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Herzlose Pharisäer

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Wir müssen Herzen aus Stein im Leib haben, sonst könnten sich Geschichten wie diese nicht soeben in Österreich abspielen. Müssen bei uns die Berge zu weinen beginnen oder die Winde erstarren, bevor so etwas wenigstens eine ernsthafte Diskussion auszulösen vermag, die uns die Augen öffnet?

Frau N. lebte getrennt von ihrem Mann, als sie zum 2. Mal schwanger wurde. Bald darauf versöhnten sich die Eheleute, die Frau aber blieb entschlossen, das Kind auszutragen. Dann wollte sie es aus Rücksicht auf ihren Mann zur Adoption freigeben. Alles war vorbereitet. Die Adoptiveltern warteten sehnsüchtig auf ihre kleine Tochter.

Sieben oder acht Jahre waren sie schon verheiratet und hatten alles versucht, selbst ein Kind zu bekommen. Schließlich aber hatten die vielen Untersuchungen ergeben, daß es keine Chance mehr für sie gab. Die beiden sind jung, ihre Geschwister haben alle kleine Kinder. Die Frau versteht mit ihnen umzugehen.

Frau N. hatte sich einen Platz in einem entfernteren Krankenhaus reserviert. Sie lebt in einer Kleinstadt und wollte sich die Kommentare der Nachbarn ersparen. Plötzlich aber wurde sie von den Wehen überrascht und suchte deshalb das nächste - ein katholisches Krankenhaus auf. Ohne weitere Schwierigkeiten gebar sie ein liebes gesundes Mädchen. Bis knapp vor dem Verlassen des Spitals stillte sie das Baby.

Der Tag der Übergabe stand“ vor der Tür. Die Adoptiveltern hatten alles gut- vorbereitet und freuten sich. Da stürzte eines Morgens die Oberschwester der Station plötzlich in das Zimmer der jungen Mutter und wollte wissen, warum Frau N. denn ihr Kind vor dem Heimgang abstille? So kam ihr Plan ans Licht der Öffentlichkeit und mit einem Mal brach eine Hölle für die arme Mutter los.

„So a liabs Kind, des kennän 'S do net hergeben, san sie a Rabenmutter, ja warum hams' es denn net liaber abtrieben?“ Mit solchen und ähnlichen Bemerkungen machten die Schwestern, Ärzte und Mitpatientinnen Frau N. schließlich so fertig, daß sie das Kind mit sich nahm und in einem Kinderheim unterbrachte. Dort besucht sie es einmal in der Woche.

Die herzlose Meute der Pharisäer rundherum ist nun wohl zufrieden. Was weiter geschehen wird steht noch in den Sternen. Dem Kind aber fehlt jeden Tag die liebevolle Atmosphäre eines Elternhauses. Das kann Folgen haben, die ihm sein Leben lang zu schaffen machen.

Zu ergänzen wäre nur noch, daß es in jedem österreichischen Bundesland 200 bis 300 adoptionswillige Eltern gibt, die sehnsüchtig auf ein Kind warten. In den Heimen sind geistig behinderte Kinder, die sich diese Eltern begreiflicherweise nicht zutrauen und solche, die von der Mutter zwar nicht einmal besucht, aber auch nicht zur Adoption freigegeben werden. Wir aber trauen uns zu glauben, daß es besser sei, ein Kind zu töten noch bevor es geboren ist, als ihm diese Chance zu geben.

Als politische Kolumne soll dieser Beitrag durch Provokation zum Denken anregen. Die einzelnen Formulierungen des Autors müssen sich nicht mit den Auffassungen der Redaktion decken.

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