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Hellhörig sein!

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Die Diskussion über Schulpolitik und Schulreform kann und darf von der katholischen Schule nicht unbeachtet bleiben. Die Begründung dafür liegt in ihrer Entstehungsgeschichte, denn die Ordensgründerinnen und Ordensgründer waren charismatische Persönlichkeiten, die es verstanden haben, die Bedürfnisse ihrer Zeit und der in dieser Zeit lebenden Menschen zu erfassen, zu verstehen und in den Werken, die sie gegründet haben, diesen Zeitbedürfnissen entgegenzukommen.

Wie steht es heute um die Wachsamkeit und Hellhörigkeit den Zeichen der Zeit gegenüber? Sicher nehmen katholische Schulen heute ihre Chance wahr, einen soliden Bildungsauftrag zu erfüllen, indem sie die vorhandenen Lehrpläne mit Wertvorstellungen erfüllen und zu Werthaltungen erziehen. Der junge Mensch, der unsere Schulen verläßt, soll „zukunftstauglich“ sein. Er muß das nötige Rüstzeug haben, sich in der zunehmenden Technisierung der Welt zurechtzufinden. Er soll auch wissen, von welchem Standpunkt er zu den wichtigen Lebensfragen Stellung nimmt. Schule ist etwas Lebendiges. Sie muß den Zeitbedürfnissen entge- genkommen, muß offen sein als Träger neuer Bildungsangebote.

Verfolgt man mit einiger Aufmerksamkeit die Entwicklungen auf dem Gebiet der Schulreform, so muß manches, was da, meist unbeachtet von der Öffentlichkeit, geschieht, den Beobachter mit ernster Sorge erfüllen. Da steht im Koalitionspapier, das eigentlich .Arbeitsübereinkommen zwischen der Sozialistischen Partei Österreichs und der österreichischen Volkspartei“ heißt, zu lesen: „Keine einzige Begabung soll verlorengehen. Alle Begabungen, zu denen nicht nur intellektuell-kognitive, sondern auch musisch-kreative, soziale und handwerklich-praktische gehören, sollen erkannt und ohne zu frühe Selektion höchstmöglich entfaltet werden.“

Vorerst könnten wir mit dieser Aussage sehr zufrieden sein - nur die Praxis beweist leider anderes. Viele Schulerhalter katholischer Schulen führen Lehranstalten, die stärker auf die Gebiete des Gewerblich-Hauswirtschaftlichen ausgerichtet sind. Schultypen also, die den oben zitierten unterschiedlichen Begabungsrichtungen entsprechen. Ihnen droht eine starke Einschränkung.

Wollen wir wirklich Zuschauer und Mitvollzieher sein bei dem Trend, daß „noch bestehende geschlechtsspezifische Merkmale des Unterrichtes abgebaut werden müssen“ (Koalitionspapier)? Sehen wir nun tatenlos zu, wie alle fraulich ausgerichteten Schultypen mehr oder weniger stillschweigend verschwinden und durch betriebswirtschaftlichorientierte ersetzt werden?

Viel wertvolles Volksgut ist im Begriff, verlorenzugehen durch das Auslaufen der Bildungsanstalt für Arbeitslehrerinnen. Das technische Werken hat sicher auch seinen Wert — aber es ist eben anders ausgerichtet.

Der Schulversuch an einer fünfjährigen (einstmals) höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe, die mm „Höhere Lehranstalt für Betriebs- und Ernährungswirtschaft“ genannt wird, schlägt ebenfalls in diese Kerbe. Aus der Stundentafel ist der Pflichtgegenstand „Textilverarbeitung“ mit einer Wochenstundenzahl von acht Stunden im ersten und vier Stunden im zweiten Jahrgang verschwunden und kann nur mehr als Freifach ange- boten werden. Dafür kommen zwei Stunden Computerunterstütztes Rechnungswesen (eine Stunde im zweiten Jahrgang und eine Stunde im vierten Jahrgang dazu) sowie vier Stunden Elektronische Datenverarbeitung (je zwei Stunden im zweiten und dritten Jahrgang). Das Stundenausmaß in Ernährungslehre ist um eine Stunde erhöht. Ebenso bedenklich ist es, im Koalitionspapier zu lesen, daß an die Stelle des gegenwärtigen wirtschaftskund- lichen Realgymnasiums eine

„noch zu definierende Form des Gymnasiums mit wirtschaftlichem Schwerpunkt“ treten wird.

Kümmern sich Schulerhalter oder Lehrer der katholischen Schulen darum, was hier eigentlich im Entstehen ist? Ubersehen wir den Trend, der sehr gezielt das aus dem Bildungsplan herausnimmt oder ausklammert, was lange Zeit Bestand der hauswirtschaftlich ausgerichteten Bildungsinhalte war, wie die Textilverarbeitung (sprich: Nähen oder Kleidermachen) ? Ob es wohl ausreicht, dies einigermaßen in der ersten und zweiten Klasse der Hauptschule oder der allgemein- bildenden höheren Schule zu lernen? Und wo wird dieser Begabungsrichtung dann wirklich Rechnung getragen? Soll es etwa in Zukunft keine Frauen mehr geben, die auch im Haushalt ihre praktischen Begabungen entfalten wollen?

Die Industrie fordert heute Schulabgänger (Maturanten), die bereit sind, in Lehrlingsberufe einzutreten — und diese Schulabgänger kommen meist mit rein theoretischem Wissen, aber unzureichend vorbereitet für praktisches Können, auch aus manchen berufsbildenden höheren Schulen, sollte dieser Schulversuch tatsächlich in das Regelschulwesen übergeführt werden.

Fällt es uns endlich auf, daß Scheibchen um Scheibchen Organisationsformen und Bildungsinhalte den Reformen zum Opfer fallen, bis schließlich ein großer Bildungseintopf dasteht?

Wollen wir das? Wenn nicht, so ist es unsere Aufgabe, uns zu interessieren und mitzuarbeiten. Nicht der einzelne wird es schufen — aber die Schulgemeinschaft, getragen von Lehrern, Eltern und Schülern, sollte sich bald zu Wort melden.

Die Autorin ist Direktorin des Mädchen- Privatgymnasiums St. Ursula in Wien- Mauer.

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