Unordnung, Verwirrung."

Man kann verstehen, daß der junge Autor nach solchen Erlebnissen zum Dichter des „Barabbas" wurde, eines Werkes, das gerade unsere Gegenwart besonders ansprechen müßte in einer Zeit, in der auch in kirchlichen Bereichen viele an Gewissenskonflikten und Glaubenszweifeln leiden. Man erinnert sich dabei an ein Wort des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard: , Je mehr Leiden, desto mehr religiöse Existenz."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung