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Digital In Arbeit

Hilfe für Arbeitslose

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Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist heute eine der brisantesten Herausforderungen. Welche Rolle kann und soll dabei die katholische Kirche als Arbeitgeber spielen?

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Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist heute eine der brisantesten Herausforderungen. Welche Rolle kann und soll dabei die katholische Kirche als Arbeitgeber spielen?

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Anfang August brachte eine süddeutsche Tageszeitung auf der Titelseite unmittelbar nebeneinander zwei gegensätzliche Meldungen: Die deutsche Wirtschaft ist so stark wie seit langem nicht, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Bundesbank. Die Arbeitslosigkeit im Juli erreichte ihren Höchststand seit der Währungsreform, stellte der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit fest. Diese beziehungslos und plakativ aneinandergereihten Schlagzeilen offenbaren die Ratlosigkeit der deutschen Wirtschaft.

Dennoch scheint nach jahrelangen wechselseitigen Blockaden ein Lernprozeß zwischen Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern in Gang gekommen zu sein. Konsensfähig wird mehr und mehr eine Arbeitsmarktpolitik, die gleichzeitig den Nachholbedarf der unteren Einkommensgruppen befriedigt, auf qualitatives Wachstum mit Hilfe neuer Technologien setzt und eine Arbeitszeitverkürzung sowie gleichmäßige Verteilung der Erwerbsarbeit, ohne die schwächeren Gruppen auf dem Arbeitsmarkt wie Ausländer, Frauen, Jugendliche und ältere Arbeitnehmer auszugrenzen, anstrebt.

Die veränderte Arbeitsorganisation muß allerdings für das einzelne Unternehmen kostenneutral bleiben, bei den unteren Einkommensgruppen mit, bei den oberen Einkommensgruppen ohne Lohnausgleich erfolgen und im Lohnausgleich einen intensiveren Bestandteil enthalten.

Welchen Beitrag leistet dabei die katholische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland zum Abbau der Arbeitslosigkeit als der gegenwärtig brisantesten wirtschafts- und sozialpolitischen Herausforderung?

• Als ein positiver Beitrag kann die wachsende Sympathie für Arbeitslose in zahlreichen Gemeinden verbucht werden. Die gängigen Vorurteile typischer Mittelschichtgemeinden, Arbeitslosigkeit beruhe auf persönlichem Versagen, auf fehlender Motivation und beruflicher und räumlicher Unbeweglichkeit, werden nach und nach abgebaut.

• In zahlreichen Gemeinden und Verbänden sind therapeutische Maßnahmen ergriffen worden, um Arbeitslose aus ihrer Selbstisolation herauszuholen und finanzielle Hilfestellung zu leisten. Nicht wenige Pfarrgemeinden stellen Räume zur Verfügung, bieten Gelegenheitsarbeiten an und lassen persönliche Beziehungen spielen, um Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu vermitteln.

• Schließlich stellen Diözesen Haushaltsmittel in Millionenhöhe und kirchliche Mitarbeiter Einkommensanteile für Solidaritätsfonds zur Verfügung, um neue Arbeits- und Ausbildungsplätze im kirchlichen Dienst zu schaffen, um Selbsthilfeprojekte oder selbstorganisierte Betriebe zu finanzieren.

Diese positiven Initiativen im caritativen und therapeutischen Nahbereich können jedoch die öffentlichen und politischen Defizite kirchlichen Engagements nicht vertuschen:

• Erstens bleibt die kirchliche Sozialverkündigung sowohl der Bischöfe als auch der meisten

Pfarrer erheblich hinter den zukunftsweisenden Perspektiven eines Evangeliums der Arbeit, das Papst Johannes Paul II. in seinem Sozialrundschreiben vorgelegt hat, zurück. (

# Die deutschen Bischöfe reproduzieren entweder bekannte Unternehmerstandpunkte zum Abbau der Arbeitslosigkeit oder verharren in einer neutralen Position, die angesichts der wachsenden Disparität der Lebens- und Arbeitschancen einer glatten Parteinahme zugunsten der besser Situierten gleichkommt.

