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Digital In Arbeit

Heute: Arbeitszeit wie im alten Rom

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Erst die Industrialisierung bescherte dem Menschen einen 16-Stunden-Arbeits-tag. Vorher sorgte eine Vielzahl von Feiertagen für ein Gleichgewicht von Arbeits- und Freizeit.

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Erst die Industrialisierung bescherte dem Menschen einen 16-Stunden-Arbeits-tag. Vorher sorgte eine Vielzahl von Feiertagen für ein Gleichgewicht von Arbeits- und Freizeit.

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In vorindustrieller Zeit kannte man Freizeit als einen der Arbeit gegenüberstehenden, separaten Bereich nicht. Es gab keine durch die Uhr bestimmte Tageseinteilung mit festumrissenen (Arbeits- oder arbeitsfreien) Zeiten.

Die arbeitende Bevölkerung war nicht so intensiv in das Arbeitsleben eingespannt, wie aus heutiger Sicht oft angenommen

wird. In der griechischen und römischen Antike z. B. war das Jahr „durch zahlreiche Feiertage und Festzeiten aufgelockert und gegliedert, an denen die Arbeit ruhte und alles Volk an Theateraufführungen und kultischen Feiern teilnahm". (Andreae, Ökonomik der Freizeit, Reinbek 1970).

Die tägliche Arbeitszeit war vom Tageslicht abhängig und daher jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen. Sie dürfte im Durchschnitt etwa zwölf Stunden, einschließlich der für Mahlzeiten nötigen Pausen, betragen haben. Wenn man davon ausgeht, daß der römische Kalender um 350 vor Christus 175 Ruhetage enthielt, hat ein Römer damals kaum mehr gearbeitet (ca. 2000 Stunden im Jahr) als ein Durchschnittsbürger von heute.

Im Mittelalter wurde die christliche Kirche durch die Einführung des Sonntags als wöchentlicher Ruhetag zu einem wichtigen, die Arbeitszeit begrenzenden Faktor. Um 1300 waren für die meisten Berufe auch Nachtarbeit und die Arbeit nach der Samstagvesper (nach 16 Uhr) kirchlich verboten. Die jährliche Arbeitszeit dürfte sich auch damals nicht wesentlich von der heute üblichen unterschieden haben. Clemens August Andreae schätzt sie, unter Berücksichtigung eines 12-Stun-den-Tages sowie von 52 Sonn-und 90 Feiertagen, auf etwa 2300 Stunden.

Vom 15. Jahrhundert an läßt sich eine allmähliche Steigerung der Arbeitszeit, verbunden mit verschärften Arbeitsbedingungen, beobachten. Von ihr waren zunächst vor allem die Bauern betroffen. Die Ursachen für diese vermehrte Arbeitszeit liegen einerseits in der Dezimierung der Bevölkerung durch Seuchen und Kriege und andererseits in dem Aufstreben der jungen Nationalstaaten, deren Machtstreben nach raschem Wirtschaftswachstum verlangte.

Waren somit schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts weite Teile der Bevölkerung an harte Arbeitsverpflichtungen gebunden, so brachte die „mit der Revolutionierung des technischen Produktionsapparates einsetzende Dynamisierung des Wirtschaftslebens eine weitere Verschlechterung der Lage". (Andreae)

Der Ubergang zur maschinellen Produktion machte zunächst, da die Maschinen aus Gründen der Amortisation möglichst intensiv ausgenützt werden mußten, extrem lange Arbeitszeiten erforderlich. Diese wurden technisch durch die Erfindung des Gaslichts (um 1800) ermöglicht, wodurch die Industrie vom Tageslicht unabhängig wurde.

Ein 14- bis 16-stündiger Arbeitstag war um die Mitte des 19. Jahrhunderts für einen Fabriksarbeiter durchaus üblich; die jährliche Arbeitszeit betrug nun 3500 bis

4000 Stunden. Für Freizeit war unter solchen Bedingungen kein Raum; die verbleibende arbeitsfreie Zeit diente fast ausschließlich der körperlichen Erholung von den Anstrengungen der Arbeit.

Die in den Produktionsprozeß eingespannte Bevölkerung war gegen diese Entwicklung machtlos. Einerseits führten Bevölkerungsexplosion und Landflucht damals zu einem Uberangebot an Arbeitskräften, durch das die Löhne stark sanken. Andererseits war der Arbeiter, ohne finanziellen Rückhalt, darauf angewiesen,

seine Arbeitskraft bedingungslos anzubieten.

Um 1900 konsolidierten sich dann die Arbeitsverhältnisse. Die Arbeiterbewegung erreichte ihre ersten Erfolge. Das Arbeitskräfte-Uberangebot wich einem Nachfrageüberhang. Dadurch stiegen die Löhne und es wurden kürzere Arbeitszeiten möglich. Aber erst nach dem Ende des Er-^ sten Weltkrieges gelang mit der Einführung des Acht-Stunden-Tages (bzw. der 48-Stunden-Wo-che) ein entscheidender Durchbruch. Seit den sechziger Jahren erfolgte dann die schrittweise Re-

duktion der Arbeitszeit auf 40 Wochenstunden.

Zusammenfassend ist festzustellen, daß sich die historische Entwicklung nicht, wie häufig geschehen, als einheitlicher Trend zur Verkürzung der Arbeitszeit (und dementsprechender Verlängerung der Freizeit) beschreiben läßt. Diese Darstellung ist nur dann richtig, wenn sie die extreme Situation des frühen 19. Jahrhunderts zum Ausgangspunkt nimmt.

Der Autor ist Vorstand des Instituts für Sozialmedizin an der Universität Wien; sein Beitrag ein Auszug aus einem Artikel in „Review" des österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen 1/84

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