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Herbergsuche in Mitteleuropa

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„Vukovar haben wir gerade noch verkraften können, doch Osijek streckt uns zu Boden." Der Satz stammt nicht aus dem Zagreber, sondern aus dem Budapester Außenamt.

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„Vukovar haben wir gerade noch verkraften können, doch Osijek streckt uns zu Boden." Der Satz stammt nicht aus dem Zagreber, sondern aus dem Budapester Außenamt.

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Bis vor kurzem lag die Zahl der in Ungarn als Flüchtlinge registrierten Notleidenden aus Kroatien und der serbisch dominierten Provinz Woj-wodina etwa bei 50.000. Jene, die noch aus eigener Kraft durchkommen können, dürften auch rund 40.000 betragen. Etwa 70 Prozent der Notleidenden wurden privat bei opferbereiten Familien in ungarischen und kroatischen Dörfern untergebracht.

Der Staat ist lediglich imstande, einen sogenannten Energiezuschuß im Wert von 1.000 Forint im Monat beizusteuern. Hinzu kommen noch Sonderhilfen, wie „Bekleidungsergänzung" - die aber angesichts des Winters bereits problematisch geworden ist. Die überwiegende Mehrheit-etwa 80 Prozent - der Notleidenden hat in Ungarn lediglich um eine Aufenthaltsgenehmigung angesucht, die ihr solange zusteht, bis sie „ungehindert an ihren Wohnort zurückkehren kann". Über den Zeitpunkt macht sich keiner mehr Illusionen. Doch selbst wenn es dafür auch Aussichten gäbe, haben die meisten kein Haus oder sogar kein Dorf mehr, um zurückzukehren.

In den ungarischen Lagern herrschten bis vor kurzem noch annehmbare Zustände. In manchen findet sogar noch regelmäßiger Schulunterricht statt. Den psychischen Auswirkungen des Flüchtling-Seins zu begegnen, überfordert allerdings die zur Verfügung stehenden Mittel. Beschäftigungsmöglichkeiten gibt es nur selten, die Kroaten leben praktisch von der zugeteilten Verpflegung im Wert von 600 Forint.

Nun stehen aber noch weitere Tausende, wenn nicht Zehntausende vor der Tür. Hilfsorganisationen und Gemeinden setzen sich nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten ein; so hat der kroatische Verband „Gradiste" in Österreich die Eröffnung einer provisorischen Schule an der ungarischen Seite der Grenze mitorganisiert. Die Slowakei hat bereits 300 Kinder übernommen; weitere Gespräche sind im Gange.

Vergangene Woche wurden in-nerhab von zwei Tagen drei neue Lager fast aus dem Boden gestampft. Da geht es allerdings nicht mehr so annehmbar zu. Hunderte, wegen grauenhafter Kriegserlebnisse zum Teil halb wahnsinnige Menschen heulen den ganzen Tag wie mißhandelte Tiere. In Europas Mitte. Indes stehen an den Grenzübergängen stündlich Hunderte Neuankömmlinge.

Niemand wagt in Budapest über die Zukunft der Flüchtlinge laut nachzudenken. Fest steht lediglich, daß die Grenzen nach wie vor für jeden Notleidenden offen blei-| ben. Die rein theoretische Möglichkeit einer Weiterwanderung in den Westen kommt für die meisten Kroaten nicht in Frage. Sie wollen in der Nähe ihres Landes bleiben und hoffen. Etwas anderes bleibt ihnen nicht übrig.

Mit Stichtag 5. Dezember hielten sich in Österreich 9.720 sogenannte Defacto-Flüchtlingeaus Jugoslawien auf. Um politisches Asyl haben mit Stichtag 10. Dezember 4.620 Menschen aus Jugoslawien angesucht.

„Für die meisten der sogenannten De-facto-Flüchtlinge aus Jugoslawien geht es darum, hier in Österreich für die nächsten Monate zu überleben", sagt Annemarie Haschka von der Caritas Wien zur FURCHE. Sie berichtet, daß sich unter den Asylwer-bem - größtenteils Menschen, die hier keine als Gastarbeiter beschäftigte Familienangehörige haben - viele Deserteure befinden, die zwar schon ihren Militärdienst abgeleistet haben, jetzt aber ihre Einberufung zur Armee verweigern, weil sie nicht auf Landsleute schießen wollen. Sie haben Aussicht auf Anerkennung als Flüchtlinge gemäß Genfer Konvention.

Das Innenministerium hat mit Rotem Kreuz und Caritas einen Förderungsvertrag geschlossen, nach dem den Unterkunftgebern in den Bundesländern vom Bund 1.000 Schilling pro Person und Monat zur Verfügung gestellt werden. Die Länder schießen noch 500 Schilling zu, in Salzburg sind es 1.000 Schilling.

Nach Bundesländern aufgeschlüsselt halten sich derzeit in Vorarlberg 1.200, in Tirol 600, in Salzburg 270, in Oberösterreich 1.000, in Kärntnen 650 in der Steiermark 1.200, in Niederösterreich 500, in Wien 3.000 und im Burgenland 1.300De-facto-Flüchtlinge aus Jugoslawien auf. Die oben genannten 4.620 Asylanten aus unserem südlichen Nachbarland (davon geben 1.042 an, Kroaten zu sein) stehen - so das Innenministerium - bereits an zweiter Stelle der zur Zeit insgesamt 11.804 Asylanten in Bundesbetreuung hinter den Rumänen. Insgesamt haben heuer 25.226 Personen aus 30 Ländern in Österreich um politisches Asyl angesucht.

Die „Österreichisch-Kroatische Gesellschaft" in Wien (Telefon: 65-61-52) und das Soziale Hilfswerk in Wien (Telefon: 512-36-61) bitten um Unterkünfte für Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet.

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