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Helden sterben nicht

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Von allen Retrospektiven — der gewöhnlich schönsten, interessantesten und erfreulichsten Zugabe aller ernsthaft sich gebender Filmfestivals — der letzten Jahre, sei es Venedig, Triest, San Sebastian usw., war die vorjährige bei den 22. Internationalen Filmfestspielen in Berlin wohl die hinreißendste und das überzeugendste Plädoyer für das vielfach geschmähte „Großpapas Kino“; sie war Douglas Fairbanks sen. gewidmet, dem Idol der zwanziger Jahre (mit Recht, wie man hier erkannt hat), dem größten und strahlendsten Helden der Filmleinwand, den es je gegeben hat, „His Majesty the American“ — wie auch einer seiner Filmtitel treffend hieß —, der Ideal-Wunschtraumtyp des Amerikaners. — Während des Monats März findet im Filmmuseum in der Albertina eine Fairbanks-Retrospektive statt

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Von allen Retrospektiven — der gewöhnlich schönsten, interessantesten und erfreulichsten Zugabe aller ernsthaft sich gebender Filmfestivals — der letzten Jahre, sei es Venedig, Triest, San Sebastian usw., war die vorjährige bei den 22. Internationalen Filmfestspielen in Berlin wohl die hinreißendste und das überzeugendste Plädoyer für das vielfach geschmähte „Großpapas Kino“; sie war Douglas Fairbanks sen. gewidmet, dem Idol der zwanziger Jahre (mit Recht, wie man hier erkannt hat), dem größten und strahlendsten Helden der Filmleinwand, den es je gegeben hat, „His Majesty the American“ — wie auch einer seiner Filmtitel treffend hieß —, der Ideal-Wunschtraumtyp des Amerikaners. — Während des Monats März findet im Filmmuseum in der Albertina eine Fairbanks-Retrospektive statt

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Das Wunderbare, das als Erkenntnis herauskam, war und ist die Tatsache, daß nicht nur sein Ruhm berechtigt war, weil Fairbanks ein wirklicher „Sieger“ war, geschmeidig, kräftig, schön und dabei nobel, aufrichtig und galant, daneben aber auch ein exzellenter und hervorragender Schauspieler mit Wandlungsfähigkeit und artistischem Können, sondern auch seine Filme tatsächlich von hoher künstlerischer Bedeutung und Perfektion waren — und daher (eben und auch) zeitlos sind...

Douglas Fairbanks sen. wurde am 23. Mai 1883 in Denver, Colorado, als Sohn des aus einer jüdischen Familie des oberen Mittelstandes stammenden Rechtsberaters Charles Ul-man und einer Schönheit aus dem Süden, Ella Adelaide, geboren. Mit fünf Jahren — als die Eltern geschieden waren und die Mutter sich und ihre beiden Söhne nach dem Namen ihres verstorbenen zweiten Gatten „Fairbanks“ nannte — wollte Doug zunächst Schneider werden, doch später entschied er sich spontan für den Schauspielerberuf und ging zunächst auf „Schmiere“; 1902 hatte er am Broadway sein Debüt und er wurde bald ein gefeierter Komödienstar. 1915 entschloß er sich, dem Beispiel einiger Kollegen folgend, mit dem verhältnismäßig neuen Medium, Film zu experimentieren und nahm das Angebot der Firma Dayid Wark Grifflth an, um in Kalifornien den Probefilm „The Lamb“ (Das Lamm) zu machen. Allerdings spielte er selbst dann nie unter der Regie dieses amerikanischen Filmpioniers, sondern sein Leibregisseur wurde zunächst Christy Cabanne, dann Allan Dwan und John Emerson. Es war die Zeit, als Charles Chaplin zu einem Begriff wurde — und wenn man die frühen Fairbanks-Filme sieht, bemerkt man deutlich den großen Einfluß Chaplins auf diese komischen Kurzakter (übrigens befreundeten sich Chaplin und Fairbanks bald miteinander und ihre Freundschaft war die wohl beständigste und herzlichste, die später dann auch zusammen mit Griffith und Fairbanks' zweiter Gattin Mary Pickford zur Gründung der „United Artists“, 1919, führte).

