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HIGH TECH AM WORTHER SEE

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Auf Industriellenversammlungen und Touristiktreffen hält man sich gleichermaßen kaum zurück: Heftige Wortattacken werden gegen den jeweils anderen Wirtschaftssektor geritten. Es geht um den ersten Platz an der Kärntner Sonne. Soll er Urlaubern gehören oder der Technik? Eine Frage, die jetzt durch die Raumordnung beantwortet werden soll.

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Auf Industriellenversammlungen und Touristiktreffen hält man sich gleichermaßen kaum zurück: Heftige Wortattacken werden gegen den jeweils anderen Wirtschaftssektor geritten. Es geht um den ersten Platz an der Kärntner Sonne. Soll er Urlaubern gehören oder der Technik? Eine Frage, die jetzt durch die Raumordnung beantwortet werden soll.

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Die Quadratur des Kreises wäre ein High-Tech-Betrieb unmittelbar am Wörther See-Ufer, vielleicht aber bald eine Kärntner Wirklichkeit. Kärntens aufblühendstes Hochtechnologieunternehmen, die Softwarefirma „Genesis”, peilt ein solches Projekt im Seeort Krumpendorf an. Zwischen Industrie und Tourismus scheint Symbiose möglich.

„Niemand kann in drei Monaten das Geld für ein ganzes Jahr verdienen!” Der Satz, ausgesprochen vom Präsidenten der Kärntner Industriellenvereinigung, Konsul Dieter Kern, sitzt seit einigen Wochen wie ein tiefer Stachel im Fleisch der Fremdenverkehrsfunktionäre. So grob wurde der Kärntner Fremdenverkehr noch nie zum Ertragsschwächling heruntergemacht. So direkt wurde noch nie der ausgeprägte Saisonalcharakter des Kärntner Tourismus als filigran bloßgestellt. So deutlich wurde der außerhalb der Kärntner Grenzen für die alles dominierende Branche des Landes gehaltene Tourismus noch nie als Aushängeschild abmontiert.

Vorbild Cote d'Azur

Beim Sektionstag der Kärntner Fremdenverkehrswirtschaft konterte denn auch Kärntens Handelskammerpräsident Karl Koffler in heftiger Erregung: Der Vorwurf, daß in nur drei Monaten nicht für ein ganzes Jahr verdient werden könne, sei eine Verleumdung für einen gesamten Wirtschaftszweig, der sich durch besonders fleißige Arbeit von früh bis spät „sehr oft mit weitaus längeren täglichen Arbeitszeiten als andere Berufe” auszeichne, nahm Koffler, selbst Hotelier im Finkensteiner Hof am Faaker See, den Tourismus in Schutz.

Von Kärntens Fremdenverkehrsreferenten (Landeshauptmann-Stellvertreter Christof Zernatto) abwärts, hat Kärntens Tourismusverantwortliche dabei besonders gefuchst, daß Industriekapitän Kern seine Breitseite gegen den Tourismus ausgerechnet bei einem von Landeshauptmann Jörg Haider einberufenen Kärntner Wirtschaftsgipfel landete, der keinen einzigen Tourismusvertreteram Podium sah. Symbolhaft fühlte man sich als lebenswichtige Branche bei der Gestaltung der zukünftigen Kärntner Wirtschaftsentwicklung übergangen.

Gerade arbeitet nämlich der Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes, Helmut Kramer, an einem Kärntner Wirtschaftskonzept, welches die Strukturschienen ins nächste Jahrtausend legen soll. Beim genannten Wirtschaftsgipfel sagte Kramer denn auch, wo's in Kärnten zukünftig langgehen soll: Das industriepotente Baden-Württemberg, die gewerbestarke Emilia Romagna und die mit einem günstigen Tourismus und High-Tech-Mix ausgestattete Cöte d'Azur sollen Kärntens Vorbildregionen sein. Vehement reklamierte Kern den „Vorrang für die Industrie”.

Die Antwort des derart zurückgesetzten Tourismus ließ nicht lange auf sich warten. Die einflußreiche Kärntner Landesgruppe derösterreichischen Hoteliervereinigung machte kein Hehl aus ihrem Ärger über das Übergehen des Fremdenverkehrs und warnte vor abstrusen Zukunftsplänen für die Errichtung eines „einzigen Industriestraßendorfes von Heiligenblut bis Lavamünd”. Daß Kern diese Aussage auf der nachfolgenden Vollversammlung der Industriellenvereinigung als „Ausdruck der Inkompetenz” zurückwies, wird den Leser jetzt kaum mehr wundem. Der Hintergrund ist allerdings wirklich ernst und liegt seit langem in der Luft.

Seit Jahren fühlt sich die Industrie bei der Beachtung wirtschaftspolitischer Prioritäten weit unter Wert geschlagen. Vor allem wittert man eine maßlose Überschätzung der wirklichen Wirtschaftskraft des Fremdenverkehrs.

Tatsächlich spricht die Wertschöpfungsstatistik des Wirtschaftsforschungsinstitutes eine ernüchternde Sprache: Der direkte Beitrag des Beherbergungs- und Gaststättenwesens zum Kärntner Bruttoregional-produkf beträgt demnach nicht einmal zehn Prozent. In der Rangliste der wertschöpfungsstärksten Wirtschaftsbranchen kommt der Tourismus nicht einmal unter die ersten fünf.

Das in den Wifo-Monatsberichten ausgewiesene Kärntner Bruttoregio-nalprodukt beträgt nach den aktuellsten Zahlen (Jahr 1988) rund 80 Milliarden (1989: 86 Milliarden) Schilling. Mit rund 19 Milliarden trägt dazu die Industrie mit zirka 30.000 Ganzjahresarbeitsplätzen den mit Abstand bedeutendsten Teil bei. In der Wertschöpfungsrangliste folgen auf den Plätzen der öffentliche Dienst (14,5 Milliarden Schilling), die Vermögensverwaltung (12,7 Milliarden Schilling), der Handel (neun Milliarden Schilling), das Bauwesen (sieben Milliarden Schilling), das Gewerbe (sechs Milliarden Schilling), ehe Kopf-an-Kopf mit dem Verkehrs- und Transportwesen erst der Fremdenverkehr kommt - mit gerade noch 5,75 Milliarden Schilling jährlicher Bruttowertschöpfung. Daß nach dieser volkswirtschaftlichen Rechnung das Fremdenverkehrsland par excellence eigentlich ein Industrieland ist, erstaunt immer wieder nicht nur Urlauber, sondern auch die Kärntner selbst, die solche Zahlen hören. Oberwasser gewinnt der Fremdenverkehr mit dem zunehmenden Umweltbewußtsein. Grüne Wiesen, reine Bäche und saubere Luft gelten mittlerweile als das wichtigste Zukunftskapital des Landes. Seit der Tourismus In Kärnten selbst auf die sanfte Linie eingeschwenkt ist und grobe Umweltmißhandlungen wie die rigide Naßfelderschließung oder klotzige Seeuferver-bauungen immer seltener vorkommen, gewinnt er nach Jahren wachsender Skepsis gegenüber massentouristischer Folgenwirkungen wieder zusehends an Akzeptanz im Land. Nicht zuletzt kann die Tourismuswirtschaft ihren kräftigen Anteil an der größten Kärntner Umweltschutzleistung - der völligen Sanierung der Kärntner Seen, ins Treffen führen (siehe S 16).

Umsomehr kommt dagegen die Industrie unter Druck, mag sie noch so sehr ihre eingesetzten Millionen an Umweltschutzleistungen hervorkehren.

Die im Kärntner Wirtschaftskonzept zu erwartenden künftigen Raumordnungsentscheidungen werden empfindlich in die jeweiligen Entfaltungsmöglichkeiten der beiden ungleichen Kärntner Brüder Industrie und Tourismus eingreifen. Daß um vorrangige Berücksichtigung schon im Vorfeld der endgültigen Entscheidungen gerungen wird, macht den verbalen Schlagabtausch der letzten Wochen nur allzu verständlich, wenn nicht notwendig als Teil einer offen zu führenden Diskussion. Hier geht es um eine bedeutende Gewichtung für Kärntens künftige Entwicklung.

Daß die nicht zwingend in einer Polarisierung enden muß, zeigt das Projekt der Softwarefirma „Genesis” in Krumpendorf, das soeben die Gemüter der Kärntner bewegt, weil es die oben aufgezeigten Reibungsflächen auf den Punkt gebracht derart erhitzt, daß Verschmelzung stattfinden könnte. Faszinierende Vision: die totale Symbiose von Tourismus und Industrie der Zukunft scheint möglich. Die auf die Entwicklung von Banken-Software spezialisierteFirma war erst vor drei Jahren als Fünf-Mann-Unterneh-men gegründet worden und hält bereits bei 230 Leuten, zu Jahresende werden es 300 sein. Weil das Firmengebäude in Krumpendorf bereits jetzt zu klein geworden ist, will Genesis-Chef Dieter Schwarzenbacher neu bauen - ausgerechnet am Terrassenareal, einem der letzten frei zugänglichen Seeufergrundstücke mit zwei bewaldeten Hügelchen, um dessen Sicherung sich die Gemeinde selbst jahrelang hatte abmühen müssen. In kleinen Baueinheiten soll dort ein Bürogebäude-Ensemble für200 Beschäftigte entstehen, welches das Ortsbild in unmittelbarer Nachbarschaft von

Hotels und Pensionen maßgeblich, aber auch nicht unattraktiv umgestaltet. 70 Millionen Schilling Mehrkosten nähme man bei „Genesis” in Kauf, um als besonders saubere und international agierende Industrie den touristischen Anmut des Wörther Sees in klingende Münze umzuwandeln. Um hochkarätige Computerspezialisten als Beschäftigte in eine Kärntner Firma zu locken, genüge Geld allein nicht. Auch ließen sich im mondänen Ambiente des wunderschönen Wörther See-Ufers Millionengeschäfte mit Kunden aus aller Welt besser abschließen, setzt Schwarzenbacher auf die „Faszination des Wassers”. Dafür will „Genesis” der Gemeinde sogar ein Terrassenrestaurant hinbauen, das Seeufer aber dennoch öffentlich zugänglich lassen.

Die Anrainer fürchten um die Ruhe für sich selbst und ihre Gäste, der

örtliche Fremdenverkehrsverband hat seine Bedenken bereits vorgebracht. Die Firma hingegen führt ins Treffen, daß sie schon jetzt eine höhere Steuerleistung für die Gemeinde erbring* als alle Hotels von Pörtschach und Krumpendorf zusammen.

Schon jetzt profitiert der örtliche Fremdenverkehr von der Präsenz des Unternehmens: Im Schnitt sind rund 30 Kunden und weitere 30 ausländische Mitarbeiter in Krumpendorfer Hotels und Pensionen als Ganzjahresgäste untergebracht. Für das im Winter eher vereinsamte Krumpendorf könnte durch das Genesis-Projekt eine völlig neue Identität erreicht werden. Der Umkehrschritt zum sanften, aber ertragsstarken Industrietourismus scheint jedenfalls keine unvorstellbare Vision mehr zu sein.

Der Autor ist Redakteur der Kleinen Zeitung Kärntah.

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