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Hilfe bei „Kleininsolvenzen"

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Obwohl rund 120.00 Haushalte in Österreich überschuldet sind, kommt es nur zu etwa 150 privaten Insolvenzen pro Jahr. Etwa 200 bis 250 Konkursanträge werden abgewiesen, weil das vorhandene Vermögen nicht einmal die Verfahrenskosten deckt. Die Arbeiterkammer präsentierte kürzlich Vorschläge für eine Reform der Kleininsolvenzen. Der Autor der Studie faßt zusammen.

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Obwohl rund 120.00 Haushalte in Österreich überschuldet sind, kommt es nur zu etwa 150 privaten Insolvenzen pro Jahr. Etwa 200 bis 250 Konkursanträge werden abgewiesen, weil das vorhandene Vermögen nicht einmal die Verfahrenskosten deckt. Die Arbeiterkammer präsentierte kürzlich Vorschläge für eine Reform der Kleininsolvenzen. Der Autor der Studie faßt zusammen.

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Das österreichische Insolvenzrecht (Konkurs- und Ausgleichsrecht) ist in seiner derzeitigen Ausgestaltung weitgehend auf Unternehmensinsolvenzen zugeschnitten und trägt der Situation eines privaten Schuldners, der sein Leben auf Kredit gebaut und damit in die „Pleite" geschlittert ist, nur unzureichend Rechnung. Dennoch entfielen im Jahr 1990 laut In-

solvenzstatistik des KSV 1870 immerhin 160 Insolvenzverfahren auf Privatleute, was bei insgesamt 1.258 eröffneten Verfahren einem Anteil von 13 Prozent entspricht. In 178 Fällen konnte ein beantragter „Privat-Kon-kurs" nicht eröffnet werden, weil es an einem die Verfahrenskosten dek-kenden Vermögen fehlte. Diese in der Insolvenzstatistik aufscheinenden Privatinsolvenzen sind allerdings nicht mehr als die Spitze eines Eisberges: Nur ein Bruchteil der zahlungsunfähigen Verbraucher stellt einen Konkursantrag, ein Ausgleich wird so gut wie nie beantragt. Ursachen fiirdieses „Funktionsdefizit" sind:

Die österreichischen Konkurs- und Ausgleichsverfahren sind für Kleininsolvenzen zu teuer. Ein Privatschuldner, dereinen Konkurs beantragt, muß bei Gericht einen fünfstelligen Kostenvorschuß erlegen; die meisten können sich daher den „Luxus" eines Insolvenzverfahrens gar nicht leisten.

Selbst wenn es dem Schuldner gelingt, diese Kostenbarriere zu überspringen, kann er damit seine Situation nur selten verbessern: Das einzige, was der zahlungsunfähige Privatschuldner' in einem Krisenfall noch hat, ist seine Arbeitskraft. Der pfändbare Teil seiner laufenden Arbeitseinkünfte ist aber (sofern er berufstätig ist) im Normalfall mit Pfandrechten zugunsten einzelner Gläubiger „zugepflastert". Diese Sicherungsrechte bestehen (mit wenigen Ausnahmen auch nach einer Konkursoder Ausgleichseröffnung) weiter.

Die Konkursordnung sieht für den Gemeinschuldner ein spezielles Sanierungsverfahren vor, das aber wiederum primär auf Unternehmer zugeschnitten ist. Wenn bestimmte qualifizierte Gläubigermehrheiten (mehr als die Hälfte der „Köpfe" und zusätz-lich eine „Summenmehrheit" von mindestens drei Viertel aller ungesicherten Forderungen) zustimmen und das Gericht kein „Haar in der Suppe" findet, können dem Schuldner bis zu 80 Prozent seiner Verbindlichkeiten nachgesehen werden. Der erste Haken dabei: Die Forderungskürzung betrifft nur die ungesicherten Gläubiger, während die Pfandrechte am Arbeitseinkommen weiterbestehen. Der zweite Haken: Der Schuldner ist auf Gedeih und Verderb dem Wohlwollen der abstimmenden Gläubiger ausgeliefert; wenn sich ein Gläubiger mit einer entsprechend hohen Forderung „querstellt", kann der Schuldner seine Hoffnungen begraben. Nicht selten scheitert die Annahme des Ausgleichs daran, daß uninteressierte Gläubiger der Abstimmung einfach fernbleiben. Der dritte Haken schließlich: Selbst wenn der Zwangsausgleich bewilligt wird, sind viele Schuldner nicht in der Lage, in einem Jahr 20 Prozent ihres Schuldenberges abzutragen.

Insolvenzrecht versagt

Wenn ein Zwangsausgleich nicht zustande kommt, haftet der Schuldner auch nach einem Konkursverfahren für die offenen Schulden unbeschränkt weiter. In vielen Fällen reichen die für den Schuldner erschwinglichen Teilzahlungen nicht einmal aus, um die laufenden Zinsen und sonstigen Kosten abzudecken. Die offenen Gesamtforderungen wachsen unkontrolliert weiter, dem Schuldner und seiner Familie droht die lebenslange Verschuldung.

Das Versagen des Insolvenzrechts bewirkt, daß die Verbraucherüber-schuldung in der Rechtswirklichkeit eine Domäne der Einzel vollstreckung (=Exekutionsverfahren) darstellt. Dies hat sowohl für die Gläubiger als auch für den Schuldner nachteilige Auswirkungen:

Zahlungsunfähige Privatschuldner bleiben weiterhin der Rechtsverfolgung durch einzelne Gläubiger ausgesetzt. Damit tritt exakt jene Situation ein, die das Insolvenzrecht eigentlich vermeiden will: Der unkoor-dinierte „Wettlauf derGläubiger" wird trotz der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners fortgesetzt, der Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung preisgegeben und der nicht mehr zahlungsfähige Schuldner weiterhin mit Vollstreckungsmaßnahmen einzelner Gläubiger „überrollt", die er wegen seiner Leistungsunfähigkeit nicht abwenden kann. Die Kosten dieser zumeist fruchtlosen Betreibungsschritte lassen den Schuldenberg weiter anwachsen.

Im Exekutionsverfahren herrscht der Grundsatz des Zuvorkommens: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst." In diesem System kann sich der Betreibungsvorsprung eines Gläubigers de facto zu einem „Befriedigungsmo-nopol" verdichten: Einer bekommt alles, die anderen haben sich hinten anzustellen und erhalten häufignichts. Folge daraus: Die Betreibungsintensität der Gläubiger verschärft sich, jeder versucht, mit einer „Politik des schnellen Geldes" (auf Kosten der anderen) zu reüssieren. Dem Schuldner entgegenkommende Gläubiger die nicht sofort vollstrecken, müssen stets damit rechnen, daß ihnen „aggressivere", schnellere Gläubigerden Rang ablaufen.

Die kurz vor der Vollendung stehende Reform des Lohnpfändungsrechts, die neben mehr Transparenz eine spürbare Anhebung des „Existenzminimums" (also jenes Betrages, der dem Schuldner von seinem laufenden Einkommen jedenfalls verbleiben muß) bringen soll, vermag

- so begrüßenswert und wichtig diese Maßnahmen auch sind - das Problem der Privatinsolvenzen nicht zu bewältigen. Was nottut sind Maßnahmen, die hoffnungslos Überschuldeten einen wirtschaftlichen Neubeginn eröffnen!