Fairbanks zweiunddreißigster Film bedeutete die große Wandlung, die ihn auf die Höhe des Ruhms führen sollte: er nahm Abschied von der Gesellschaftskomödie, in die er den Typ des Yankee aus der rohen Atmosphäre gehoben hatte, und ging zum Kostümfilm über. „Hatte er zuvor naiv die Tradition des Helden-und Abenteuerromans fortgesetzt, so schmückte er sich jetzt mit den In-signien der Tradition. Er war nicht länger der Tausendsassa aus Brooklyn, sondern der unbezwingliche Held der Literatur1.“ In „The Mark of Zorro“ stieg er ins Kostüm um und fügte so die phantastische Note seinem Typ hinzu; diese Geschichte der Befreiung Kaliforniens durch einen spanischen Granden, der tags über den Tölpel mimt, um nachts maskiert Heldentaten zu vollführen (übrigens eine halbwahre kalifornische Story), die zuerst „The Curse of Capistrano“ heißen sollte, wurde zu einem aufsehenerregenden Erfolg, der Fairbanks ermutigte, weiterzumachen und größere, bessere und teurere Filme auf dieser Linie zu machen.

Als nächstes schuf Fairbanks seine Version von Alexandre Dumas' „The Three Musketeers“, an der er Monate arbeitete, wobei er jede Szene, die Ausstattung, die Handlung selbst überwachte. Der Regisseur war — wie in allen seinen großen Filmen — „in der Autorität sehr eingeschränkt.

Auch wenn er mit ihnen in enger Zusammenarbeit stand und sich ihre Meinung genau anhörte, waren Regisseure gehalten, seine Ideen auszuführen und sich seinem kategorischen Einspruch zu fügen. Er war der eigentliche Schöpfer seiner Filme; er wußte genau, wie jede Einzelheit dargestellt werden sollte und welche Effekte, welche Stim-mungs- und Temposchwankungen für jede Szene und für den ganzen Film wichtig waren. Da er jedoch nicht die nötige Geduld für Details besaß, wollte er selber nie Regie führen. Er zog es vor, diese Befugnis mit ihren Einschränkungen an andere abzugeben und sich mit den größeren Fragen des ganzen Filmunternehmens zu befassen2“. 1921 wurden „Die drei Musketiere“ in New York in einer Galapremiere uraufgeführt, in einem richtigen Theater mit reservierten Plätzen, wobei die eigens für den Film komponierte Musik von einem vollzähligen Orchester gespielt wurde; Kritiker und Publikum in aller Welt waren begeistert — der Film (mit Adolphe Men-jou, Eugene Pallette und Barbara La Marr neben Fairbanks) überragte alles, was er bis dahin geschaffen hatte.

Für den nächsten Großfilm nahm er sich Walter Scott zum Vorbild; er suchte sich wieder die besten Geschichtsexperten, Architekten und Techniker aus und gab den Auftrag eines normannischen Schlosses in Auftrag, das als Hintergrund für

„Robin Hood“ dienen sollte. Die Produktion des Films dauerte über ein Jahr, wie immer waren die Sensationsszenen und Tricks monatelang geplant und einstudiert worden und als der Film angelaufen war (1922), war er tatsächlich eine Weltsensation geworden. Um den Schloßbau gibt es eine wahre Anekdote, von Chaplin so erzählt: „Er ließ für ,Robin Hood' eine Szenerie auf einem Gelände von fünf Hektar errichten, eine Burg mit riesigen Wällen und Zugbrücken, viel größer als irgendeine Burg, die es je auf der Welt gegeben hat. Mit großem Stolz zeigte Douglas mir die unförmige Zugbrücke. .Großartig', sagte ich, ,das wäre ein herrlicher Anfang für eine meiner Filmkomödien: die Zugbrücke geht herunter, ich komme heraus, lasse die Katze an die Luft und hole die Milch herein3!'“

1924 vollendete Fairbanks seinen größten und unsterblichsten Film, „The Thief of Bagdad“ nach Erzählungen aus „1001 Nacht“; dieses — mit Anna May Wong und vor allem dem hervorragenden Mongolen Kamiyama So-Jin auch glänzend interpretierte — Märchen ist heute noch unübertroffen, vor allem in den Trickszenen, bei denen der junge William Cameron Menzies (später als Regisseur von „Things To Come“ berühmt geworden) seine erste Chance erhielt. Und wenn auch in vielen Filmbüchern zu lesen ist, daß Fritz Lang und sein Film „Der müde Tod“ Vorbild waren, ja noch mehr, daß „damals Douglas Fairbanks die amerikanischen Rechte (des Lang-Films) erworben hat, freilich nicht, um den Film in Kansas City oder in Texas vorführen zu lassen — er wurde nur vor erlesenem Publikum in New York und Hollywood gezeigt —, sondern nur, um einige der Trickaufnahmen für seinen eigenen Film, ,Der Dieb von Bagdad', zu benutzen4“, so spielt dies, selbst wenn es wahr sein sollte (und Douglas Fairbanks jun. bestreitet jeden Einfluß von Fritz Lang auf das Werk seines Vaters), keine Rolle: „Was den Erfolg des amerikanischen Bagdad-Films entscheidet, ist die Naivi tät und Ursprünglichkeit, mit der hier ein Heldenbegriff hingesetzt ist. Ein Held für alle. Der lustige Spitzbube, der sehnsüchtige Liebhaber einer Prinzessin, der Zauberer, der Sieger, der Fürst — ein Held für Straßenjungen und Backfische aus gutem Haus, für Farmer und für Großstädter, für Vernünftler und Phantasten, für Amerikaner, Europäer, Australier und Afrikaner5.“ Hier zeigte sich Fairbanks auch in einem neuen „Kostüm“: mit bronziertem nacktem Oberkörper und barfüßig — und dennoch, noch kein Europäer hat jemals einen Orientalen im Film so „leibhaftig“ dargestellt!

