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Heraus aus der Sackgasse !

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Die Steiermark ist -verkehrsmäßig - in einer prekären Situation. Es sind zwar in den letzten Jahren gute F1ug- und Autobahnverbindungen realisiert worden, doch der Bahnausbau wurde schwer vernachlässigt. Das soll sich nun ändern.

Wenn alles nach Plan läuft, rollt am Mittwoch, 4. Juli, ein Sonderzug von Graz nach Wien. Landeshauptmann Josef Krainer und Bürgermeister Alfred Stingl vertreten

das Land und die Landeshauptstadt, die „Kleine Zeitung", die am 6. Mai eine Kampagne unter dem Motto „Heraus aus der Sackgasse ! " gestartet hat, wird Minister Rudolf Streicher das einschlägige Forderungspaket auf den Tisch legen.

Tatsächlich ist die „Grüne Mark" das Verkehrs-Stiefkind Österreichs. Dafür gibt es historische Gründe, wie den Verlust der Untersteiermark im Herbst 1919 oder die Teilung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Südbahn führte viele Jahre lang ebenfalls ein Stiefmütterchen- Dasein. So ließ zum Beispiel der seinerzeitige Verkehrsminister Waldbrunner das zweite Geleise der Strecke Graz-Spielfeld abmontieren. Motto: „Da hinunter" wird es nie mehr einen bedeutsamen Verkehr geben.

Nach Beratungen im Druck- und Verlagshaus Styria, bei denen Generaldirektor Hanns Sassmann den Vorsitz führte, und nach Gesprächen mit führenden Verkehrsexperten, wie Universitätsprofessor Klaus Rießberger von der Technischen Universität Graz, war für den Chefredakteur der „Kleinen Zeitung", Fritz Csoklich, Anfang Mai klar, daß gehandelt werden müsse. So hieß es im ersten Aufruf: „Die Steiermark darf nicht länger als Aschenbrödel der Nation behandelt werden. Wir brauchen optimale Verkehrsverbindungen. Die rasante Öffnung im Osten, die deutsche Einigung und die S.chaffung des EG-Binnenmarktes stellen uns vor die gewaltige Aufgabe, die jahrzehntelange Isolation rasch zu überwinden."

Ein Hintergrund für das „Jetzt oder nie!": Es besteht die eminente Gefahr, daß die Bundeshauptstadt Wien beim Konzept „Neue Bahn" den großen Kuchen für sich beansprucht und für die Steiermark

wieder nur Brosamen übrigbleiben. Kaum war der Eiserne Vorhang gefallen, ertönten doch an der Donau laute Stimmen: „Verzichten wir auf den Semmering-Basistunnel, nehmen wir das Geld für rasche Bahnanschlüsse in Richtung Prag und Brünn, Preßburg, Kra????au und Budapest! Und auch für die Hochleistungsstrecke auf der Westbahn und den gigantischen Wiener Zentralbahnhof samt den milliardenschweren Tunnelbauten."

Noch eine Motivation:. Es zeigt sich immer deutlicher, daß die Integration Europas, auch das aktuelle Engagement für einen umfassenden europaischen Wirtschaftsraum (EWR), eng mit der Schiene verknüpft ist. So setzt die „Gemeinschaft Europäischer Bahnen", die alle EG-Staaten sowie die Schweiz und Österreich umfaßt, wegen der überfüllten Luftstraßen, der Dauerstaus auf den Autobahnen und wegen des LKW-Dilemmas auf die Renaissance der Eisenbahn. Sie ist umweltschonend, energiesparend und oft auch schneller, besonders dort, wo die Bahnverbindungen ins Herz der Städte oder an den nahen Stadtrand führen.

Eine besondere Rolle bei der Wiederentdeckung der Bahn spielen die französischen und deutschen Hochleistungsstrecken. Der Blitzzug TGV hat kürzlich auf der Atlantikstrecke einen neuen Weltrekord von über 500 Stundenkilometern aufgestellt (Jubel in Paris), die „schnellsten Eisen" der Deutschen Bundesbahn (Intercity-Expreß) rollen mit über 400 Stundenkilometern. Das Schlagwort der Bahnbosse: „Halb so schnell wie der Düsenjet, doppelt so schnell wie die schnellsten A.utos."

Gebirgsländer wie die Schweiz und Österreich sind hier im Nachteil, doch zeigt der Fortschritt bei den Schweizer Bundesbahnen nicht nur eine enorme Erhöhung der Reisegeschwindigkeit, sondern auch eine enge Vernetzung mit städtischen Verkehrssystemen. Ein Beispiel zum Herzeigen ist das SBahn- N etz Zürich, das Ende Mai. mit Bravour in Betrieb ging.

Für die Steiermark ergibt sich beim künftigen Bahnausbau das „Drei-Loch-Problem", wie es Universitätsprofessor Klaus Rießberger treffend formuliert. Die Semmering- Gebirgsbahn des Karl Ritter von Ghega soll zwar unbedingt für den Regional- und Touristenverkehr erhalten bleiben, doch ist die Strecke so überlastet, daß ein Basistunnel unumgänglich er-

scheint. Nach jüngsten Kostenschätzungen soll er für 2,5 Milliarden gebaut werden können. ,

Der Koralmtunnel könnte die Fahrzeit Graz-Klagenfurt von rund zweieinhalb Stunden auf ui1ter eine???? Stunde verringern. Sind beide Tunnels einmal fertig, ist auch die bedeutsame Hochleistungsstrecke von Polen nach Süditalien realisiert. Angesichts der Chancen im neuen Europa zählt diese Route für eile Steiermark zu den wichtigsten Lebensadern, verbindet sie doch die Wirtschaftszentren der Tschechoslowakei und Norditaliens.

Das dritte Loch, der Pyhrn-Tunnel, sichert schon jetzt eine günstige Verbindung über Oberösterreich in die Bundesrepublik, doch müßte auch hier ein zweigleisiger Ausbau kommen. Die ideale Abkürzung Schlierbach-Wels ist leider nicht mehr im Konzept der Neuen Bahn, doch kann die Schleife Traun-Marchtrenk eine wesentliche Entlastung bringen. Die Züge müssen nicht mehr über Linz geleitet werden, sie rollen direkt auf die Westbahn. Eine Verbesserung der Ennstal-Bahn (Selzthal-Radstadt) ist nach einer Inspektionsreise von ÖBB-General Heinrich Übleis in· greifbare Nähe gerückt. Massiven Druck für den Ausbau und die Elektrifizierung der Ostbahn machen nicht nur die Anrainer-Bürgermeister in der Steiermark und im Burgenland, auch die Stadtväter von Graz haben ein gewaltiges Interesse an einer schnellen Verbindung nach Budapest, zumal die Weltausstellung 1995 endgültig feststeht. Weitere Wünsche beziehen sich auf eine N a h v e r k e h r s d r e h s c h e i b e G r a z - H a u p t - bahnbof und die Aufwertung des ÖBB-Büros in Graz zu einer Stabsstelle der ÖBB-Generaldirektion Wien. Ein Koordinator, der die steirischen Sorgen kennt, muß künftig in der Bundeshauptstadt dafür kämpfen, daß die Steiermark endlich optimale Verbindungenbekommt

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