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Held der Stunde

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In der inmitten der Warschauer Altstadt gelegenen ulica Kanoni-ca 24 wird am 18. Jänner Geburtstag gefeiert. Die Ehrung gilt einem äußerst lebendigen alten Herrn, der vor 80 Jahren geboren wurde. Genau stimmt das Datum nicht mit unserem Kalender, aber Stanislaw Stomma erblickte in dem damals zum russischen Zarenreich gehörenden Gebiet von Wilna als Sohn eines polnischen Gutsbesitzers das Licht der Welt. Und dort galt damals noch der Julianische Kalender. Was wunder, daß der stets traditionsverbunde-ne Jubilar am 18. Jänner als seinem Geburtsdatum festzuhalten gedachte.

Wer ist nun dieser Stanislaw Stomma? Katholischen Journalisten Österreichs braucht man ihn, den seit dem Weltkongreß der katholischen Presse 1957 enge Kontakte mit Österreich und vor allen Dingen mit der Redaktion der

FURCHE verbinden, nicht besonders vorstellen. Allein auch ein breiterer Leserkreis verdient mit dieser Schlüsselfigur des katholischen Polens der Gegenwart bekannt gemacht zu werden.

Seine persönliche Prägung erfuhr der junge Stanislaw Stomma in jungen Jahren in der Vereinigung „ödrodzenie“ (Wiedergeburt), einer katholischen Laienorganisation, die sich einem „aufgeklärten“ Konservativismus verschrieben hatte und von der im wiederhergestellten Polen starke geistige Impulse ausgingen. Sein weiteres Schicksal ist das seiner Generation, gekennzeichnet von den Verfolgungen der polnischen Intellektuellen nach dem deutschen Uberfall 1939, dem Verlust der Heimat 1944 und den Jahren der Stalinistischen .Herrschaft in Volkspolen.

Rund um die Zeitung „Tygod-nik fowszechny“ in Krakau hatte sich in den Nachkriegs jähren früh eine katholische geistige Elite gesammelt, die allen Repressalien zum Trotz ihre Grundsätze konsequent zu vertreten wußte und lieber die Herausgabe der Zeitung einstellte als sich „gleichschalten“ ließ. Während Chefredakteur Jerzy Turowicz sich einer Erneuerung des polnischen Katholizismus verschrieben hatte, lagen Stommas Aktivitäten vornehmlich auf dem Gebiet der Gestaltung des Staates und der Gesellschaft.

Der Polnische Frühling im Oktober 1956 schuf neue Wirkungsmöglichkeiten. In das polnische Parlament zog eine Gruppe katholischer Abgeordneter ein, die zum Unterschied von der mit der Regierung eng verbundenen Gruppe Pax sich sowohl des Vertrauens der polnischen Hierarchie, wie auch der polnischen Gesellschaft erfreuen konnte. Stanislaw Stomma wurde bald so etwas wie der Klubobmann dieser Gruppe, die sich unter dem Namen „Znak“ (Zeichen) vorstellte. Grundsatztreue und Dialogbereitschaft kennzeichneten ihr Wirken.

Als jedoch das Interesse von Seiten der Regierenden an einem Dialog mit unabhängigen Geistern jedoch immer schwächer wurde, zog sich die Gruppe aus dem Sejm zurück. Ein weithin beachtetes Signal setzte Stomma durch seine Stimmenthaltung, als die Verbindung mit der Sowjetunion als Grundlage der Existenz eines polnischen Staates in die Verfassung inkorporiert wurde. Damals war er so etwas wie ein „Held der Stunde“.

Obwohl im Gebiet von Wilna gebürtig, vertrat Stomma lange Zeit den Wahlkreis Krakau. Der Genius dieser Stadt mag ihn zu seinem besonderen Interesse für Österreich und dessen Geschichte angeregt haben. Davon zeugt bis heute ein Bild von Kaiser Franz Joseph in seiner Studierstube. Eine Verbindung, die in den vergangenen 30 Jahren durch wiederholte Besuche und persönliche Kontakte mit jenen österreichischen Kreisen, die gleich ihm sich jenem „aufgeklärten Konservativismus“, dem Stomma im Letzten stets die Treue gehalten hatte, verschrieben haben.

Von der vordersten politischen Front zurückgezogen, aber alles andere als uninteressiert und inaktiv, nimmt der Jubilar auch heute an den Geschicken seines Landes und der Welt regen Anteil. Mehr noch: Nach glücklicher Überwindung einer schweren Krankheit nützt er mit beinahe jugendlichem Elan alle Möglichkeiten, auf die Entwicklung seines Landes geistig Einfluß zu nehmen. So ist er heute die Seele jenes Kreises, der unter dem Namen des Treffpunktes in der ulica Dzeka-nia selbständig denkende Geister vereinigt und Modelle eines Dialogs mit den Regierenden entwirft — allen Enttäuschungen in der Vergangenheit zum Trotz.

Der Schreiber dieser Zeilen ruft im Namen aller österreichischen Freunde dem Jubilar aus Wien ein kräftiges „Sto lat...!“ („Hundert Jahre soll er leben...!“) zu, in der Hoffnung, „Stasch“ — wie ihn alle, die ihn kennen und hochschätzen, nennen — in wenigen Monaten auch wieder in Österreich begrüßen zu können.

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