• DieKirchenleitungenhabensich eine außergewöhnliche arbeitspolitische Selbstbeschränkung auferlegt, die von ihrem familien-und rechtspolitischen Engagement während der sozial-liberalen Koalition merklich absticht. Angesichts der Informationen über die neue Armut und die verheerenden psychosozialen und familiären Folgen der Arbeitslosigkeit, die ihnen von Caritas-, Jugend- und Sozialverbänden geliefert werden, ist diese Haltung unbegreiflich.

Einige Beobachter erklären diese Selbstbeschränkung mit der Erwartung westdeutscher Wirtschaftsmanager — die der Kirche als gesellschaftlichem Teilsystem eine unersetzliche Rolle zuweisen wenn es darum geht, in der privaten Seelsorge Trost und Hoffnung zu spenden - daß die Kirche einen umgreifenden Sinnhorizont vermittelt und religiös-psychische Schäden, die das ökonomische Teilsystem verursacht, saniert. In das Wirtschaftsgeschehen einzugreifen oder sich in wirtschaftspolitische Entscheidungen der Tarifpartner einzumischen, sei der Kirche jedoch nicht gestattet.

Andere Beobachter erklären diese Selbstbeschränkungen der Kirchenleitungen durch das Wohlverhalten gegenüber „ihrer” Regierung, der bürgerlich-liberalen Koalition, der man als Kompensationfamilien- und rechtspolitische Initiativen im Bereich des 218 StGB (Abtreibung) zutraut.

Auch als Arbeitgeber wirkt die Kirche inaktiv. Initiativen am Rand des regulären Arbeitsmarktes, die häufig von der Bundesanstalt für Arbeit finanziell unterstützt werden, sind zweifellos Warnsignale, daß sich weder die Kirche, noch die Gesellschaft an Massenarbeitslosigkeit gewöhnen sollen. Sie rechtfertigen aber nicht die Untätigkeit der Kirche als Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt und im kirchlichen Dienst.

Analog zum öffentlichen Dienst existiert ein relativer Einstellungsstopp, der damit begründet wird, daß die Kirche infolge der schrumpfenden Kirchensteuereinnahmen selbst Opfer der wirtschaftlichen Krise sei. Dennoch werden immer wieder erstaunliche Finanzmassen für unterschiedliche Sachinvestitionen mobilisiert.

Aber die reservierte Einstellungspraxis geeigneter und motivierter — allerdings verheirateter Mitarbeiter(innen) — wird mehr von einem theologisch begründeten, aber kirchenstrukturell ver-ankertenKalkül der Kirchenleitungen bestimmt als von den pastora-len Bedürfnissen der Ortsgemeinden. Wenn sich deren Interessen artikulieren und ein entschiedener kirchlicher Wille werden dürften, würde die Schaffung neuer pastoraler Arbeitsplätze jedenfalls nicht an deren Finanzierung scheitern.

Ganz unzumutbar ist die Praxis einzelner Diözesen, pastorale Mitarbeiter in den ersten Jahren der Berufserfahrung mit voller Arbeitszeit, aber halbiertem Einkommen zu beschäftigen und damit das Arbeitsplatzrisiko auf diese schwächste Gruppe der kirchlichen Mitarbeiter abzuwälzen, während die Einkommensdifferenzen der übrigen Mitarbeiter unangetastet bleiben.

Die kirchlichen Arbeitgeber sollten modellhaft die Arbeitszeit verkürzen und die Erwerbsarbeit gleichmäßig verteilen, Männern und Frauen unterschiedslos Teilzeitarbeit anbieten — mit Lohnausgleich für die unteren, ohne Lohnausgleich für die oberen Einkommensgruppen. Damit könnten sie die Chance des „dritten Weges” ergreifen, die vorhandene, am öffentlichen Dienst orientierte Lohn- und Gehaltsdifferenzierung zu entschärfen.

Sollten sich die kirchlichen Arbeitgeber dagegen wehren, im Alleingang ein solches Differenzierungstabu der Tarifpartner zu brechen, obschon sie an dieses rechtlich nicht gebunden sind, müßte man sie um so stärker an ihr arbeitspolitisches Engagement in der Gesellschaft, die auf allgemein verbindliche solidarische Lösungen drängt, erinnern.

Der Autor ist Professor für Wirtschaftsund Sozialethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St, Georgen in Frankfurt/Main.

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