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Herr Herzl betet zu Gott

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Großvater bekam einen seltenen Namen und hatte einen seltsamen Glauben. Niemand sonst in diesem Dorf im Banat hieß Moritz. Das war ja ein Name für Adelige, für Herzöge gar, nur daß sich solche hohe Herren nicht mit gemeinen Dingen abgaben und nicht auch noch Herzl heißen konnten. Schon Urgroßvater Leopold hielt sich für vornehm. Herr Herzl kaufte Mais, Kukuruz,

Sommergerste und Futterhafer, lieh auch Geld aus, eine Seele von einem Menschen, war aber streng mit den Zinsen, der Halsabschneider, der jüdische ... Aber jemand muß ja die Wagen mieten, die Eisenbahnwaggons, das Abgeerntete nach Betschkerek fahren und weiter nach Szeged, Budapest, Wien und Berlin, sonst bleibt die Ernte in den Scheunen, und man kann kein Petroleum kaufen für die Lampen, kein Salz. Herr Herzl hat Anzüge für die Stadt, wenn er verreist, und andere, wenn er die Ackerfelder prüft. Eigenen Boden besitzt er keinen, obwohl er das Geld gewiß hätte, ein Gut zu kaufen, doch wozu? Mit Tagelöhnern will er sich nicht ärgern. Auch so arbeiten alle für ihn, auch auf eigener Scholle. Manchmal zieht sich Leopold in

eine hintere Kammer zurück, zieht die Vorhänge zu, setzt ein schwarzes Käppi auf, umwickelt sich mit dem schwarz-weißen Gebetsschal, verneigt sich oft, murmelt in einer Sprache, die kein Schwäbisch ist, kein Rumänisch oder Ungarisch, und Serbisch schon gar nicht. Sein Gott ist anders. Alle Sprachen mußt du kennen, wenn du handeln willst, das darf man mit Gott nicht, geheiligt sei Sein Name, aber der liebt auch seine eigene Sprache am meisten, und die kann Leopold eigentlich nicht, nur Segnungen auswendig und etwas lesen von rechts nach links. Als die Menschen den Turm von Babel bauen wollten, hatte Gott den Einfall, die Sprachen zu verwirren. Zwar kann man einige lernen und so etwas Licht in die nachbabylonische Finsternis bringen, Er aber möchte gelobt werden in seiner liebsten Zunge, und so sei es!

Üm 1820 geboren, hätte Leopold die Achtundvierziger-Unruhen nie Revolution genannt. Er versuchte nicht einmal alle Gründe und Gegenargumente des Aufstandes zu verstehen, so wie er auch die Ursachen für Dürre oder

Uberschwemmungen nicht ergründen konnte. Wichtig war zu wissen, was zu tun ist, wenn Elend droht, wer wollte schon die Ratschlüsse des Herrn beurteilen, gelobt sei Sein Name. Da gehen Ungarn gegen Deutschösterreicher, Serben gegen Ungarn, ein jeder gegen jeden, aber Brot wollen und müssen alle essen, gesät muß werden und geerntet, verkauft und wiederverkauft. Alle reden über Rechte, Sprachen, Nationalitäten, die Juden vergißt man. Gott sei Dank. Schlimm wird es, wenn man sich ihrer entsinnt.

Freilich weiß Leopold, daß er Deutsch mit jiddischem Akzent spricht, das unterscheidet ihn sowohl von der österreichischen noblen Herrschaft, als auch von den donauschwäbischen Bauern. Fremd klingt es auch, wenn er ungarisch, rumänisch oder serbisch verhandelt. Man versteht ihn, aber hinter seinem Rücken lacht man. Er abonniert Zeitungen aus Pest und Wien, weiß, was auf der Welt passiert, hat aber keinen Freund im Dorf, mit dem er politisieren könnte. Moritz wird richtig ungarisch und deutsch sprechen lernen müssen.

Gans und nicht Spanferkel zu essen ist nicht alles, was Gott sei-

nem auserwählten Volk auferlegt hat. Leopold, der einzige Jude im Banater Dorf Perles, weiß, daß sein Geschlecht bereits dabei war, sich vom#vahren Glauben Abrahams, Isaaks und Jakobs zu verabschieden. Weit weg von jeder Gemeinschaft, die die heilige Thora und den Talmud studiert, ungelehrt in den Geschäften mit Gott und seinen Schriften, geschickt nur im Umgang mit den Menschen, fürchtete er den Tod, denn er wußte nicht, wie sich zehn Juden würden versammeln können an seiner Leichenstätte, wie das Gebot es fordert.

„Du, Dessen Namen man nicht aussprechen darf, erhöre mich, bitte, nicht verfluchen sollst Du mich und bestrafen meinen Samen, nicht verlassen wollen wir Dich, wenn wir neue Wege suchen auf dieser Deiner Erde!“

Mitten in der Nacht allein im Kontor — nicht in der Kammer, in der er manchmal betet — sitzt er im Dunkeln, und kein Licht der Petroleumlampe hilft. Dorfköter bellen. Nichts nützt der Zauber der Habsburger Namen Franz, Ernst, Moritz, Leopold gegen jüdisches Schicksal, schreck-

licher ist es als alle Überschwemmungen der Theiß oder des Begakanals. Aber wenn dann die Morgenröte durchs Fenster kriecht und er seinen ersten Barack oder Maulbeerschnaps trinkt, Gott segne auch diesen menschlichen Genuß, und in den heißen Fladen beißt, der Längos heißt, weil ungarisch Läng die Flamme ist, und der wird noch besser im Gänseschmalz, gelingt es ihm doch, den Alptraum zu vergessen oder wenigstens zu verdrängen.

Wenn er dann auf Festen der serbischen Familienheiligen und auf den Jahrmärkten, um seine Kundschaft nicht zu beleidigen, zulangt und nicht aufpassen kann, ob Fleisch und Milch miteinander nicht in Berührung gekommen sind, weiß er, daß er abermals gegen Verbote verstößt. Auch dies möge ihm der Herr gnädigst verzeihen. Nicht leicht ist es, Gott und den Menschen zu gefallen. Das Geschäft wartet nicht, es fordert, klarer zu denken, nüchterner zu sein, geschickter, klüger, um alle Vorteile der anderen wettzumachen, die das Glück hatten, schon als Goim geboren zu sein.

Aus dem in Arbeit befindlichen Roman „Die blauen Berge“, vom Autor ins Deutsche übersetzt.

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