Als Leitlinien für eine solche Reform schlage ich vor:

a) Die faktische Öffnung des Insolvenzverfahrens auch für mittellose Privatschuldner. Dies ist nur möglich, wenn „kleinere" Konkurse möglichst einfach und kostensparend ausgestaltet werden (verwalterloses Verfahren, Befreiung von den Gerichtsgebühren und anderes).

b) Pfand- und sonstige Sicherungsrechte einzelner Gläubiger am laufenden Einkommen des Schuldners sind mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ihrer Wirksamkeit zu entkleiden oder zumindest zu beschränken, um die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger sicherzustellen und eine Sanierung des Schuldners zu ermöglichen. Dies gilt für vertraglich begründete Sicherungsrechte gleichermaßen wie für solche, die in einem Exekutionsverfahren entstanden sind.

Kontrolle gegen Mißbrauch

c) Das unbeschränkte Nachforderungsrecht der Gläubiger sollte einer sachgerecht ausgestalteten Dischar-ge-Regelung weichen, die den Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen von seinen Restschulden befreit. Bei der Ausformung sind die Interessen aller Beteiligten ausgewogen zu berücksichtigen; der Gefahr einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme ist durch geeignete Kontrollmechanismen zu begegnen.

- Die Schuldbefreiung sollte (unabhängig von der Zustimmung der Gläubiger) jedem Schuldner zugute kommen, der vor Konkurseröffnung keine schwerwiegenden Verfehlungen zulasten seiner Gläubiger begangen hat und im Insolvenzverfahren „kooperativ" mitwirkt. Versagungsgründe sind nur auf Antrag betroffener Gläubiger aufzugreifen.

- Der Schuldner, der in den Genuß der Schuldbefreiung kommen will, muß sich nach Beendigung des eigentlichen Konkursverfahren einem Nachverfahren unterziehen. Er hat sich während dessen Dauer um eine bestmögliche Realisierung seiner Erwerbschancen zu bemühen und den pfändbaren Teil seiner Einkünfte seinen Gläubigem zu überlassen. Bis zur Beendigung unterliegt er der Aufsicht des Konkursgerichts.

- Die Dauer des Nachverfahrens sollte vom Konkursrichter unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles (besondere Schutzwürdigkeit des Schuldners und der Gläubiger, vertragliche Laufzeit der Verbindlichkeiten et cetera) festgesetzt werden können. Die Mindestdauer sollte etwa drei, die Höchstdauer fünf Jahre betragen. In dieser Zeit sind gerichtliche Betreibungsschritte der Konkursgläubiger nicht zulässig.

- Wenn der Schuldner im Nachverfahren seinen Pflichten nachkommt, soll er nach Verfahrensbeendigung von seinen Restschulden befreit werden. Diese Wirkung muß grundsätzlich auch jene Gläubiger erfassen, die sich am Verfahren nicht beteiligt oder gegen die Schuldbefreiung ausgesprochen haben.

- Discharge-Ausnahmen sollten nur im unbedingt erforderlichen Ausmaß geschaffen werden. Gläubigem öffentlich-rechtlicher Forderungen dürfen von den Wirkungen der Schuldbefreiung nicht ausgenommen werden.

- In Ergänzung dazu sind flankierende Maßnahmen zu treffen, um den Schuldner während des Nachverfahrens vor einem insolvenzbedingten Verlust seines Arbeitsplatzes und vor einer erheblichen Neuverschuldung zu bewahren.

- Sowohl während des Discharge-Verfahrens als auch nach erteilter Schuldbefreiung bedarf der Schuldner eines wirksamen gesetzlichen Schutzes gegen diskriminierende Handlungen der Gläubiger oder Dritter, die geeignet sind, die Zwecke der Discharge zu unterlaufen.

- Innerhalb einer „Sperrfrist" von fünf Jahren nach Erteilung der Discharge sollte die neuerliche Einleitung eines Schuldbefreiungsverfahrens nur in besonderen Härtefällen zulässig sein.

Der Autor ist Assistent an der Universität Innsbruck, Institut für zivilgerichtliches Verfahren. Seine Studie,.Privatverschuldung in Österreich - Verbraucherverschuldung und Insolvenzrecht" ist der vierte Teilbericht zur Studie .Privatverschuldung in Österreich", über die die FURCHE eingehend informiert hat.

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