Als nächstes erfand Fairbanks eine Fortsetzung zu „Zorro“, die er „Don Q., Son of Zorro“ nannte (1925), worin er sich seinen langgehegten Wunsch erfüllen konnte, sich als „richtiger Schauspieler“ zu produzieren, indem er zwei Rollen — die des alten Vaters, Zorro, und die des Sohnes, Don Q. — darstellte. 1926 folgte dann der Film, mit dem er alles Vorherige übertreffen wollte, eine Abenteuergeschichte aus der Karbischen See, zu der er selbst (unter dem Pseudonym seiner beiden Zwischennamen Elton Thomas) das Drehbuch schrieb: „Tfie Black Pirate.“ Wieder waren alle Effekte monatelang vorher ausgeklügelt worden, der spektakuläre Unterwasserangriff auf das Schiff der Bösewichte und die sensationellste seiner „Sensationsszenen“, das Heruntergleiten an einem Segel durch Aufschlitzen mit einem Messer — doch die Schwierigkeiten waren noch um einen Faktor vermehrt worden: der ganze abendfüllende Film war in Technicolor gedreht! Man bedenke, 1926 — damals verlangten die Studien der Farbbezugswerte allein, daß jeder Szenenaufbau und alle Kostüme unter Berücksichtigung der Farbwirkung entworfen werden mußten. Sieht man heute den Film in einer jener kostbaren wenigen Kopien in der Originalfarbfassung, sitzt man bewundernd vor so erstaunlich delikater und effektvoller Farbwirkung (vorwiegend in verblichenen Brauntönen wie eine vergilbte Illustration), daß man seine Kenntnisse von der Filmgeschichte zu bezweifeln beginnt...

Doch mit diesem Film begann langsam auch der Abstieg Fairbanks'. „The Gaucho“, 1927, folgte zwar noch, auch „The Iron Mask“ (als Fortsetzung der „Drei Musketiere“ — in der Fairbanks am Schluß des Films zum erstenmal sterben mußte), 1929; doch der Mythos Douglas Fairbanks schien sich durch den kommenden tönenden Film überlebt zu haben. Und der erste richtige Mißerfolg — auch des ersten Films, in dem das „glücklichste Filmehepaar der Welt“, Fairbanks/ Pickford, gemeinsam spielte und zugleich des ersten Tonfilms von Fairbanks sen. — „The Taming of the Shrew“ nach Shakespeare, war das Zeichen des kommenden Endes einer Karriere, die mit dem Tod des Helden am 13. Dezember 1939 ihren Abschluß fand.

„ ... Als er fortging, stand ich da und blickte hinter ihm her, während er seiner Frau half, einen steilen Abhang hinaufzuklettern. Als sie auf dem Fußpfad weggingen und die Entfernung zwischen uns immer größer wurde, überkam mich plötzlich ein Gefühl von Traurigkeit. Doug wandte sich um, ich winkte, und er winkte zurück. Und das war das letzte Mal, daß ich ihn gesehen habe. Einen Monat später rief Douglas junior mich an und sagte mir, sein Vater sei in der vergangenen Nacht an einem Herzanfall gestorben. Es war ein fürchterlicher Schock, denn er hatte so sehr dem Leben gehört“, schreibt Chaplin über seinen besten Freund3...

Douglas Fairbanks sen. hat im Film viele Nachfolger gehabt, doch keiner — weder Erroll Flynn noch Tyrone Power — hat ihn je erreicht. Er war unübertroffen, niemand konnte in seine Fußstapfen treten; sie waren zu leichtfüßig, um Spuren zu hinterlassen ...

1 Enno Patalas: Stars — Geschichte der Filmidole.

' Douglas Fairbanks jr.: Ein Sohn sieht seinen Vater (Retrospektive — Dokumentation der Berliner Filmfestspiele).

s Charles Chaplin: Die Geschichte meines Lebens.

4 Heinrieh Fraenkel: Unsterblicher Film (Band 1).

s Herbert Ihering: Der Dieb von Bagdad (Berliner Börsen-Courier, 21. Dez. 1925).

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